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Archiv-Artikel

Mit Raketen und Schulbüchern

Der französische Waffen- und Medienunternehmer Jean-Luc Lagardère ist gestorben. Als eine zentrale Figur der europäischen Rüstungsindustrie verfügte er über ebenso gute Kontakte zu linken wie zu rechten Regierungen. Sohn will Strategie fortsetzen

aus Paris DOROTHEA HAHN

An Lagardère kommt in Frankreich niemand vorbei. Auch jene nicht, die keine Raketen, Kampfhubschrauber und Satelliten kaufen. Die Hochglanzmagazine à la Paris Match und Elle meiden. Und die kommerzielle Radiosender wie Europe 1 wegzappen. Denn auch sie brauchen irgendwann ein Schulbuch oder einen Roman, oder sie holen sich ihre linksradikale Zeitung an einem Bahnhofskiosk. Und schon klingelt es in der Kasse des Konzerns, den Jean-Luc Lagardère in 40 Jahren aufgebaut hat.

„Diversifizieren“ – so lautete ein Leitmotiv von Lagardère, der am Freitag im Alter von 75 Jahren in einem Bett in einem Pariser Krankenhaus gestorben ist. Der Ingenieur aus der Provinz begann seine Karriere als Unternehmer in den 60er-Jahren an der Spitze des Rüstungskonzerns „Matra“. In den 70er-Jahren kaufte er seine ersten Radiosender und Printmedien. Später stieg in den Medienvertrieb ein, übernahm eine Mehrheit am Unternehmen NMPP, das den Zeitungsvertrieb in Frankreich kontrolliert, erwarb die Kette Relay, der sämtliche Bahnhofs- und Flughafenkioske des Landes gehören, und schließlich die britische Kette „Virgin Megastore“.

In den 90er-Jahren dann übernahm er Teile des Rüstungs- und Raumfahrtkonzerns Aérospatiale und gründete 1999 – zusammen mit der deutschen Dasa und der spanischen Casa – den europäischen Luftfahrtkonzern Eads. Im vergangenen Herbst vollendete Lagardère seine Unternehmensstrategie mit der Übernahme der Vivendi Universal Publishing. Vorausgesetzt Brüssel stimmt zu, wird seine Gruppe damit zum größten europäischen Buchverleger – in Frankreich kontrolliert sie 90 Prozent aller Schulbücher, 80 Prozent aller Lexika und 48 Prozent aller Taschenbücher.

Nach Lagardères Tod zeigt sich nun, wie nützlich es war, nicht nur Waffen zu verkaufen, sondern parallel auch ein Medienimperium aufzubauen. Auf Lagardères Radiosendern sprechen jetzt Journalisten mit belegter Stimme von einem „einfühlsamen Chef und vorbildlichen Unternehmer“. Ein Moderator beginnt Gespräche über den Toten mit den Worten: „Ich kann mir vorstellen, wie groß Ihre Trauer ist“. Interviewpartner Jacques Delors (Ex-EU-Kommissionspräsident, Sozialdemokrat) antwortet: „Er war intuitiv, leidenschaftlich und lächelnd. Ein Kapitalist à la française“. Die französische Verteidigungsministerin Michèle Alliot-Marie (Neogaullistin) erklärt: „Er war ein tiefer Patriot. Die französische Verteidigung hat ihm viel zu verdanken.“

Lagardère hat es geschafft, sich mit den Mächtigen seines Landes zu arrangieren. Jacques Chirac duzte er seit vier Jahrzehnten. Der Staatspräsident nahm den Spitzenunternehmer zuletzt auf zahlreiche Auslandsreisen mit und verschaffte ihm so weltweit Aufträge. Die Linken schusterten ihm mehrfach privatisierte Staatsunternehmen zu. Zuletzt gab ihm Expremierminister Lionel Jospin 1998 den Zuschlag für den Einstieg in die zuvor staatliche Aérospatiale. Lagardère revanchierte sich in alle Richtungen: Er stellte die Gattin eines rechten Expremierminister in seinem Hause ein, gewährte der verschuldeten kommunistischen Zeitung Humanité eine Finanzspritze und managte den europäischen Eads-Konzern im Sinne der sukzessiven Pariser Regierungen.

Nach dem unerwarteten Tod des Alten übernimmt die Geschäfte Arnaud Lagardère. Der morgen 42-Jährige wurde von seinem Vater seit Jahrzehnten in die Geschäfte eingeführt. Als wäre nichts passiert, will der Sohn heute in einer lang geplanten Pressekonferenz das Jahresergebnis für 2002 vorstellen. Er hat Wirtschaft studiert, seine ersten Unternehmererfahrungen in den USA gesammelt und bereits erklärt, dass er den Mischkonzern beibehalten will. Was ihm noch fehlt, ist das terrestrische Fernsehen. In Paris, wo die rechte Regierung den Ausverkauf der verbleibenden staatlichen Unternehmen vorbereitet, ist Lagardère junior immer im Gespräch, wenn ein Sender privatisiert wird.