: „Du würdest Scheiße fressen, wenn du glaubst, es heilt“
Robert Prem glaubte, die Welt würde sich nicht ohne ihn drehen – bis er vor siebzehn Jahren aus dem Fenster fiel. Seitdem ist er querschnittsgelähmt und musste sein Leben völlig überdenken. Wie fühlt es sich an, wenn man plötzlich auf Hilfe angewiesen ist? Der Paralympics-Goldgewinner, der heute Abend mit seiner Mannschaft auf den Preis für den behinderten „Sportler des Jahres 2008“ hoffen kann, erzählt
Sportlerin des Jahres: die Reiterinnen Hannelore Brenner und Britta Näpel, die Leichtathletinnen Marianne Buggenhagen, Martina Willing und Katrin Green, die Schwimmerin Kirsten Bruhn und die Radsportlerin Andrea Eskau. Sportler des Jahres: die Radsportler Wolfgang Sacher und Michael Teuber, die Leichtathleten Matthias Schröder und Wojtek Czyz und der Tischtennisspieler Jochen Wollmert. Mannschaft des Jahres: die Nationalmannschaften der Basketball-Damen, der Reiter und Sonar-Segler.
VON NATALIE TENBERG UND ROBERT PREM
In der Nacht zum 11. Juli 1991 stieg Robert Prem, heute 51, auf das Brett vor dem geöffneten Fenster. Die Nacht war heiß und Prem wollte neben dem Fenster noch das Oberlicht darüber öffnen. Er stürzte in den Innenhof und war querschnittsgelähmt.
Bei den diesjährigen Paralympics im chinesischen Qingdao gewann er Gold im Sonar-Segeln. Er war eben schon immer extrem – sagen seine Freunde. Er sagt, Kraft entwickelt er aus dem Gefühl, noch einmal ein Leben geschenkt bekommen zu haben.
Robert Prem: Nach dem Erfolg kam gleich auch die Erinnerung an die schlimmsten Zeiten in meinem Leben. Also an den Unfall selber erinnere ich mich nicht. Das Erste, an was ich mich erinnere, war das Gesicht meiner Exfreundin, als sie vor meinem Bett auf der Intensivstation stand. Da wusste ich, es ist was wirklich Schlimmes passiert. Und noch diese ekligen Zitronensticks, mit denen sie einem den Mund einstreichen, wenn man Durst hat. Dann auf der Normalstation merkte ich, dass mit meinen Beinen etwas nicht stimmte. Die lagen so leicht erhöht, dick bandagiert vor mir und fühlten sich an, als wären sie in Beton gegossen. Mehr fühlte ich nicht und bewegen konnte ich sie auch nicht.
Prem wurde 1957 in München geboren, hat als Teenager für die Jugendmannschaft des FC Bayern Fußball gespielt. Er war Schauspieler, hat in Wien gelebt, in einer Szene-Diskothek gearbeitet. Sein Leben war unbeschwert
Wann weiß man, dass man querschnittsgelähmt ist? Ich hab zu der Zeit diesen Gedanken völlig verdrängt. Die Ärzte haben immer noch gehofft, dass sich durch die OP am Rückenmark alles wieder einrenkt, aber nach drei Wochen haben sie mich dann doch in die Querschnittsabteilung eines anderen Krankenhauses hier in Berlin verlegt. Da hatte mir immer noch niemand gesagt, dass ich ein Querschnitt bin. Sie haben gesagt, dass sie zu wenig Personal hätten, um jemanden wie mich adäquat zu betreuen; ich hatte mich zu der Zeit schon wundgelegen. Aber es gäbe da eine Spezialstation und ich sollte nicht erschrecken, es gibt da sehr viel schlimmere Fälle als mich, aber man kann sich da besser um mich kümmern. Erst beim Aufnahmegespräch hat mir der Oberarzt gesagt, dass ich querschnittgelähmt bin. Irgendwann ist er dann ganz diskret rausgegangen und ich habe geheult. Das war’s. Angekommen. Man hat da keine großartige Wahl. Entweder man arrangiert sich mit den Gegebenheiten und fängt noch mal von vorne an, oder man zerbricht. Auf der Querschnittsstation herrscht manchmal auch ein relativ rigider Umgangston, und das ist gut so. Nach drei Tagen Trauer hat mich ein Pfleger genötigt, aus dem Bett zu kommen und mich auf einer Fahrtrage in den Gemeinschaftsraum zu bewegen. Da liegt man dann auf dem Bauch, auf einem Ding mit vier Rädern, weil auf seinem Hintern darf man nicht sitzen, weil der wundgelegen ist. So soll man dann im Gemeinschaftsraum essen. Auf dem Zimmer im Bett gab es einfach kein Essen mehr. So einfach ist das. Jetzt habe ich vor Wut geheult und hätte nur noch um mich schlagen können. Aber irgendwann ging es dann.
Nach zwei Jahren in Wien entschloss sich Prem 1982, nach Berlin zu ziehen und eine private Schauspielschule zu besuchen. Er begann in Kneipen zu arbeiten, in einem Restaurant und später in einem Weinladen.
Vor meinem Unfall habe ich geglaubt, dass die Welt sich ohne mich gar nicht drehen könnte, und so habe ich mich auch durchs Leben bewegt. Ich war der Beste, der Schönste und der Größte. Was für ein Wahnsinn. Dann liegt man plötzlich in einem Krankenhaus und ist auf die Hilfe von Leuten angewiesen, die man vorher nicht einmal mit dem Arsch angeschaut hätte. Man lernt wieder „bitte“ zu sagen.
Nach dem Unfall hat er den Gedanken an eine Schauspielkarriere aufgegeben. Der Weinladen ging während seiner Zeit im Krankenhaus pleite.
Für mich war es wichtig, wieder zu lernen, was einem eigentlich wichtig ist. Es findet gezwungenermaßen eine Bestandsaufnahme, eine innere Einkehr statt. Deshalb haben solche Tiefpunkte auch etwas Heilsames, man kommt wieder aufs Wesentliche und stellt sich die Frage „Was brauchst du wirklich?“, aber leicht ist das nicht. Ich war fast ein Dreivierteljahr im Krankenhaus. Danach habe ich jahrelang alles ausprobiert, was irgendwie Heilung oder zumindest eine Verbesserung meiner Situation versprochen hat. Reittherapie, Laufband, Heiler, Schamanen, Akupunktur, Qigong, Spezialmassagen, und sogar mit Urinkur habe ich es versucht. Du würdest Scheiße fressen, wenn du glaubst, dass es dich heilt.
Vor sechs Jahren wurde Prem eine Umschulung bewilligt. Nun ist er Bürokaufmann und arbeitet im Sekretariat einer Schule in Berlin.
Der Sport hilft. Er stellt eine neue Normalität her, in der man sich gut bewegen kann. Man muss niemandem erklären, warum der Gang zur Toilette etwas länger dauert oder dass man nicht ansteckend ist, nur weil man im Rollstuhl sitzt. Man kann reden über Dinge, die einen bewegen, oder man haut dem anderen einfach nur die Bälle um die Ohren und tobt sich aus, was manchmal auch ganz reinigend ist.
Bei der Umschulung lernte Prem einen Segler kennen. Er ermunterte ihn immer wieder, mal mit zum Training zu kommen, und den Segelschein zu machen.
Badminton hat den Vorteil, dass es von fast allen Rollstuhlfahrern mit relativ wenig Aufwand gespielt werden kann. Ich denke, dass Badminton auch sehr gut für die allgemeine Fitness ist. Ich bin zum Beispiel weniger krank, seit ich regelmäßig spiele, und jeder kann das so gut ausüben, wie es eben für sie oder ihn möglich ist. Beim Segeln ist das etwas schwieriger und aufwendiger, je nach Grad der Behinderung. Beim Segeln in einem Dreimannboot muss das Team funktionieren. Da gibt es kein Entrinnen. Beim Badminton kann man Leuten, mit denen man nicht so gut klarkommt, noch aus dem Weg gehen. Beim Segeln nicht. Man kann die Abläufe, und zwar jeden Handgriff, immer wieder aufeinander abstimmen und üben. Aber letztlich muss es einfach menschlich passen. Sonst wird es nix.
Prem spielt zweimal in der Woche Badminton. Zum Sport verwendet er einen speziellen Rollstuhl.
Segeln ist eine Teamsportart. Jens, unser Skipper, hat beim Empfang der „Goldjungs“ im Yachtclub Berlin-Grünau eine kleine Rede gehalten und gesagt, dass die Goldmedaille eigentlich allen gehört. Das hört sich pathetischer an, als es ist. Der Yachtclub engagiert sich seit Jahren fürs paralympische Segeln. Da gibt es Hafenmeister, die unser Boot ins und aus dem Wasser kranen, da ist unser glatzköpfiger Bootsmann, der das Boot dann poliert, und, und, und. Ohne dieses Engagement im Umfeld geht gar nichts. Vor dem Hintergrund ist die Aussage von Jens eher eine sachliche Standortbestimmung. Deshalb denke ich auch, die Goldmedaille sollte man nicht so persönlich nehmen – was auch meint, sich selber dabei nicht zu wichtig zu nehmen. Es ist ein großes Geschenk, das erleben zu dürfen, wirklich großartig, aber trotzdem Vorsicht! Der Eindruck, dass man sich selbst nicht so wichtig nehmen sollte, ist schon ziemlich bald nach meiner Nominierung entstanden. Die Freude und Begeisterung, die mir da entgegenschlug, war sensationell, damit hatte ich nicht gerechnet. Da ich ja relativ kurzfristig nachnominiert wurde, stand ich nun da und hatte ordentlich Schiss, das nicht zu packen. Bis fünf Wochen vor den Paralympics war ich ein gut trainierter Freizeitsportler. Jetzt musste ich ran, und zwar im Ernst. Als die Berufung kam, wurde von Gesine Reichl, unserer Physiotherapeuthin, ein spezieller Trainingsplan für mich erstellt. Das hieß jeden Tag mindestens zehn Kilometer Handybike fahren und Krafttraining leisten. Ohne das Verständnis meines Arbeitgebers und meiner Kollegen hätte ich das nicht geschafft.
Am Wochenende fährt er in den Südosten Berlins, nach Grünau – zu seinem Verein. Ein Wochenende Segeltraining, meint er, ist wie eine Woche Urlaub. Auf dem Wasser kann er sich entspannen.
Mein ehemaliger Großschoter, Peter Münter, hat mir nach meiner Nominierung gesagt: „Und pass auf – wenn ihr eine Medaille gewinnt, verändert sich dein ganzes Leben.“ Ich staune immer wieder, wie sehr die Freude und Begeisterung, die vorher da war, auch jetzt da ist. Das ist wirklich irre. Es verändert sich vieles, und ich bin da aber gerade noch mittendrin in dieser Entwicklung. Aber es fühlt sich gut an.
Heute wird der Titel „Sportler des Jahres“ an Behindertensportler vergeben. Prem und seine Teamkollegen haben in diesem Jahr gute Chancen.