: Die Krieger aus der Talkshow
von KIRSTEN KÜPPERS
Wenn Rotary-Versammlung ist im Restaurant „Strandlust“ in Bremen-Vegesack, dann nutzen die Männer ihre Chance und fragen drauflos. Gerade in Zeiten wie diesen wollen vor allem die Bauunternehmer, die Oberstudiendirektoren, die Großbäcker und all die anderen einflussreichen Rotarier wissen, wie es weitergeht in der Welt. Dafür haben sie sich mit ihren Vereinskollegen in die Autos gesetzt und aufgemacht in den Clubraum, jetzt gucken sie auf ihren Experten und fragen und fragen: „Wann glauben Sie, kommt der Krieg?“, „Brisante Situation, was meinen Sie?“, „Ist Nordkorea nicht eine größere Gefahr für den Weltfrieden als Saddam?“
Es dauert nicht lang, da fahren die Kellner das Mittagessen herein und nach den Truppenaufmärschen kommen die Biowaffen bei Fisch und Kartoffelsalat. Die Männer sitzen an den Tischen und fragen und essen und reden, nutzen die Gelegenheit, dass sie einen im Verein haben wie Wolfgang Altenburg. Einen ehemaligen Generalinspekteur der Bundeswehr und früheren Vorsitzenden des Nato-Militärausschusses. Einen ernsten, hochgewachsenen Herrn im dunklen Anzug. Einen, der schon beim Nato-Doppelbeschluss dabei war und der ganze Vorträge halten kann zur Irakkrise. Einen Experten, der hilft, in weltpolitischen Angelegenheiten. Nicht nur dem Rotary-Club Bremen-Vegesack.
Termine, Termine
Tatsächlich hilft General a.D. Wolfgang Altenburg derzeit allen Menschen in Deutschland. Er tut das über das Radio, die Zeitung, das Fernsehen. Der Terminkalender des 74-Jährigen ist voll: Gestern hat Altenburg mit Schülern vom Gymnasium diskutiert, vor ein paar Tagen mit evangelischen Pfarrern, er hat eine Rede gehalten vor Wissenschaftlern, einen Vortrag vor Soldaten, der Weserkurier will ihn als Gastkommentator, die Redaktion von Sabine Christiansen hat auch gefragt, ob er kommt. Denn es ist doch so: Wenn ein Krieg droht und es statt Bildern nur Szenarien gibt, wenn ein Thema die ganze Welt bewegt, aber keiner sagen kann, was passiert – dann warten die Menschen draußen vor den Fernsehern auf etwas. Dann wollen sie wenigstens Leute sehen, die sich hinstellen und reden, Fachleute, die sich auskennen mit Strategien, Witterungen und Gerät. Experten, die eine Einschätzung der Situation haben, wenn sonst auch alles im Ungewissen hängt.
General a. D. Wolfgang Altenburg kennt sich aus. Die Kellner im Restaurant „Strandlust“ servieren die Nachspeise, und die meisten Rotarier stecken längst wieder inmitten von Halbsätzen über Schröders Sanierungsprogramm und die Bremer Lokalpolitik, als Altenburg sich noch einmal zu seinem jüngeren Sitznachbarn beugt, ihm erklärt: „Ein Krieg ist noch zu vermeiden.“ Und mit einer Stimme, die leise ist, weil sie weiß, dass man ihr zuhört, fügt er hinzu: „Ich bin gegen einen Irakkrieg.“
Ein Profi für Christiansen
Es gibt viele, die das sagen in diesen Tagen. Aber Wolfgang Altenburg war einmal der höchste Militär Deutschlands. Er hat den Nato-Doppelbeschluss gegenüber einer revoltierenden Bevölkerung vertreten, und er hat gelernt, wie Sätze scharf und treffsicher in ein Mikrofon zu sprechen sind. Wolfgang Altenburg ist ein Profi, Verteidigung ist sein Geschäft. Deswegen will Sabine Christiansen ihn für ihre Show.
Altenburg ist nicht der Einzige, der jetzt redet. Zusammen sind sie eine kleine Gruppe. Zwei Hand voll ältere Männer vielleicht. Allesamt ehemalige Militärs, die sich in den Medien zu Wort melden derzeit. Sie fliegen durch Deutschland von Termin zu Termin, bauen sich vor Kameras auf, geben Interviews, sie telefonieren. Pensionäre im Dienst. Vereint als Repräsentanten der Bundeswehr. Einer Meinung sind sie deswegen nicht.
Zum Beispiel der frühere Bundeswehr-Generalinspekteur Klaus Naumann. An einem der vielen Abende vor einer letzten UNO-Sicherheitsratssitzung sitzt der 63-Jährige in der Talkshow von Maibritt Illner, liefert sich mit Innenminister Otto Schily ein kurzes Gefecht. Es gibt ein Studiopublikum, das tut das Gewünschte: es brummt möglichst böse, klatscht möglichst begeistert. Wegen der Live-Übertragung ins Land. Klaus Naumann wettert gegen den Anti-Kriegs-Kurs der Bundesregierung. Er erklärt: „Wenn alle Mittel der Politik versagen, muss man auf das letzte Mittel zurückgreifen können, den Krieg.“
Propaganda? Niemals!
Das klingt nicht nach fundierter Expertise. Das klingt nach Naumanns persönlicher politischer Meinung. Von den Stuhlreihen klatscht es und brummt. Aber als nach der Sendung die Diskutanten gut gelaunt mit Häppchen vom Buffet an Stehtischen im ZDF-Studio zusammenstehen, sagt Naumann, dass er dies sehr wohl zu trennen wüsste: „Ich betätige mich nicht als Propagandist.“ Man kann das glauben. Die Fernsehmacher nehmen es damit ohnehin nicht genau. Das ist es ja, was sie haben wollen: dass es sich zuspitzt in ihrem Programm, dass es Streit gibt und Spannung. Deswegen buchen sie sie ja, die ehemaligen Militärs, die Naumanns, Altenburgs, Reinhardts und wie sie alle heißen. Und wie Klaus Naumann jetzt mit seinem Getränk an einem ZDF-Tisch lehnt, die steife Körperhaltung eingetauscht hat inzwischen gegen ein lockeres Herumstehen mit Hand in der Hosentasche, da sieht es aus, als fühle sich der Pensionär auch ganz wohl in diesem Geschäft. Er wünsche sich, sagt er, dass noch sehr viel mehr seiner ehemaligen Militärkollegen den Weg in die Medien und die Öffentlichkeit fänden.
Das Heer der Experten
Nun muss man deswegen keine schleichende Militarisierung unserer Medienlandschaft befürchten, meint Bernd Gäbler. Der Medienfachmann vom Adolf Grimme Institut hat beobachtet: „Die andere Seite schickt auch immer wieder dieselben Kandidaten ins Rennen.“ Friedensforscher und Pazifisten seien in den Medien genauso stark vertreten wie die ehemaligen Militärs. Bemerkenswert, meint Gäbler, sei vielmehr die Zunahme des Expertenwesens in den Medien ganz allgemein. Im Wettlauf um quotensichere Kriegsberichterstattung gebe es Sender, die ihre Fachleute bereits jetzt für die gesamte Dauer einer Irak-Intervention exklusiv gebucht und verpflichtet haben, eine im Übrigen im amerikanischen Fernsehen längst gängige Praxis.
Nach vielen Handschlägen älterer Männer mit Rotary-Nadeln an den Jackets ist General a. D. Wolfgang Altenburg wieder in seinem Einfamilienhaus nach Bremen-Nord gefahren, nun sitzt er mit seiner Frau im Wohnzimmer und redet von der Hoffnung, die er noch hat. „Für die USA ist ein Verzicht auf Krieg nicht mit einem Gesichtsverlust verbunden“, sagt er. Die unter dem Druck des Militäraufmarsches am Golf vorgenommenen Inspektionen hätten zu Erfolgen geführt. Die Inspektoren müssten weiterarbeiten, ihre Mittel müssten verbessert, die Untersuchungen intensiviert werden. Und mit all der entschlossenen Autorität, die ein Leben im militärischen Sicherheitsapparat in der Stimme eines Mannes hinterlassen kann, schiebt er hinterher: „Wissen Sie, ich bin kein Pazifist. Aber gegen diesen Krieg bin ich trotzdem.“
Das Telefon klingelt. Und als er den Hörer wieder aufgelegt hat, ist ein neuer Beweis erbracht, dass die Anfragen zugenommen haben in letzter Zeit. Man kann fragen, wo das herkommt, diese plötzliche Präsenz der Bundeswehr, wo die Deutschen doch immer schnell Schwierigkeiten hatten mit ihrem Militär. Und der Mann im Sessel antwortet, dass diese Entwicklung gar nicht so neu ist, sondern mit ihm selbst, Wolfgang Altenburg, in den 70er-Jahren seinen Anfang genommen hat: „Davor war ein Soldat gewohnt, dass er außerhalb der öffentlichen Meinung steht. Ich war der erste Generalinspekteur der Bundeswehr nach 1945, der im Zweiten Weltkrieg kein aktiver Soldat mehr gewesen ist. Deswegen konnte ich unbefangener auftreten. Und mit dem Verfolgen der Nuklearstrategie war es auf einmal notwendig geworden, diese Politik auch gegenüber der Öffentlichkeit zu kommunizieren.“ Er lächelt, die Hände liegen im Schoß. „Wenn Sie so wollen, gehörte ich also zu den Ersten, die so intensiv in der Öffentlichkeit aufgetreten sind.“
Momente historischer Größe
Da war es wieder – dieses Aufblitzen historischer Bedeutsamkeit im Blick. Und wahrscheinlich kann er das nicht lassen, diese kleinen Gesten der Selbstvergewisserung. Diese unbewussten Bewegungen, die einen begleiten, wenn die eigene Person einmal näher dran war an den großen Momenten der Geschichte als das gewöhnliche Volk. Wenn Wolfgang Altenburg ins Erzählen gerät, haben mächtige Politiker nur Vornamen wie Bill oder Manfred oder Colin. Wie es war, mit Gorbatschow beim Tee, kann Altenburg erzählen, warum die Generäle geputscht haben in Moskau, und mit einem eleganten Schlenker findet er doch noch zurück zum Thema: „Ich weiß nicht, ob es was bewegt, was ich sage. Aber es könnte ja was bewegen. Das hoffe ich sehr.“ Neben ihm am Couchtisch sitzt seine Frau und nickt. Und ganz nebenbei bekommt man eine leise Ahnung, wie es früher gewesen sein muss als Ehefrau eines Vorsitzenden des Nato-Militärausschusses. Wenn man 18-mal umziehen muss als Familie, wenn die Bodyguards mit im Haus wohnen, wenn nachts das Telefo klingelt und dran ist ein Staatschef, der dringend den Gatten sprechen will.