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Archiv-Artikel

Pinsel wie Äxte

„Expressive Bildwelten“: Emder Kunsthalle zeigt große europäische Kunst der Nachkriegszeit. Erstmals werden die Schenkungen des Münchner Galeristen Otto van de Loo geschlossen präsentiert

Von röhrenden Hirschen und explodierenden Farben

Aus Emden Thomas Schumacher

Bitte anschnallen, wenn Sie die aktuelle Ausstellung der Emder Kunsthalle, „Expressive Bilderwelten“, hinter den ostfriesischen Deichen besuchen. Die Wucht der Bilder und die Gewalt der Farben können einen umwerfen. Nicht weil sich da jemand an einem Sonderposten Farbeimer austobt. Die überschäumende Malfreude der 31 ausgestellten KünstlerInnen hat einen ernsten Hintergrund. Fast alle leben mit der Erfahrung des Zweiten Weltkrieges, einige auch mit der des Ersten.

Sie gebrauchen ihre Pinsel wie Äxte, zertrümmern Gewohntes und bauen neue Wirklichkeiten. Von endgültigen Antworten haben sie die Nase voll. „Ich will der Dunkelheit, die uns umgibt, allmählich Boden abgewinnen“, so 1959 der Spanier Antoni Tápies.

Über 200 Werke von 31 Künstlern aus zehn europäischen Ländern führt die Emder Kunsthalle zusammen. Das wurde möglich durch die erstmalige Präsentation der beiden Schenkungen des Münchner Galeristen Otto van de Loo. Er vermachte 55 Werke im Jahr 1992 der Berliner Nationalgalerie und 1997 der Kunsthalle Emden 148 Werke.

Van de Loo, Jahrgang 1924 hatte ab 1957 mehrere Galerien in Deutschland. Schwerpunkt seiner Arbeit war die Förderung einer damals jungen Kunst, die kritisch mit der Tradition und einigen restaurativen Tendenzen der neuen abstrakten Malerei umging. So hetzte die Münchner Gruppe „Spur“ gegen die „sinnlose Leere“ und kam mit den eigenen Bildern lieber wegen „Verstoß gegen die guten Sitten“ vor ein Münchner Gericht.

Heute gehören die von van de Loo gesammelten KünstlerInnen zu den Klassikern der Moderne. Antoni Tápies, Antonio Saura, Emil Schumacher, Arnulf Rainer, Wolf Vostell, Pierre Alexchinsky, Constant, Jean Dubuffet und Ansger Jorn sind nur einige Namen. Mit Franz Hitzler, Gustav Kluge, Gunter Damisch, Miriam Cahn und Max Neumann sind auch Künstler vertreten, die nach 1945 geboren sind. Durch geschickte Hängung werden Vergleiche ermöglicht. So sind Gemeinsamkeiten der meist kooperierenden Künstler zu entdecken, aber auch die eklatanten Unterschiede.

Ein Emil Schumacher ist – bei ähnlicher Intention – von einem Ansger Jorn meilenweit entfernt. Schumacher schiebt Flächen zusammen. An den Nahtstellen öffnen sich Schluchten, malerische Zeichen, vom Betrachter selbst zu entschlüsselnde Hinweise. Jorn dagegen stellt die Figur in das Zentrum seiner malerisch wilden Erzählungen. Mit wenigen Pinselstrichen zaubert er in ein kitschiges Machwerk mit röhrendem Hirschen ein Monster hinein. Jorn wildert gleichsam die Kunst wieder aus der verlogenen Idylle heraus.

Gerade Ansger Jorn hat es dem Sammler van de Loo angetan. Und so kann die Kunsthalle mit über zwanzig Arbeiten des Malers so ganz nebenbei eine kleine, geschlossene Retrospektive anbieten.

Ähnliche Korrekturen nimmt Arnulf Rainer vor. Doch seine Attacke auf die Wirklichkeit ist universell und grundsätzlich. Das heißt, er übermalt auch und gerade sich selbst. Im Streit zwischen Licht und Dunkel sucht er ein Zentrum. Dies hat er auch außerhalb der Malerei einige Jahre mit Drogen versucht. Dagegen halten sich Wolf Vostells Assemblagen konkret an die politische Wirklichkeit. Sein „Cyclus Mania“ behandelt die menschlichen Plagen Rassismus, Tourismus, Kinderunterdrückung, Sex, Rauschgift etc.

Wie schwer es ist, an die Experimente der Künstlerprominenz anzuknüpfen, zeigt ein Vergleich mit dem Österreicher Gunter Damisch, Jahrgang 1958. Bei ihm explodieren auch die Farben, aber eher, um sich einem „Schöner Wohnen Design“ anzuschmiegen – als einer grundlegend neuen Erkenntnis.

Gut, dass die Emder immer wieder mit ihren Bildern arbeiten, sie in gut strukturierten Themenausstellungen zusammenstellen. Das trainiert die Besucher. Das macht, wie ein riesiges Plakat an der Front eines Emder Kaufhauses verspricht, „neugierig auf Kunst“.

bis 21. März, Di 10 - 20 Uhr, Mi bis Fr 10 - 17 Uhr, Sa und So 11 - 17 Uhr