: Titos Gehirn und Mailands Mode
aus Ljubljana HEIKE HAARHOFF
An den Wänden im Foyer hängen Fahnen von Ländern, die die militärische Macht der USA direkt bei sich zu Hause erfahren haben: Vietnam, Nicaragua, Angola, Iran, Irak, Somalia, Serbien. Drinnen im Konzertsaal toben junge slowenische Punkrocker unter dem Slogan Ne Nato, „Nein zur Nato“, über die Bühne, und im Schankraum dazwischen erzählt Matej Zonta, 24 Jahre, in kleiner Runde einen Witz: „Was ist der Unterschied zwischen einem Terroristen und der Nato? – Der Terrorist benutzt sein Flugzeug nur einmal!“ Seine Kumpel lachen schallend, einer holt frisches Bier für alle.
Es ist sehr voll an diesem Märzabend in Ljubljanas Jugendkulturzentrum „France Preseren“, benannt nach dem gleichnamigen slowenischen Dichter und erbaut zu Zeiten, als Slowenien noch der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien angehörte. Um 1 Uhr morgens drängen sich mehr als tausend junge Leute, die meisten Studenten, zwischen Foyer, Bühne und Theke, und an mangelnder Alternative liegt das wohl nicht: Die slowenische Hauptstadt Ljubljana kann es, was das studentische Freizeitangebot angeht, mit Marburg oder Tübingen aufnehmen.
„Der Witz hat euch gefallen, ja?!“ Matej Zonta fingert zufrieden seine langen Haare hinter die Ohren, dann kramt er in seiner zerschlissenen Schultertasche, holt einen Stapel bunter Aufkleber hervor. „Wow!“ Die anderen zeigen sich begeistert. Nicht nur den Vergleich zwischen Nato und Terroristen hat er mitgebracht als Aufkleber. Sondern auch Sprüche wie: „Geld für die Nato, aber nicht für die Bildung“ und „Achtung, Nato: Zutritt auf eigene Gefahr“. Er verteilt seine Schätze stapelweise. „Bis Sonntag müssen die unter die Leute.“
Bis Sonntag. Dann stimmen 1,6 Millionen wahlberechtigte Slowenen in zwei voneinander getrennten Referenden darüber ab, ob ihr Land, gelegen südlich von Österreich und östlich von Italien, nächstes Jahr Mitglied der Europäischen Union und der Nato werden soll. Die Meinungsumfragen lassen zwar keinen Zweifel daran, dass das Volk den Kurs von Regierungschef Anton Rop, der in beiden Bündnissen eine Vollmitgliedschaft anstrebt, bestätigen wird. Jedenfalls was die EU angeht – 71 Prozent wollen mit Ja stimmen. Kippliger steht es mit dem Nato-Beitritt.
Wenn irgendwer das von der Regierung gewünschte Ergebnis doch noch umkehren könnte, dann die slowenische Jugend. Die Jugend, über die ältere Slowenen auf Ljubljanas Straßen sagen: Ausgerechnet sie! Mit ihrem Antiamerikanismus, ihrer Skepsis gegenüber militärischen Bündnissen, ihrer politischen Verweigerung! Um ihre Zukunft geht es doch! Besser haben sollen sie es einmal! Weswegen EU und Nato gebraucht werden. Denn was kann ein kleiner Staat wie Slowenien allein in der Welt schon ausrichten.
„So pervers es klingen mag“, Matej Zonta verlangsamt sein Sprechtempo und blickt beinahe triumphierend in die Runde, „wenn Bush noch vor Sonntag den Irak bombardiert – und alles sieht danach aus –, dann steigen die Chancen, dass das Referendum in unserem Sinn ausgeht.“ Was denn der Irakkrieg mit dem Nato-Beitritt Sloweniens zu tun habe? Da verdrehen sie kollektiv die Augen. Wieder so eine Ausländerin, die nichts, aber auch nichts von den Weltzusammenhängen versteht, geschweige denn von Slowenien. Jetzt redet sich Barbara Beznec, 25 Jahre, Studentin der Politikwissenschaften, in Rage: „Was nützt es uns, alibimäßig in einer Organisation mitzumischen, die ohnehin von den USA dominiert wird? Was bringt es, unser Geld in ein vermeintlich demokratisches Militärbündnis zu investieren, wenn die USA eigenmächtig Angriffskriege führen und dabei noch nicht einmal die UNO respektieren?“
Nein, sich auf ein solches Niveau herabzulassen, ruft nun der 29-jährige Jure Trampos neben ihr, das habe Slowenien nicht nötig, nicht Slowenien. „Wir gehörten nie in dem Maße zur Sowjetunion wie Polen, Litauen oder Rumänien! Wir waren nicht im Warschauer Pakt!“ Und Andrej Pavsilic, 22 Jahre, ebenfalls Student, brummt böse vor sich hin: „Für uns ist die Nato weder Gnade noch Rettung von unserer Vergangenheit!“
Selbstbewusst und wütend stehen sie da, wütend darüber, dass das Ausland sie so oft verkennt, unterschätzt, mit anderen verwechselt, allen voran die USA: Deren Präsident Bush hatte kurz nach seinem Amtsantritt den slowenischen Premier getroffen und anschließend strahlend vor der Presse erklärt, er sei überzeugt, „dass dieser Mann die Slowakei in eine gute Zukunft führen“ werde.
Aber auch die Ignoranz anderer westeuropäischer Staaten nervt sie, und wenn schon slowenische Regierung und Opposition höflich, weil auf eine harmonische EU- und Nato-Mitgliedschaft hoffend, dazu schweigen, dann müssen doch wenigstens sie, die Jugendlichen, die Unabhängigen, die keiner Partei Zugehörigen, ein paar Dinge klarstellen.
Zum Beispiel die Sache mit 1997. Da hatte es schon einmal eine Nato-Erweiterungsrunde gegeben. Aber zur Enttäuschung vieler im Land ging Slowenien damals ohne Beitrittseinladung aus. Und das, so sickerte durch, habe nicht zuletzt an der zu langsamen Privatisierung der ehemaligen Staatsbetriebe gelegen. „Und nun guckt alle her, wohin uns unsere behutsame Privatisierung geführt hat“, ruft Jure Trampos: „Nettozahler der EU werden wir sein, schon heute geht es uns besser als euren Alt-EU-Mitgliedern Griechenland oder Portugal!“
Wieder dieses Selbstbewusstsein, gepaart mit der Enttäuschung darüber, dass Slowenien trotz aller Errungenschaften im westlichen Ausland immer noch nicht die Anerkennung erfährt, die einem Land wie ihm doch gebühren müsste: einem Land, das es nicht erst seit seiner Unabhängigkeit vor zwölf Jahren zu etwas gebracht hat. Einem Land, das schon zu Titos Zeiten als „Bank und Gehirn“ Jugoslawiens galt, mit seiner hoch entwickelten Industrie, seinen Finanzmärkten, seinem Gesundheitssystem. Und schließlich: einem Land, dessen Bevölkerung westliche Werte und westliche Kultur bereits lebte, als der Eiserne Vorhang noch existierte. Weswegen der EU-Beitritt, anders als die Nato-Mitgliedschaft, den meisten jungen Slowenen eher wie etwas Normales, ja nahezu Überfälliges vorkommt.
„Wir sind doch schon seit langem quasi auf EU-Niveau“, sagt die 25-jährige Sekretärin Alja Murovec, die auf dem Weg zum Einkauf in der Innenstadt von Ljubljana kurz Halt macht. Schon als Kind sei sie mit ihren Eltern regelmäßig nach Österreich in Urlaub und nach Italien zum Shoppen gefahren. „Mode aus Mailand“, sagt sie zwinkernd, „kannten wir hier vielleicht besser als manche Deutschen.“
Was sich für sie persönlich durch den EU-Beitritt ändern wird? Da muss sie lange überlegen. „Eigentlich nichts“, sagt sie, denkt noch einmal nach, schüttelt den Kopf. „Nein, ich bin mit meinem Leben auch so sehr zufrieden.“
Trotzdem wird auch sie am Sonntag zum Referendum gehen. Obwohl es schon das vierte in diesem Jahr ist und sie findet, dass die Regierung auch allein die Entscheidung treffen könne. Wo das Referendum doch ohnehin nur beratenden Charakter habe. „Aber wenn es um ein öffentliches Bekenntnis zur EU geht, dann will ich das gern ablegen.“
So gut viele Jugendliche in Slowenien über die Referenden informiert sind, so gering sind ihre Wünsche und Ansprüche, die sie mit der EU verbinden. Keiner hier würde etwa begeistert Europa-Papierfähnchen schwenken, wie Jugendliche in Albanien das schon mal vor EU-Delegationen tun; niemand seine Hoffnung auf ein besseres Leben so sehr mit der EU verknüpfen wollen wie manche schicksalsgläubigen Rumänen. Der Balkan, das sind die anderen.
In Slowenien dagegen sind schon 20-jährige pragmatisch: „Wir werden zusehen müssen, wie wir als kleines Land innerhalb der EU unsere Interessen trotzdem durchsetzen“, sagt die Anglistikstudentin Deana Kodele. Zwischen zwei Vorlesungen genehmigt sie sich draußen ein kleines Sonnenbad. Und das, betont sie, sage sie nicht einfach so daher.
Deana Kodele hatte Gelegenheit, sich ihr eigenes Bild zu machen; der durchschnittliche slowenische Lebens- und Einkommensstandard erlaubt das auch Studenten. Quer durch Europa ist sie gereist, und wenn sie beispielsweise jetzt gegen die Sonne blinzelt und sagt, dass sie unter keinen Umständen das kostenlose slowenische Bildungssystem abgeschafft sehen möchte, das ihr und der Mehrzahl ihrer Freunde ein Studium zu fairen Bedingungen ermögliche, dann weiß sie immerhin, wovon sie spricht.
Vielleicht ist es diese Mischung aus gelebter Erfahrung und hoher Zufriedenheit mit dem eigenen Lebensstandard, die die Erwartungshaltung gegenüber der EU bei vielen so bescheiden ausfallen lässt. Erst recht bei denjenigen, die mit der Institution EU bereits direkt Kontakt hatten. Gerade 19 Jahre alt war Iza Junkar, als sie im vorigen Sommer, damals noch Schülerin, für Slowenien im europäischen Jugendkonvent in Brüssel saß. Es ging um eine Verfassung, die die Interessen der Jugendlichen in Europa repräsentieren sollte. „Um ehrlich zu sein“, sagt Iza Junkar heute, „außer länglichen Papieren ist nicht viel dabei herausgekommen, was für Jugendliche wirklich wichtig wäre.“
Mittlerweile ist sie an der Universität Ljubljana im Fach Anthropologie eingeschrieben, aber wenn es einen zweiten Konvent gäbe, dann würde sie alles geben, um hinzufahren und diesmal ihre Forderungen vehementer einzubringen. Nämlich? Da sprudelt es nur so aus ihr hervor. Mehr Studentenaustausch zwischen den Universitäten solle es geben, eine tatsächliche Anerkennung der Diplome und, was speziell Slowenien angehe: „Die Universitäten müssen gezwungen werden, dem europäischen Wettbewerb standzuhalten.“ Das alles zu erreichen, sagt Iza Junkar, grenze für EU-Verhältnisse schon an ein kleines Wunder. Sie guckt dabei sehr ernst.