: „Ich schick das jetzt raus“
Aaron Richardson ist Amerikaner und gegen den Krieg. Gestern wurde er vom Kriegsbeginn überrascht. Doch dann wurden er und seine Mitstreiter aktiv
Aaron Richardson beugt sich aus seinem Sessel nach vorne über die Tastatur des Computers. Es ist kurz nach 10 Uhr, sechseinhalb Stunden nach Kriegsbeginn. Auf dem Schirm steht der Entwurf einer Presseerklärung der „Americans in Berlin against the war“. „Das soll um 12 Uhr rausgehen, wir haben nicht viel Zeit“, sagt der 26-Jährige aus La Porte im US-Bundesstaat Indiana. „Ich hatte den Krieg heute nicht erwartet.“
Aktuell informiert sich Aaron über BBC. Der britische Radiosender erscheint ihm vertrauenswürdig. „Aus den Staaten gibt es nur Voice of America. Die gehören zum Außenministerium und sind noch schlimmer als CNN“, erklärt er.
Aaron lebt seit 1999 in Berlin. Damals war er über die Aktion Sühnezeichen Friedensdienst in die Hauptstadt gekommen. Er blieb und setzte sein Mathestudium an der FU fort. Aaron legt Wert darauf, dass er nicht gegen sein Land protestiert, sondern gegen die Kriegspolitik von Präsident Bush. Seine leiblichen Eltern unterstützen diese Haltung. Anders sein Stiefvater. „Er hat mir geschrieben, wir sollten doch lieber für die US-Soldaten als für die Bevölkerung des Irak beten.“ Das machte den stillen Aaron „richtig sauer“.
In der Küche der Kreuzberger WG steht seine Mitbewohnerin Sandra und kocht Kaffee. Neben ihr liegt ein Ausdruck der Erklärung zum Tag X. Mit Rotstift streicht sie Fehler an und formuliert einzelne Sätze um. Aaron diskutiert am Handy über den Wortlaut: „Ich finde, wir können heute ein wenig extremer sein als an anderen Tagen“, sagt er zu Isabel Cole, die mit ihm die Pressearbeit koordiniert.
Die Gruppe ist ein lockerer Verbund. Eine genaue Mitgliederzahl gibt es nicht, es existiert nur der E-Mail-Verteiler mit rund 100 Einträgen. In Aarons Entwurf vom Vorabend steht, die UN seien auf lange Zeit geschwächt und hätten Autorität verloren. Nach dem Telefonat sagt Aaron: „Wir kämpfen um diesen Satz.“
Wenig später erreicht ihn per E-Mail ein neuer Vorschlag von Isabel, in dem es heißt, die UN seien stark geblieben und das sei ein Hoffnungsschimmer für die Zukunft. Er übernimmt diese positivere Variante. Der nächste Anruf kommt von Nicholas. Aaron geht nervös im Zimmer auf und ab, die rechte Hand in der Hosentasche vergraben. „Es ist schon 12 Uhr“, seufzt er. Während einer kurzen Pause in der Küche schenkt er sich eine Tasse Kaffee ein. „Schwarzer Kaffee für einen schwarzen Tag“, sagt er und lächelt betrübt. Zu dem Angriff der USA auf den Irak am frühen Morgen sagt Aaron: „Es war eigentlich nichts Großes, nicht mehr als in den Wochen davor. Heute Abend wird es heftig.“
Aaron nimmt auch noch die Ideen von Nicholas auf und kürzt einige Stellen aus der Erklärung. Um 13.10 Uhr sagt er: „Jetzt ist Schluss, ich schicke das jetzt raus.“ CHRISTOPH TITZ