piwik no script img

Archiv-Artikel

Ein Drittel kehrte krank zurück

Exfeldwebel Erin Cole will den neuen Krieg gegen Saddam Hussein nicht. Und das nicht nur, weil sie an dem rätselhaften Golfkriegssyndrom leidet

aus Washington MICHAEL STRECK

Zuerst bekam sie nur Hautausschlag. Später Polypen im Magen. Dann Nierensteine. Da war Erin Cole Mitte zwanzig. Und ein Jahr zurück aus der Wüste zwischen Saudi-Arabien und dem Irak. Anfangs war sie nur irritiert. „Ich war doch jung und bislang kerngesund.“ Einen Zusammenhang mit dem Krieg sah sie nicht. Erst als sie Ende 1992 einen Brief vom Pentagon mit der Aufforderung erhielt, sich registrieren und untersuchen zu lassen, wurde sie hellhörig. Freie medizinische Behandlung in Militärhospitälern wurde ihr angeboten für alle Symptome, die Ärzte bis zum Zeitpunkt dieser Untersuchung fanden. Erst später, als sich die Puzzlesteine zusammenfügten, wurde auch ihr bescheinigt, an der mysteriösen Krankheit zu leiden, die mangels stichhaltiger Erklärungen „Golfkriegssyndrom“ genannt wurde.

Ihre Hände sind rissig, an manchen Stellen aufgekratzt. Ihre Gesichtshaut wirkt wie eine Maske. Ob sie es je bereut hat, zum Militiär gegangen zu sein? Nein, sagt sie, nur war sie eigentlich nicht für den Einsatz im Golfkrieg vorgesehen. Zur Armee wollte Cole schon als junges Mädchen. In einer Familie von drei Töchtern war sie dad’s girl. Gemeinsam mit ihrem Vater ging sie zelten und fischen. Sie liebte es,früh aufzustehen, sich in Wäldern zu verstecken und zu wandern. Irgendwann habe sie dann im Fernsehen immer öfter Werbekampagnen für die US-Streitkräfte gesehen, die in den 80er-Jahren unter Reagan eine massive Rekrutierungswelle starteten. Der Ruf der Armee war nach dem Vietnamkrieg so miserabel, dass sie Probleme hatte, ausreichend Personal zu finden. „Ich war einfach fasziniert von dem harten Training und dem Leben unter freiem Himmel.“ Außerdem sollte sie ein Collegestudium finanziert bekommen. Mit 17 stand ihr Wunsch fest. Sie wollte so schnell wie möglich ins Ausbildungslager. Da sie noch nicht volljährig war, mussten ihre Eltern zustimmen.

Marschbefehl nach Saudi-Arabien

Kaum drei Monate in Uniform, wurde Cole Ende 1989 nach Deutschland verlegt. Standort Ansbach bei Nürnberg. „Alles war so ruhig. Ich hatte dort nie das Gefühl, dass sich in diesem Land gerade dramatische Veränderungen abspielten“, erinnert sich die heute 32-Jährige. Auch wenn sie nur wenig Kontakt zur zivilen Welt in Bayern hatte, habe sie „niemals Animositäten“ gespürt. Als Nachrichtenfeldwebel spezialisierte sie sich noch auf den alten Feind, lernte wie verrückt Russisch und war völlig überrascht, als sie im November 1990 von einem Sprachkurs auf der Insel Jalta zurückkehrte und den Marschbefehl nach Saudi-Arabien vorfand.

Zwei Monate saß sie dann mit der Ersten Infanteriedivision in der saudischen Wüste an der Grenze zum Irak und wartete. „Deine schlimmsten Feinde sind Langeweile und Ungewissheit.“ Alle zehn Tage wurden die Zelte abgebrochen und weiter in Richtung Grenze verlegt. Eigentlich sei es kein allzu großer Unterschied zum Camping, meint sie lakonisch. Auch als Frau unter so vielen Männern habe sie sich nie umwohl gefühlt. Wichtig sei nur, sich mit einem großen Vorrat an Antibabypillen einzudecken. „Nein, nicht was man denkt“, lacht sie, sondern um die Regelblutung aus hygienischen Gründen zu unterbinden.

Coles Aufgabe war es, die Positionen der irakischen Armee zu identifizieren und sie an die eigene Artillerie an der fordersten Frontlinie weiterzuleiten. Dort, wo sich Gewehrläufe und Kanonenmündungen gegenüberstanden, sei sie jedoch nie gewesen. Außer kapitulierenden Irakern habe sie vom Kampf nichts mitbekommen.

Die US-Übermacht wird es schon richten

Mit Blick auf diesen Krieg fürchtet sie weder die Wüstenschlacht noch den Kampf um Bagdad. Die amerikanische Übermacht werde es schon richten. Große Skepsis plagt sie bei dem Gedanken an die jahrelange Besetzung des Irak durch US-Streitkräfte. „Damals hatten wir mehr als eine halbe Million Soldaten im Einsatz und mussten die Iraker nur aus Kuwait vertreiben. Wie wollen wir mit einigen zehntausend Soldaten dieses fragile Land stabilisieren?“

Nur fünf Monate dauerte für Cole der Kriegseinsatz. Im Mai 1991 kehrte sie nach Deutschland zurück. Ihre Einheit wurde aufgelöst, die Kasernen wurden geräumt. Sechs Wochen reiste sie quer durch Europa. „Es war die schönste Zeit meines Lebens.“ Anschließend wurde sie auf eine gottverlassene Militärbasis im Bundesstaat Kansas verlegt, wo sie es nicht länger als ein halbes Jahr aushielt. „Ich habe mich zu Tode gelangweilt.“ Ihre besten Freunde waren in alle Winde verstreut. Ihre frühe Ehe brach auseinander. So hing sie ihre Uniform an den Nagel und kehrte ins zivile Leben zurück – ein Schritt, der viel schwerer und komplizierter war, als sie je erwartet hatte. „Ich fühlte mich völlig verloren.“ Der Alltag beim Militär war klar geregelt, jede Stunde durchorganisiert. Sie lernte Menschen in Extremsituationen kennen. Das schweißt zusammen. Auf dem College ihrer Heimatstadt Buffalo fühlte sie sich wie eine Fremde, und das „oberflächliche Geplapper“ der Studenten ging ihr auf die Nerven.

So war sie froh, als sie das Angebot für Russland bekam. Drei Jahre arbeitete sie am US-Konsulat in St. Petersburg und Moskau. „Ich liebte Russland. Ich war zwar geschockt von der Armut und Obdachlosigkeit, doch ich war mittendrin, wo Geschichte geschrieben wurde.“ Doch die ganze Zeit plagten sie ihre verschiedenen Krankheiten. Nachdem sie den Militärdienst quittiert hatte, musste sie zudem für die meisten Behandlungen selbst bezahlen. „Wie unser Militär mit den betroffenen Menschen umgeht, das wäre für zivile Unternehmen nie akzeptabel.“ Entscheidende Informationen seien den Soldaten nach 1991 lange verheimlicht worden. „Das Pentagon spielte mit Menschenleben.“ Besonders unfair sei, dass die Beweislast dafür, ob man am „Golfkriegssyndrom“ leidet, nun bei den Betroffenen liegt.

Dabei könne der Beweis kaum erdrückender sein. Rund 145.000 von insgesamt 500.000 Soldaten, die 1991 an der Operation „Wüstensturm“ beteiligt waren, ließen sich mit Symptomen wie Gelenkschmerzen, Infektionen, Hautausschlägen und chronischer Müdigkeit registrieren. Das Pentagon habe Millionen Dollar in die Erforschung der Ursachen gesteckt, ohne jedoch zu klaren Ergebnissen zu kommen. Wie viele ehemalige Soldaten glaubt auch Cole, dass eine Kombination verschiedener Faktoren das Syndrom auslöste: freigesetzte Gifte aus irakischen Waffenlagern, die Impfmischung gegen Milzbrand und andere biochemische Waffen sowie Munition mit abgereichertem Uran, die von US-Streitkräften eingesetzt wurde. „Was auch immer es war, es hat seine Ursachen im Krieg. Vor der Stationierung sind wir alle gesund gewesen, und ein Drittel kehrte krank heim.“

Die Probleme werden bagatellisiert

Sie ärgert sich, dass die Bush-Regierung das Problem bagatellisiert, schließlich seien die Truppen im Golf nunmehr den gleichen Gefahren ausgesetzt wie die Truppen damals. Sie bezweifelt auch, dass die Soldaten heute besser ausgerüstet sind. Ende letzten Jahres habe die Meldung für Aufregung gesorgt, dass 250.000 Schutzanzüge der Armee defekt seien. „Hat das Pentagon die Anzüge gegen neue eingetauscht? Hat es nicht.“

Der Frust über ihre ehemaligen Vorgesetzten im Verteidigunsministerium verband sich mit dem Unbehagen über einen neuen Golfkrieg gemäß Präsident Bushs Präventivschlagsdoktrin. „1991 haben wir mit der vollen Unterstützung der Weltgemeinschaft gekämpft. Das war für meine Moral damals enorm wichtig. Doch dieser Krieg gegen den Irak ist nicht gerechtfertigt.“

Gemeinsam mit anderen Exsoldaten gründete sie daher die Organisation „Veterans for Common Sense“, Kriegsveteranen für gesunden Menschenverstand. In wenigen Wochen wurde die Gruppe in den Vereinigten Staaten zu einer wichtigen und gefragten Stimme gegen den Krieg. Und die eher zurückhaltene Cole steht öfter im Licht der Öffentlichkeit, als ihr eigentlich lieb ist. Plötzlich muss sie Interviews geben, steht vor der Kamera und organisiert Protestaktionen. Ihr Job im Wirtschaftsministerium ist fast zur Nebensache geworden.

Ihre Position wird in der Öffentlichkeit jedoch oft falsch verstanden. „Wir sind nicht gegen unsere Soldaten und Armee“, betont sie. Immer wieder muss sie sich dagegen wehren, als anti-amerikanisch abgestempelt zu werden, selbst wenn sie in Interviews nur Fakten über das „Golfkriegssyndrom“ darlegt. Der Vorwurf, sie würde die eigenen Streitkräfte schlecht machen, sitzt tief für sie, die im Krieg ihre Haut für Amerika hingehalten hat.