: Transit ins nächste Kriegsland
Sudanesische Gastarbeiter aus dem Irak flüchten via Jordanien nach Hause. Doch in ihrer afrikanischen Heimat herrscht ebenfalls Krieg
aus Ruweisched KARIM EL-GAWHARY
Es ist eine bizarre Szenerie, die sich in dem gerade neu errichteten Flüchtlingslager in der Nähe der jordanischen Grenzstadt Ruweisched bietet. Wenige Kilometer von der irakischen Grenze entfernt, jagt dort eine Meute von Journalisten, Fotografen und Mitarbeitern internationaler Hilfsorganisationen einer verschreckten Gruppe meist sudanesischer Flüchtlinge hinterher.
Die Flüchtlinge haben es in den vergangenen Tagen geschafft, von Bagdad nach Jordanien zu kommen. In den ersten Tagen spielten sich zum Teil chaotische Szenen ab. Als beispielsweise eine sudanesische Familie in eines der 300 Zelte geflüchtet war und die Stoffbahnen im Inneren zuhielt, zerrte ein Kameramann von außen daran, um einen medialen Einblick in das besitzlose Private eines Flüchtlingslebens zu erhaschen. Inzwischen hat der jordanische Rote Halbmond eine Art Sprechstunde für die gut 200 Sudanesen und Somalis eingerichtet und versucht die Journalisten ansonsten außerhalb des Lagers zu halten.
Die meisten der Sudanesen lebten über ein Jahrzehnt lang als Tagelöhner in Bagdad. Sie gehören zu jenen ausländischen Arbeitern, die selbst während des letzten Golfkriegs und unter zwölf Jahren UN-Sanktionen das Land nicht verließen. Denn dort, wo sie herkommen, ist es nicht friedlicher: Im Sudan herrscht seit 1983 Krieg. Ahmad Ibrahim Jumaa stammt aus dem Westen des afrikanischen Landes. „Ich flüchte von einem ‚müden‘ Land ins andere“, sagt er frustriert. Gerade steht er für seine Registrierungskarte an, die er braucht, damit die Hilfsorganisationen sein Ticket nach Hause bezahlen.
Die Helfer hatten eigentlich mit zehntausenden Flüchtlingen in Jordanien gerechnet, zunächst vor allem, wie im Fall der Sudanesen, mit Menschen aus Drittländern. „Wir haben geglaubt, dass allein jeden Tag 2.000 Ägypter durch dieses Lager geschleust würden“, erklärt der Amerikaner David John. Als Koordinator der „International Organisation for Migration“ ist er für den weiteren Transport der Flüchtlinge in ihre Heimatländer zuständig. „Gestern“, sagt er, „wurden 13 Ägypter weiter in die jordanische Hafenstadt Aqaba und von dort in ihre Heimat geschickt.“
David John ist aber zufrieden: „Wir haben uns auf das Schlimmste vorbereitet. Das vieles davon bisher umsonst war und keine Flüchtlinge kommen, ist eine gute Nachricht.“ Er habe keine Idee, warum im Moment niemand die einsame Landstraße aus dem Irak herunterkommt. Auf hundert Fragen gebe es hundert Antworten.
Elias Bierdel, Leiter der deutschen Hilfsorganisation Cap Anamur, der mit einem Team von Ärzten in Jordanien darauf wartet, in den Irak hineinzufahren, versucht einige davon zu geben. Viele Menschen, sagt er, könnten möglicherweise Bagdad nicht verlassen, weil sie von den Behörden zurückgehalten werden. So mancher sei wohl auch nicht bereit, sein Haus und Hab und Gut einfach zu verlassen, aus Angst vor Plünderungen. Und dann gebe es auf dem Weg zur jordanischen Grenze vielleicht auch Kriegshandlungen, die die Reise unmöglich machten.
Das Ärzteteam von Cap Anamur wartet in mehreren Zelten am Straßenrand von Ruweisched darauf, möglichst bald die Grenze zu überqueren und mit seiner Arbeit zu beginnen. Alle für Operationen notwendigen Apparate stehen für den mobilen Einsatz bereit. Doch bisher ist die Grenze geschlossen. Die jordanischen Behörden und das US-Militär schieben sich dafür gegenseitig die Verantwortung zu. Aus Kreisen des US-Militärs in Jordanien heißt es, im Moment hätten die Jordanier alles dicht gemacht, aber für einen späteren Zeitpunkt sei geplant, kleinere Gruppen mit Mitarbeitern von Hilfsorganisationen ins Land zu lassen, sofern dies die Sicherheitslage erlaube. Wo wer sicher ist, das will allein das US-Militär bestimmen, wie es aus einem Handbuch für humanitäre Operationen unter vielen technischen Details hervorgeht.
Kontrolle ist das Zauberwort. Man wolle mit den Hilfsorganisationen verfahren, wie mit den in die US-Truppen eingebetteten Kriegsreportern, sagt Cap-Anamur-Chef Bierdel. Natürlich müssten sich Hilfsorganisationen mit den Kriegsparteien koordinieren, aber die Entscheidung, wo sie am Ende hingehen, müsse ihnen überlassen bleiben. Pläne der USA, nach denen Zonen geschaffen werden sollen, in denen die Hilfsorganisationen operieren, hält Elias Bierdel für inakzeptabel. Denn dann träfen die Verantwortlichen des US-Militärs die Auswahl, wem geholfen wird und wem nicht.
Der Leiter von Cap Anamur ist allerdings zuversichtlich, dass die Verantwortlichen der US-Streitkräfte mit ihrem Versuch der Kontrolle am Ende aufgeben werden. Kriegsparteien seien für die Zivilbevölkerung in den von ihnen besetzten Gebieten verantwortlich. Die Amerikaner würden früher oder später Hilfe von außen benötigen.
Bis es soweit ist, präsentiert sich das US-Militär selbst als Hilfsorganisation. Die Eroberung des südirakischen Hafens Umm Kasr verkaufen sie als humanitäre Notwendigkeit, um dort Hilfsgüter anliefern zu können. Der britische Militärexperte der BBC, Alan George, nennt diese Darstellung „geschmacklos“. Den militärischen Verantwortlichen gehe es während einer Großoffensive am Ende hauptsächlich darum, in dem Hafen eigenes Geräte auszuladen.
Im Amman sitzt ein Repräsentant des US Desaster Assistance and Response Teams, einer Institution der US-Regierung. Normalerweise kümmert sich diese Einrichtung – ähnlich dem deutschen Technischen Hilfswerk – um die unmittelbaren Folgen von Stürmen und Fluten im eigenen Land. Jetzt soll sie die von den eigenen Truppen angerichteten Schäden begutachten und beheben. Der Vertreter möchte nicht namentlich genannt werden. Vielleicht weil das Budget nur peinliche 110 Millionen Dollar beträgt. Das entspricht etwa 5 Prozent der Kosten eines einzigen B-2-Tarnkappen-Bombers, der derzeit das zerstört, was später wieder aufgebaut werden soll.