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Archiv-Artikel

Algeriens Machtelite bekämpft sich selbst

Vor den Wahlen im April verschärft sich der Machtkampf zwischen Staatschef Bouteflika und Expremier Benflis

Die in Algerien traditionell übermächtige Armee scheint beim Streit die Fäden zu ziehen

MADRID taz ■ Algeriens Machtapparat ist gespalten. Seit im Oktober der ehemalige Premierminister Ali Benflis seine Präsidentschaftskandidatur gegen Amtsinhaber Abdelasis Bouteflika bei den Wahlen im kommenden April anmeldete, gibt es zwei „offizielle“ Kandidaten aus der einstigen Einheitspartei FLN (Nationale Befreiungsfront). Diese befindet sich nun im Prozess der Spaltung, und das könnte zu neuen politischen Turbulenzen in Algerien führen.

Präsident Bouteflika geht davon aus, dass, wie immer in Algerien, der Staatsapparat seine Wiederwahl unterstützt. Aber der einstige Menschenrechtsanwalt Benflis kann fest auf die Basis der FLN und deren Massenorganisationen bauen. Unter ihm gewann die FLN die letzten Parlaments-, Gemeinde- und Regionalwahlen. Er verkauft sich als Erneuerer, der zugleich alte Errungenschaften bewahrt: Als Regierungschef unter Bouteflika 2000–2003 blockierte er die vom Präsidenten gewünschte Privatisierung der Erdölindustrie, die über 90 Prozent der Staatseinnahmen erwirtschaftet. Das führte zum Bruch zwischen Bouteflika und Benflis, der im Mai 2003 als Premierminister entlassen wurde und daraufhin den parteiinternen Machtkampf einleitete. Den vorläufigen Höhepunkt erreichte die Auseinandersetzung zwischen „Cäsar und Brutus“ – wie die algerische Presse die beiden gerne nennt – zum Jahreswechsel. Bouteflika-Anhänger erreichten vor Gericht, dass alle Aktivitäten der FLN ausgesetzt werden. Die Richter annullierten damit einen FLN-Sonderparteitag vom Herbst, auf dem die Mehrheit der Delegierten Benflis zum Präsidentschaftskandidaten wählte. Die Anhänger des Staatschefs versuchen seitdem, die FLN zurück in ihre Hände zu bekommen. Am vorletzten Wochenende hielten sie zu diesem Zweck einen ersten eigenen FLN-Parteitag ab.

Die in Algerien traditionell übermächtige Armee scheint beim Streit um die Macht in der FLN die Fäden zu ziehen. Manche Generäle wollen Bouteflika, den sie vor fünf Jahren durch massiven Wahlbetrug an die Macht brachten, wieder loswerden, weil er zu kompromisslerisch mit den bewaffneten Islamisten des Landes umgegangen sei; der Krieg zwischen diesen und der Armee in den 90er-Jahren forderte über 150.000 Menschenleben. „Die Aussöhnung führt in den Abgrund“, wirft der ehemalige Verteidigungsminister und General a. D. Khaled Nezzar in einem Buch dem Präsidenten vor und spricht dabei für die Armee. „Durch die Amnestie für Gewalttäter erkennt er (Bouteflika) diese Verbrechen als legitim an.“

Benflis erhält nun breite Unterstützung. In den letzten Monaten wurden der unabhängigen Presse, die von Anfang an gegen Bouteflika war, immer wieder gezielt Informationen über das korrupte Umfeld des Staatschefs zugespielt. Die wenigen Umfragen beweisen, dass Bouteflika schwer angeschlagen ist. Wollten im April 2003 noch 66 Prozent dem Staatschef erneut ihr Vertrauen schenken, so sind es jetzt nur noch 34 Prozent, gefolgt von Benflis mit 19 Prozent.

So werden bei der Wahl nicht nur zwei Männer aufeinander treffen, sondern zwei Lager. Auf der einen Seite „die Demokraten, geeinter denn je, zusammen mit einer FLN, die paradoxerweise dem demokratischen Lager näher steht als der Macht“, und auf der anderen Seite „eine breite islamistische Allianz um den Präsidenten“, sagt Le Soir d’Algérie voraus.

Bouteflika legte bei einem Staatsbesuch im Iran demonstrativ Blumen am Grab des Gründers der Islamischen Republik, Ajatollah Chomenei, nieder und traf sich mit dem religiösen Führer des Landes, Ali Chamenei. Und zu Hause redet der Staatschef in den letzten Monaten wieder viel von der „nationalen Aussöhnung“. Im Herbst ließ er eine Kommission einsetzen, die sich mit dem Schicksal der rund 20.000 Verschwundenen des Bürgerkrieges beschäftigen soll. Das ist zum einen ein Schritt in Richtung des islamistischen Umfeldes, zum anderen ein Tritt in den Hintern der Generäle, die nicht wollen, dass die dubiose Rolle von Teilen der Sicherheitskräfte während des Krieges öffentlich thematisiert wird.

Auch ansonsten ist der Präsident auf alles vorbereitet. Nach der Entlassung von Benflis setzte er einen alten Bekannten als Premierminister ein: Ahmed Ouyahia, bereits unter Bouteflikas Vorgänger Zéroual Regierungschef und erfolgreicher Wahlfälscher. REINER WANDLER