Mr Letterman schweißt Tacheles

„Theater“ vor dem Reichstag: Der Künstler Hüseyin Arda will mit seinem Team an zentralen Orten der Stadt hundert Wörter aus Stahl aufstellen. Jeder Buchstabe wiegt 150 Kilogramm. Das Publikum entscheidet mit, welche Nomina Arda schweißt

VON BASTIAN BREITER

Vor dem Sozialamt Neukölln könnte bald in riesigen stählernen Lettern das Wort ZUKUNFT, vor dem Roten Rathaus das Wort UNTERGANG stehen. Vielleicht auch CURRYWURST auf dem Pariser Platz? So, oder auch ganz anders könnte ein Plan des Bildhauers Hüseyin Arda verwirklicht werden. Der türkischstämmige Berliner Künstler möchte aus den Lieblings-Nomina der Berliner etwa hundert monumentale Wörter-Skulpturen machen und diese an zentralen Punkten Berlins aufstellen.

Es ist eine besonders mühsame Art zu schreiben, die Arda derzeit in seiner Metallwerkstatt im Kunsthauses Tacheles betreibt: Fünf bis sechs Buchstaben stellt der 1969 in Eskisehir geborene Autodidakt pro Tag aus Stahlplatten her, unterstützt von einem sechsköpfigen Team. Jede Letter ist etwa 2,25 Meter hoch und rund 150 Kilo schwer. Es sind vor allem freiwillige Helfer und Praktikanten, die sie im flackernden Schein gleißender Schweißbrenner und bei Höllenlärm erschaffen.

Das erste Dutzend Stahlwörter bildet derzeit auf der am Tacheles angrenzenden Freifläche ein Wortlabyrinth. Es sind Schlagworte wie SEX, LIEBE, MUT, HOPE, FEAR oder ESSEN (sprich: Nahrungsaufnahme). Einige dieser Wörter wurden im letzten Jahr an der Friedrichstraße getestet. „Die meisten Passanten waren sichtlich berührt, wenn sie unvermittelt auf HASS oder MUT gestoßen sind“, so der Künstler. „Und es war spannend zu beobachten, welche Wörter die Leute wählen, um sich davor fotografieren zu lassen.“

Interaktivität ist ein Wort, das Arda großschreibt – wenn auch bislang nicht mit dem Schweißgerät. Bei der Auswahl der Begriffe und der Standorte möchte er sich von Publikumswünschen leiten lassen. So habe sich ein älterer Herr von ihm ARBEIT gewünscht. Auch den Vorschlag eines Besuchers seines Internetforums, ein THEATER vor den Reichstag zu stellen, begrüßt Arda. „Ironisch dürfen die Installationen schon sein“, so der Künstler. Er ist sehr gespannt darauf, ob das Publikum lieber politische oder poetische Begriffe ausstellen will. Und ob sich in Kreuzberg türkische Wörter durchsetzen.

Irgendwann im Frühling wird sich auch das Laufpublikum in Mitte etwas wünschen können. Zuvor jedoch erteilt das Projekt sozial benachteiligten Gruppen das erste Wort. Die Premiere ist heute, wenn in einer Werkstatt für geistig Behinderte am Westhafen entschieden wird, welches Wort im Hof der Einrichtung stehen soll. Ardas Team will dafür zwei Lieferwagenladungen Buchstaben als Anschauungsmaterial mitbringen, nur ein E steht bereits. Vorbereitet werden laut Projektmitarbeiterin Jillian Hoppe Wortwahlen in Jugendhaftanstalten, Psychiatrien, Altenheimen und Asylbewerberunterkünften.

Damit diejenigen, die nicht sozial benachteiligt sind, nicht zu kurz kommen, will das Projekt mit Freiwilligen in alle Stadtbezirke gehen, um vor Ort Wunschbegriffe abzustimmen. Bislang hätten sich sowohl die Bezirksämter als auch private Grundbesitzer sehr aufgeschlossen gezeigt, sagt Hoppe.

Damit die Herstellung gewünschter Wörter schnell geht, hält Ardas Team einen Vorrat der häufigsten Buchstaben – E, I, A, R, S, T und N – bereit. Falls dann, nur mal so als Beispiel, der Senat auch ein Wörtchen mitwünschen darf und sich für SPAREN entscheidet, muss nur das P schnell nachgebrutzelt werden.

Informationen unter www.woerter.org