Der Krieg ist kein Thema mehr

Zu Wort melden sich nur diejenigen, die sich mit Ursula Schaffstein ohnehin einig waren und das Bedürfnis haben, ihre Gedanken öffentlich zu machen

„Ich weiß, dass Angela Merkels Position eine andere ist. Wir können darüber diskutieren“

aus Münster HEIKE HAARHOFF
und ERIK HINZ (FOTOS)

Auf den Tischen im „Deutschen Vater“ stehen gelbe Primeln, das Bier kommt auf Pappdeckeln und wer etwas auf sich hält, im dunklen Anzug: CDU-Ortsmitgliederversammlung in Münster-Handorf, Dienstagabend, 28 Christdemokraten und 9 Christdemokratinnen haben sich in der Gaststätte eingefunden.

Kassenbericht des Schatzmeisters, Einnahmen und Ausgaben für Doppelkopfturnier und Pokalkegeln, Jubilarehrung und Neujahrsempfang. Dann wird Josef Rickfelder, 51, als Vorsitzender der Ortsunion bestätigt. 100 Prozent der Stimmen, kein Gegenkandidat. Ursula Schaffstein, 47, beglückwünscht ihn. Sie ist die Kreischefin der mächtigen Münsteraner CDU, Nachfolgerin des in den Bundestag aufgerückten CDU-Außenpolitikers Ruprecht Polenz und Gast der Ortsunion an diesem Abend.

Im Saal lauern Sat.1, der Westdeutsche Rundfunk, die lokale und die überregionale Presse. Registrieren jede ihrer Gesten, spähen nach möglichen Reaktionen unter den Anwesenden.

Denn Ursula Schaffstein hat eine Rede gehalten. Um ihre Sorge, dass ein militärischer Konflikt im Irak „zu tausenden von unschuldigen Todesopfern führt“, ging es da. Um ihre Furcht, „dass die Zeit des Dialogs durch einen Militärschlag der USA beendet wird“. Um ihr Bedauern, dass es „zu einer eindeutigen Haltung des Weltsicherheitsrats nicht gekommen ist“. Und schließlich um ihre Mahnung: „Wir alle hoffen, dass ‚Pax optima rerum‘ und ‚Toleranz durch Dialog‘ wieder Leitsätze der Politik der internationalen Staatengemeinschaft werden!“

Wenige Stunden vor Kriegsbeginn hat sie diese Worte gesagt, im Friedenssaal der Stadt Münster und im Namen des CDU-Kreises Münster. Fast eine Woche ist das her. Eine Woche, in der es rumort hat in der CDU in Münster. So sehr, dass Ursula Schaffstein und ihr Vorgänger Ruprecht Polenz die „Basis“ für den heutigen Donnerstag in Münster zu einer parteiinternen „Aussprache“ zum Irakkrieg einladen.

Ursula Schaffstein weiß, dass ihre Meinung nicht unbedingt die der Mehrheit ist, auch nicht in Handorf. Handorf, das bei der letzten Bundestagswahl das beste Ergebnis der CDU in ganz Münster einfuhr. Handorf, wo der Beitritt zur CDU so selbstverständlich wie die Mitgliedschaft in der katholischen Kirche ist. Handorf, auf dessen Unterstützung eine Frau wie Ursula Schaffstein angewiesen ist, wenn sie weiter Karriere machen will.

Also nutzt sie die Zeit der Stimmauszählung weiterer Vorstandsposten zur Offensive. Ergreift spontan das Wort, verliest ihre Rede von voriger Woche einfach noch einmal, Wort für Wort, vier Seiten insgesamt. Ihre Augen wandern von Tisch zu Tisch, suchen Kontakt. „Ich weiß, dass Angela Merkels Position eine andere ist. Ich weiß auch, dass manche von Ihnen anders über den Krieg denken als ich. Wir können gern darüber diskutieren.“

Da wird es erst mal still.

Noch kurz vor Beginn der Versammlung war der Unmut zumindest leise und im Zweiergespräch zu hören: „Sehr kritisch“ stehe er ihrer Rede gegenüber, sagte da noch Ortsunionschef Rickfelder, denn: „Die Komplexität meiner Meinung findet sich darin nicht wieder.“ Ein „Horror“ sei es ihm, „dass wir jetzt nach Moskau und China schielen und uns dort die politische Meinung abholen“, und wenn schon Demonstrieren und Friedensgebete, das habe er auch seinem Sohn gesagt, dann jedenfalls bitte nicht während der Unterrichtszeit. Oder Jochen Zippelius, 57 Jahre und einst Zeitsoldat, der stichelte: „Es wundert mich schon, dass man sich im aktuellen Fall so intensiv äußert, wo doch fast überall auf der Welt Krieg ist.“ So als gleiche ein Konflikt dem anderen, so als sei der Irakangriff ohne UN-Mandat nicht von anderer politischer Dimension. Oder Veit Baecker, der murrte: „Für mich persönlich ist das Thema Krieg gegessen. Wenn es jetzt parteiinterne Diskussionen gibt, dann sollten die sich besser um den Wiederaufbau drehen.“

Jetzt schweigen sie.

Zu Wort melden sich diejenigen, die sich mit Ursula Schaffstein ohnehin einig waren oder es geworden sind und jetzt das Bedürfnis haben, ihre Gedanken öffentlich zu machen: drei CDU-Mitglieder von insgesamt 37. Da ist der 77-jährige Rentner Hugo Gunnemann, bis Kriegsbeginn „ein Befürworter des Angriffs“, wie er bekennt, und der nun, da der Krieg offensichtlich doch länger als ein paar Tage dauert, ins Grübeln geraten ist. „Die Frage ist doch: Ist dieser Krieg völkerrechtswidrig“, sagt er. „Das sehe ich als das größte Problem, denn ich glaube, er ist es, und mit welchem Recht wird er dann geführt?“ Seine Frage verpufft. Kaum jemand im Saal sieht aus, als habe er Lust auf eine solche Debatte, es ist schon nach 21 Uhr und man tagt seit mehr als eineinhalb Stunden. Und so entspannt sich auch da keine Diskussion, als der 78-jährige Heinz Günther Tillmann noch einmal zaghaft anmerkt, der „Rückschlag“ für die UNO sei erheblich. Er guckt seine Tischnachbarn an, redet weiter: „Sehr betrüblich ist es, dass es nicht gelungen ist, einen friedlichen Weg zu gehen.“ Keine Gegenrede, keine Zustimmung. Heinz Günther Tillmann verstummt.

Martina Klimek ist die Letzte, die die Auseinandersetzung sucht. „Seit 21 Jahren bin ich mit einem Berufssoldaten verheiratet“, ruft sie. Sie wisse, wovon sie rede. „Wir dürfen es nicht hinnehmen, dass eine einzelne Macht einfach macht, was sie will. Oder aber wir brauchen keine Allianz mehr!“

Der Diskussionsleiter stellt „keine weiteren Anmerkungen“ fest, und so kann im „Deutschen Vater“ zu Münster-Handorf mit knapp zehnminütiger Verzögerung zur turnusmäßigen Tagesordnung zurückgekehrt werden: der Zusammenlegung von zwei Schulen im Ortsteil Handorf. Länger als eine halbe Stunde werden das Für und Wider leidenschaftlich erörtert.

Beim Hinausgehen wirkt Ursula Schaffstein zufrieden. Niemand hat sich getraut, ihr öffentlich zu widersprechen. Vergnügt verabschiedet sie sich, „bis Donnerstag“. Bis zur wirklichen Aussprache. Oder? Die Kreischefin macht nicht den Eindruck, als könne sie die Aussicht stressen.