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Archiv-Artikel

Voll durch den Wolf gedreht

Es ist seine erste Saison als Profi-Torhüter in der Fußball-Bundesliga. Doch weil sich der Schlussmann von Werder Bremen Fehler leistete, wurde er zum Buhmann von Fans und Funktionären. Schon tourt Sportmanager Allofs durch Südamerika, um einen Besseren zu suchen. Ein Treffen mit Pascal Borel

„Der Verein ist mir nicht scheißegal, er hängt mir am Herzen“

taz ■ Der feine Herr Senator wurde ausfällig. „Eine Zumutung für uns Zuschauer“ sei dieser Typ, wetterte Josef Hattig, der in Bremen eigentlich für Wirtschaft und Häfen zuständig ist, aber natürlich gerne seinen Senf zur Leistung des Werder-Torhüters gab. Das war nach der 1:2-Heimniederlage gegen 1860 München im Februar, und Hattigs Satz war Populismus pur. Kurz zuvor nämlich hatte die Ostkurve kollektiv den eigenen Torhüter ausgepfiffen – und hämisch applaudiert, wenn Pascal Borel einen harmlosen Ball gefangen hatte.

Er habe Herrn Hattig zwar noch nie persönlich getroffen, sagt Borel jetzt, ein paar Wochen später, „doch wenn ein Senator Hattig so was sagt, ist das ok“. Man weiß nicht genau, ob er das jetzt ernsthaft oder ironisch meint. Klar ist nur, dass Bitterkeit mitschwingt. Auch wenn sich Borel bemüht, sie zu unterdrücken. Man ist ja Profi.

Seit fünf Jahren lebt Pascal Borel in Bremen. „Vom ersten Tag an habe ich mich hier wohlgefühlt, Bremen ist eine super Stadt“, sagt der 24-Jährige, und seine Begeisterung klingt authentisch. Thomas Schaaf, der damals Werders Amateure trainierte, hat Borel entdeckt. Quasi im letzten Moment. Fast wäre der Junge aus dem kleinen Örtchen Friedrichstal bei Karlsruhe, der „mit Ach und Krach“ zweiter Torwart der A-Jugend von Waldhof Mannheim geworden war, zu einem badischen Oberligisten gegangen, „mit gleichzeitiger Lehrstelle im kaufmännischen Bereich“. Doch dann entschied er sich für Schaaf und die Profi-Karriere. Und erfüllte sich seinen Jugendtraum: „Mit 14 bin ich schon nicht in Discos gegangen und hab’ mich volllaufen lassen, sondern ich habe trainiert.“

Spricht man Borel auf seine Patzer an, auf die unzähligen, vernichtenden Artikel in der Boulevardpresse, die „Pannen-Pascal“ so gern dem Gespött preisgibt, auf die ran-Datenbank, die ihn als „schwächsten Bundesliga-Torwart der Gegenwart“ führt, auf seinen eigenen Torwarttrainer Dieter Burdenski, der ihn in Frage stellt, auf Intrigen gegen ihn aus dem Werder-Aufsichtsrat heraus – dann blockt Pascal Borel das alles zunächst mit beschwichtigenden Floskeln ab. „Damit muss man leben“, sagt er,„das ist halt so“, oder: „Dazu äußere ich mich nicht.“

Irgendwann aber lässt Pascal Borel doch durchblicken, wie tief die Enttäuschung sitzt. Vor der Saison sei ihm von allen Seiten im Verein gesagt worden: „Du bist noch jung, in deiner ersten Bundesliga-Saison dürfen auch Fehler passieren.“ Doch dann sei sein erstes „schwächeres Spiel“ gekommen – „und man hat mich voll durch den Wolf gedreht, auf einmal waren sie alle am Heulen“. Jetzt heiße es, er habe „in der ganzen Vorrunde scheiße gehalten“.

Doch der junge, bekennend ruhige Torhüter („das ist besser als ein Kasper zu sein, der nur rumschreit“) ist auch Realist: Sicher habe er Fehler gemacht. „Und es gab kein einziges Spiel, wo ich mal die Kohlen aus dem Feuer geholt, das ich für uns entschieden habe“, bedauert Borel. Sein Vertrag läuft zum Ende dieser Saison aus, bisher hat der Verein noch keine Anstalten gemacht, ihn zu verlängern.

Klar ist, dass Werder zur nächsten Saison mindestens einen neuen Torhüter verpflichten möchte. Das heißt: Entweder Jakub Wierzchowski oder Borel muss gehen. Gerade diese Woche soll Sportdirektor Klaus Allofs in Argentinien gewesen sein, um einen südamerikanischen Torwart unter die Lupe zu nehmen.

„Ich hoffe, dass die sportlichen Entscheidungen auch von den für den Sport Verantwortlichen im Verein entschieden werden – und nicht von anderen oder von der Öffentlichkeit“ – kein Zweifel, Pascal Borel will um seinen Vertrag kämpfen. Schließlich fühle er sich noch immer wohl in Bremen, habe in den letzten fünf Jahren nicht ein Heimspiel verpasst. „Der Verein ist mir nicht scheißegal, er hängt mir am Herzen“. Auch wenn er vielleicht manchmal „arrogant“ rüberkomme: „Wer mich kennt weiß, dass mein Herz grün-weiß ist“.

Mittlerweile gibt’s sogar Hoffnungsschimmer für den Werder-Buhmann: Borel wurde ins „Team 2006“ berufen, eine Art B-Nationalmannschaft aus jungen Leuten mit Perspektive für die WM in Deutschland. Eine Halbzeit lang durfte er dort schon spielen. Und zumindest an den letzten Niederlagen des SV Werder waren eindeutig die Feldspieler Schuld: „Die haben derzeit einfach Scheiße an den Füßen“, sagt Borel. Markus Jox