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Archiv-Artikel

Kurzer Prozess mit Prozess?

Das Verwaltungsgericht hat der Klage eines Angeklagten im RZ-Prozess wegen geschwärzter Akten einstweilig Recht gegeben. Heute könnte das Verfahren ausgesetzt werden – länger als erlaubt

von CHRISTOPH VILLINGER

Platzt demnächst der Prozess gegen fünf mutmaßliche Mitglieder der Revolutionären Zellen (RZ) vor dem Berliner Kammergericht? Diese Überlegung legt ein jüngst ergangenes Urteil des Berliner Verwaltungsgerichts nahe. Dort hatte der Angeklagte Harald Glöde dagegen geklagt, dass das Bundesamt für Verfasssungsschutz (BfV) 197 Seiten Vernehmungsprotokolle des Kronzeugen Tarek Mousli aus dem Frühjahr und Sommer 2000 dem Kammergericht nur weitgehend geschwärzt zur Verfügung gestellt hatte. Das BfV argumentierte, ihr Bekanntwerden würde „dem Wohl des Bundes Nachteile bereiten“. Glöde strengte deshalb ein Eilverfahren beim Verwaltungsgericht an, und das hat ihm vergangene Woche einstweilig Recht gegeben. Seine Klage habe „Aussicht auf Erfolg.“ Die eigentliche Entscheidung vertagte es zwar auf ein „Hauptsacheverfahren“, bis dahin allerdings hat Glöde „einen Anspruch auf Aussetzung des Hauptverhandlung vor dem Strafgericht“.

Glödes Anwältin Silke Studzinsky hat bereits angekündigt, heute „einen unbedingten Aussetzungsantrag zu stellen“. Damit sitzt der 1. Strafsenat des Berliner Kammergerichts unter Vorsitz von Gisela Hennig in der Falle. Stimmt er dem Antrag zu, platzt der Prozess, denn ein Strafprozess darf längstens um 30 Tage unterbrochen werden. Das Hauptsacheverfahren vor dem Verwaltungsgericht wird aber noch Monate dauern. In diesem Falle müsste der Prozess nach der Entscheidung des Verwaltungsgerichts ganz von vorn vor einem anderen Gericht neu begonnen werden.

Allerdings muss das Kammergericht Glödes Aussetzungsantrag nicht zustimmen. „Frei nach dem Motto ,In meiner Badewanne bin ich Kapitän‘ kann das Gericht den Antrag auch ablehnen“, sagte Wolfgang Kaleck, Verteidiger von Matthias Borgmann, einem weiteren Angeklagten. Dafür riskiere es, dass eine eventuelle Verurteilung der Angeklagten in der Revision kassiert werde, weil es „einer Aufklärungspflicht nicht nachgekommen ist“, ergänzte Studzinsky. „Oder“, sagt Kaleck, obwohl er kaum an diese Möglichkeit glaubt, „das Gericht haut jetzt mal ordentlich auf den Tisch und verlangt von den Verfassungsschutzämtern und dem Bundeskriminalamt (BKA), dass sämtliche Aktenkonglomerate ungeschwärzt zur Verfügung gestellt werden“.

Die Anwälte erhoffen sich davon „entlastende Momente für die Angeklagten“. So sei im Prozess in den letzten Monaten herausgekommen, dass das BKA im Hintergrund eine so genannte Strukturakte führe. Was nicht zur Aussage des Kronzeugen Mousli passte, schätzte das Amt als „nicht verfahrensrelevant“ ein. Beispielsweise behauptete Mousli, ein Wolfgang B. sei Mieter einer konspirativen Wohnung der RZ in der Oranienstraße gewesen. Als das BKA nun ermittelte, dass B. zum fraglichen Zeitpunkt nicht Mieter in diesem Haus war, verschwand diese Erkenntnis in den Strukturakten.

Nicht nur deswegen äußerten die Anwälte im Prozess immer wieder den Verdacht, dass nicht alle Ermittlungsakten auf dem Tisch liegen. „Inzwischen gibt es dafür immer mehr konkrete Hinweise“, so Kaleck, „und jetzt fühlen sich alle die bestätigt, die behaupten, dass in Staatsschutzverfahren andere Regeln gelten.“ Auch das Verwaltungsgericht argumentiert in seiner Eilentscheidung, „dass eine bestimmte Vernehmungsweise quasi Geschäftsgrundlage war, die naturgemäß zu einer Veränderung der Aussageinhalte geführt haben muss. Denn dem Erinnerungsvermögen des Zeugen Mousli wurde insofern unterstützende Hilfe zuteil, als ihm unter anderen Namen und Fotos seitens der Vernehmenden vorgehalten wurden.“ So sagt Mousli in einer der wenigen nicht geschwärzten Stellen „… wenn sie mir den vorhalten, erinnere ich mich wieder dran. Aus eigener Erinnerung komm ich nicht drauf.“

Das Verwaltungsgericht entschied nun, dass Glöde ein Recht darauf habe zu erfahren, „in welchem Umfang und welche Themen betreffend“ eine „Entwicklung“ der Aussage stattfand. Unabhängig davon, ob, „ein ‚Soufflieren‘ oder schlicht ein Wiedererlangen zwischenzeitlich in Vergessenheit geratener Kenntnisse“ vorlag.

Da die ganze Anklage fast ausschließlich auf den Aussagen des Kronzeugen beruht, ein pikanter Satz. Mousli hatte Harald Glöde ursprünglich beschuldigt, 1987 am Sprengstoffanschlag auf die Zentrale Sozialhilfestelle für Asylbewerber beteiligt gewesen zu sein. Nur: Glöde befand sich zu diesem Zeitpunkt in Haft. Als die Vernehmer Mousli damit konfrontierten, korrigierte er seine Aussage. „Es ist einfach nicht mehr feststellbar“, so Kaleck, „was eigenes Wissen ist und was souffliert wurde.“ Mouslis Aussagen seien deshalb nicht verwertbar, „das Strafverfahren ist einzustellen“.