Ein Musiker will nicht schweigen

Im Konzert soll man in Dänemark nicht gegen den Krieg sein. Das erfährt nun der deutsche Dirigent Gerd Albrecht

Es spricht der Dirigent: „Sollen Musiker immer schweigen? Die Antwort lautet nein. Ich will gegen die dänische Regierung protestieren, die die Bombenangriffe gegen den Irak unterstützt.“ Mit diesen Worten wandte sich Gerd Albrecht, Chef des Kopenhagener Radiosinfonieorchesters, in einem Konzert an sein Publikum. Es hagelte Proteste. Sein Arbeitgeber, der Dänische Rundfunk, drohte dem 67-Jährigen mit Entlassung, sollte er das Podium wieder zur politischen Meinungsäußerung missbrauchen. Die rechtsgerichtete Dänische Volkspartei verlangte gar die Absetzung des Dirigenten.

Ein bequemer Künstler ist Albrecht nie gewesen. Aber sein Engagement hat sich bislang immer auf die Musik beschränkt. Als herausragender Operndirigent hat er sich weniger um die Pflege eines bürgerlich abgehangenen Repertoires geschert und sich stattdessen auf die Nebenwege der Musikgeschichte begeben. Er hat wenig bekannte Werke wie Gaspare Spontinis „Olimpia“ oder Karl Kreneks „Karl V.“ eingespielt und zeitgenössische Opern von Hans-Werner Henze, György Ligeti oder Wolfgang Rihm aufgeführt.

Albrechts ästhetische Grillen haben sich nie in genialischer Extravaganz niedergeschlagen. Seine Interpretationen gerieten reif und durchdacht. Der Künstler trat hinter dem Werk zurück und sorgte für einen bravourös reservierten Orchesterklang, vor dem sich die Stimmen bewegen und entfalten konnten. Als Albrecht Ende der Achtzigerjahre eine Zemlinsky-Renaissance einleitete, ließ er sich nicht von den vollmundigen Partituren zu blinden Klangorgien verleiten, in denen Dirigenten heute, da der frühmoderne Komponist zum Kanon des Konzertrepertoires gehört, ihre Hörer gerne ertränken. Und seine Interpretation des „König Kandaules“ gilt der Zemlinsky-Forschung nicht zuletzt deshalb als Referenzeinspielung.

Als musikgeschichtlich engagierter und handwerklich erstklassiger Musiker geschätzt, wurde er seit 1975 zum Chef des Tonhalle-Orchesters in Zürich, der Hamburger Oper und, als erster Nichttscheche, der Tschechischen Philharmoniker ernannt. Prag musste er allerdings bald wieder verlassen, gegen den Deutschen kam es zu Intrigen. 1998 schließlich wurde Albrecht zum Generalmusikdirektor des Dänischen Rundfunks berufen.

Hier nun verstieß Albrecht gegen zwei ungeschriebene Gesetze, die in Dänemark offensichtlich noch Gültigkeit haben: Eine Berufung zum Dirigenten ist kein politisches Mandat, so lautet das eine. Und das andere: Die Arbeit in einem fremden Land verpflichtet zu einem gewissen Maß an Respekt vor dessen politischer Kultur.

„Wir haben ihn ausschließlich als Dirigent engagiert“, erklärte Per Erik Veng, der Direktor des Orchesters. Dem ist allerdings entgegenzuhalten, dass ein Dirigent des Kopenhagener RSO kein dienstfertiger Beamter ist. Und Albrechts Ansprache ist ja auch kein Einzelfall. In Berlin wandten sich sowohl Sir Simon Rattle als auch Daniel Barenboim an ihr Publikum, um die Musik gegen Krieg und Gewalt ins Feld zu führen. Dies als Missbrauch der Öffentlichkeit auszulegen, ist niemandem eingefallen.

Man stelle sich allerdings vor, ein amerikanischer Dirigent hätte vor deutschem Publikum die aus seiner Sicht feige Verweigerung der deutschen Kriegspolitik angeprangert!

BJÖRN GOTTSTEIN