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Archiv-Artikel

Ein Monster im Spiegel

Deutsches Fernsehen soll schlecht sein? Unfug: Die spanische TV-Landschaft zeigt, wie richtig mies Fernsehen sein kann. Rund um die Uhr ein Mix aus Banalem, Gewalt, Sexismus, Flachsinn. Kurz: „Telebasura“, Müllfernsehen. Woran liegt’s?

AUS MADRID REINER WANDLER

Luis Anel ist unzufrieden. „Der Typ spielt einfach nicht mit.“ Er meckert über Humberto Janeiro, Vater des Stierkämpfers Jesulín de Ubrique. Der ältere Herr, zu Gast im Studio des Privatsenders Antena 3, soll bei „¿Dondé estás, corazón?“ (Wo bist du, Liebling?) Fragen zu Seitensprüngen, Eheproblemen und dem Verhältnis zu seinen Kindern beantworten.

Aber der Gast weicht geschickt aus. Der Moderator weiß ebenso wie die fünf eingeladenen Journalisten der großen spanischen Tratschpostillen, worum es geht: um Einschaltquoten. Doch dem Wunsch nach spektakulären, unflätigen Bekenntnissen entzieht der Gast sich zunächst hartnäckig. Janeiro wird als „Lügner“, „schlechter Vater“ und als „geldgierig“ beschimpft, ja, er muss sich vorhalten lassen, Paparazzi informiert zu haben, als seine Tochter barbusig am Strand lag. Keine wütende Reaktion von Janeiro. „Der ist abgekocht“, schüttelt Luis Anel den Kopf.

Anel, Produzent der vierstündigen Sendung zur Primetime am Freitagabend, hockt auf einem Treppenabsatz am Eingang des Kontrollraumes und hat die gegenüberliegende TV-Wand fest im Blick. Dort sind die verschiedenen Kameraeinstellungen sowie Videos und Fotos aus Janeiros verpatztem Familienleben zu sehen. Bei besonders machistischen Sprüchen Janeiros lacht die Meute auf: Die Show kommt doch noch in Fahrt.

Reklamepausen werden strategisch platziert. Ist das Interview besonders pikant, lässt das Team die Show weiterlaufen – bis zu einer Stelle, an der das TV-Publikum dringend wissen möchte, wie die Pointe lautet. Dann wird Werbung gezeigt. 50 Minuten Werbung zu 6.000 Euro je Minute werden in den 4 Stunden eingespielt. Das Geschäft mit dem Tratsch lohnt sich.

Antena 3 hat gleich drei solcher Showprogramme. Täglich versorgen sie das Publikum mit Informationen über Stars und Sternchen. Janeiro ist ein Promi, wie er künstlicher nicht hätte hervorgebracht werden können: Zunächst wurden mittels Paparazzi-Videos die Seitensprünge des unbekannten Stierkampfvaters enthüllt. Als dann sein Ehekrieg ausbrach, durfte Janeiro live im Fernsehen „seinen Ruf verteidigen“. Prämien für „Exklusivinterviews“ taten ein Übriges, um ihn bei Laune zu halten.

In anderen spanischen Sendern sieht es ähnlich aus. Auch dort füllen Talkshows zu Themen wie „Er hat mich zum Analsex gezwungen“ oder „Mein Mann geht mit meiner Schwägerin fremd“ die Sendezeit. Frustrierend: Egal wohin der Zapper fliehen möchte, landet er bei einer Sendung, in der Menschen wild durcheinander schreien.

Eine deprimierende Entwicklung: Der Programmanteil von Kino und Kultur geht Jahr für Jahr zurück. Reportagen und Filme gibt es seit Jahren, wenn überhaupt noch, nur nach Mitternacht. Was sich in anderen Ländern wie Deutschland auf einige Sender beschränkt, ist in Spanien rund um die Uhr zum Normalzustand geworden. „Telebasura“, Müllfernsehen, nennen das Zeitungen wie El País. Und so mancher Politiker schimpft mit – ändern tut sich nichts.

Produzent Anel, ein alter Fernsehhase, hat von Kinderprogrammen über Sport, Musik und Quizshows alles gemacht – „damals, als es noch gute Unterhaltung gab“. Es ist ihm sichtlich peinlich, zu „¿Dónde estás, corazón?“ befragt zu werden. Und er bekennt schließlich: „Es ist eigentlich belanglos, was wir da zeigen. Doch wenn du dem Publikum diese Leute Tag für Tag vorsetzt, dann sind die irgendwann wer – und wenn sie wer sind, will man sie wieder sehen.“

Manfredo Giamppolo von der Produktionsfirma Quarzo, die das Programm inhaltlich vorbereitet, sieht das anders. Der 32-Jährige ist anders als Luis Anel frei von schlechtem Gewissen. Er nennt sich „Gesellschaftsjournalist“, der ein „Informationsbedürfnis der Bevölkerung“ befriedige. Woche für Woche „beobachtet“ der TV-Macher „die Szene auf der Suche nach Aktualität“.

Ob Gelder für die Interviews fließen – auf den Gängen von Antena 3 wird gemunkelt, dass Janeiro 80.000 Euro für den Abend einsteckt –, darüber schweigt Giamppolo sich aus.

Er beendet das Gespräch, um noch einmal deutlich zu bekräftigen, dass „die Leute das sehen wollen“. Wobei er nicht wünscht, das versteht sich, als Teil dieser „Leute“ gesehen werden. Giamppolo beteuert also ungefragt, er schaue „zur Entspannung ‚Friends‘ oder ‚Sex in the City‘.“ Das aber sind amerikanische Serien, die in Spanien nur empfängt, wer Pay-TV abonniert hat.

Und diese Haltung findet Mariola Cubells empörend. „Für so jemanden ist das Publikum nichts weiter als eine breite Masse von Analphabeten“, sagt die Pionierin dieser Art von Fernsehen. Acht Jahre lang arbeitete die junge Journalistin im Regionalsender von Valencia, Canal 9, wo gleich mehrere jener Formate erfunden und erprobt wurden, die heute alle nachahmen. Dann kamen ihre Zweifel an der Güte des Programms – und mit den Zweifeln der Ausstieg.

Mit ihrem Buch mit dem Titel „¡Mírame, tonto!“ (Schau her, Dummkopf!), ermöglicht sie dem breiten Publikum einen Blick hinter die Kulissen. Sie schreibt auf, wie die Gäste gezielt dazu gebracht werden, zu weinen, zu schreien oder andere Menschen zu beleidigen. In jedem Sender gibt es eine Kartei mit Personen, die dafür bekannt sind, dass sie in Talkshows spontan besonders sexistische Sprüche oder Rassistisches von sich geben. „Monster werden regelrecht aufgebaut“, sagt Cubells.

Zwar ist in jüngster Zeit die Zahl der Fernsehzuschauer insgesamt gesunken – aber die Verluste sind vor allem im Segment der Bessergebildeten und Besserverdienenden zu beklagen gewesen. Der Anteil von Menschen mit niedriger Ausbildung, Hausfrauen und Rentnern, für die das Fernsehen das Hauptmedium wird, steigt indes stetig. Das junge und städtische Publikum bevorzugt, wenn überhaupt Fernsehen, das gehaltvollere Pay-TV.

„Telebasura hält uns einen Spiegel vor, und es ist ein grobes und groteskes Gesicht, was da erscheint“, sagt der Soziologe Enrique Gil Calvo. „Wir sind einfach so. Die volkstümliche, spanische Kultur war schon immer obszön, auch wenn wir das immer gut zu verstecken wussten. Jetzt können wir hinter die Fassade blicken: Und was es dort gibt, ist die typische, maskuline Grobschlächtigkeit, wie sie früher nur von Männern unter sich gepflegt wurde.“

Gil Calvo fürchtet, dass diese Art Fernsehen junge Zuschauer quasi infiziert: „Diese Programme führen vor, dass man, um es zu etwas zu bringen, nicht nur sehr wettbewerbsorientiert sein muss, sondern zugleich auch roh und unanständig.“

Viele Eltern benutzen Fernsehen als Kindermädchen. Spaniens Kinder zwischen sieben und zwölf Jahren verbringen täglich durchschnittlich drei Stunden vor der Flimmerkiste. Und das bei einem Programm, bei dem nicht einmal zehn Prozent für die Kleinsten bestimmt sind. Umfragen zeigen, dass immer mehr Kinder Gewalt, Beleidigungen und sexistisches Verhalten als normal ansehen.

„Das Müllfernsehen bietet ein völlig verdrehtes Bild der Welt der Erwachsenen und prägt so das Verhalten vieler Jugendlicher“, sagt TV-Aussteigerin Cubells. Spanien ist das einzige europäische Land, in dem es kein Kontrollgremium gibt, das den TV-Inhalt einer moralischen und berufsethischen Kontrolle unterzieht. Während die fünfte Auflage ihres Buches „¡Mírame, tonto!“ verkauft wird, wartet die Autorin noch immer auf eine Reaktion ihrer früheren Kollegen. „Gewissensbisse kennen die Programmverantwortlichen keine. Die schlechte Lage auf dem Arbeitsmarkt hilft, dass sie klaglos mitspielen“, sagt Cubells so verständig wie ernüchtert.

Aber sie sieht auch die Überzeugungstäter, die keine ethischen Probleme mit diesen Müllprogrammen haben: „Einmal zu Weihnachten hat uns der Chef einen Müllsack geschenkt. Er hat dabei hämisch gegrinst.“