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Archiv-Artikel

Über unsere Köpfe hinweg

Was würde eigentlich Schlimmes passieren, wenn Deutschland den USA die Überflugrechte für ihre Bomber verweigerte? Wohl kaum etwas

aus Berlin BETTINA GAUS

Außenminister Joschka Fischer bezeichnete die Diskussion über die Gewährung von Überflugrechten für US-Maschinen bereits Ende letzten Jahres als „Debatte von gestern“. Er hat sich getäuscht – Gegnerinnen und Gegner des Krieges gegen den Irak halten das Thema weiterhin für eine der wichtigsten Fragen von heute. Die Antikriegskampagne Resist will morgen mit einer gewaltfreien Blockade der Frankfurter US-Airbase ihre Forderung unterstreichen, der britischen und der US-Luftwaffe sofort die Flugrechte im deutschen Luftraum zu entziehen. Die Organisatoren sehen in der Airbase eine Drehscheibe für den Aufmarsch der US-Streitkräfte und den Transport von Nachschubmaterial in Richtung Irak.

Weiß man, ob das stimmt? Die Bundesregierung hat eigenen Angaben zufolge keine Ahnung. Regierungssprecher Béla Anda erklärte am Montag in Berlin, er habe „keine Kenntnis“ darüber, wozu die USA die Überflugrechte nutzten und ob sie möglicherweise Bomber aus Deutschland starten ließen. Verteidigungssprecher Hannes Wendroth teilte mit: „Ich weiß nicht, wo die Amerikaner ihre Flugzeuge stationiert haben.“

Falls sich die Bundesregierung irgendwann doch für diese Fragen interessieren sollte, kann sie ja mal bei der Deutschen Flugsicherung in Langen nachfragen. Die hat inzwischen bestätigt, dass sich seit Beginn des Golfkrieges täglich dutzende von Flugzeugen der britischen und der US-Luftwaffe im deutschen Luftraum bewegen, darunter offenbar auch B-52-Bomber aus Großbritannien. Eine Behördensprecherin teilte mit, dass allein auf der Frankfurter US-Airbase täglich zwischen 60 und 80 Maschinen starten und landen, überwiegend vom Typ Galaxy und Starlifter.

Für das demonstrative Desinteresse der rot-grünen Koalition gibt es politische Gründe. Die Regierung will das Thema aus der öffentlichen Debatte heraushalten – schließlich hat sie den USA die Überflugrechte zugesichert, ohne diese Genehmigung an Bedingungen wie etwa ein UN-Mandat für einen Angriff auf den Irak zu knüpfen. Es ist nicht angenehm, eine solche Zusage rückgängig machen zu müssen.

Kein Wunder, dass Bundeskanzler Gerhard Schröder gerade erst die SPD-Abgeordneten auf einer Fraktionssitzung gebeten hat, sich nicht auf Nebenfährten juristischer Erörterungen zu begeben, und dass er im Bundestag dafür warb, Diskussionen „über unterschiedliche Positionen im Völkerrecht“ nicht in den Vordergrund zu stellen. Würde nämlich der Irakkrieg vom Parlament eindeutig als völkerrechtswidrig definiert, dann dürfte die Regierung den USA aus verfassungsrechtlichen Gründen weder Überflugrechte noch Mobilität auf deutschem Territitorium gewähren. Das brächte die Koalition in eine prekäre Zwickmühle.

Auf Hilfe in der Not darf sie seitens der Opposition hoffen. So gerne nämlich einerseits Union und FDP der Regierung inkonsequentes Handeln nachweisen möchten, so wenig möchten sie andererseits für eine weitere Verschlechterung des transatlantischen Klimas in Mithaftung genommen werden. Was aber hätte man sich unter dieser allseits befüchteten Verschlechterung überhaupt konkret vorzustellen? Was für Folgen zöge eine Verweigerung der Überflugrechte wohl nach sich? Angesichts der Entwicklung der letzten Monate: vermutlich gar keine.

Noch vor einem halben Jahr sah das anders aus. Damals gab es durchaus Grund zu der schüchternen Hoffnung, dass sich die USA doch noch in multinationale Organisationen würden einbinden lassen. Eine Verweigerung der Überflugrechte barg zu diesem Zeitpunkt die reale Gefahr einer Verhärtung der Fronten in sich – die es ja nun gerade auch aus Sicht der Kriegsgegner zu verhindern galt.

Die Hoffnung hat getrogen. Der schlimmste vorstellbare Fall ist eingetreten, und inzwischen weiß die Welt, welch niedrigen Stellenwert die gegenwärtige Regierung in Washington internationalen Gremien einräumt. So deprimierend diese Einsicht auch ist: sie vergrößert den nationalen Handlungsspielraum befreundeter Regierungen. Indem nämlich die US-Administration deren Bedenken vollständig übergangen hat, hat sie sich zugleich jedes eigenen Drohpotenzials begeben. Lässt man die psychologische Komponente außer Acht, die jeglichen Widerspruch gegen die Weltmacht als gefährlich erscheinen lässt, dann haben die USA inzwischen kaum noch Möglichkeiten, unbotmäßige Verbündete abzustrafen.

Deutlich wird das am Beispiel der US-Basen in der Bundesrepublik. Immer wieder lässt das Pentagon durchblicken, man arbeite an Planspielen, die Stützpunkte in willfährigere europäische Staaten zu verlegen. Wer die Stationierung von US-Streitkräften in der Bundesrepublik nicht grundsätzlich ablehnt, den mag diese Drohung schrecken. Nicht allein aus sicherheitspolitischen Erwägungen, sondern auch aus wirtschaftlichen Gründen: Immerhin lassen die ausländischen Militärs allein in der Pfalz jährlich rund eine Milliarde Euro. Auf dieses Geld verzichtet man nicht leichten Herzens.

Ohnehin ist jedoch unwahrscheinlich, dass es dazu kommt. Jeder US-Regierung ist viel Vergnügen bei dem Versuch zu wünschen, dem Kongress substanzielle Mittel für eine Schwächung – nicht etwa für eine Stärkung! – der Streitkräfte zu entlocken. Genau dazu würde eine Verlegung der Truppen in ein Land wie beispielsweise Polen führen. Allein mit der Verlegung großer Kapazitäten von der Rhein-Main-Airbase nach Ramstein sind in den nächsten Jahren immense Kosten und erhebliche Schwierigkeiten verbunden. Ein Umzug nach Polen kostete Milliarden und dauerte Jahre. Das ist viel Aufwand für eine Strafexpedition. Man sollte die Rationalität von US-Abgeordneten nicht unterschätzen.

Aber es gehe doch um weit mehr, argumentieren Befürworter eines weichen Kurses gegenüber Washington. Die Existenz der Nato stehe grundsätzlich in Frage. Das habe sich schon daran gezeigt, dass die Allianz am Feldzug gegen Afghanistan nicht beteiligt gewesen sei. Stimmt. Aber kann allein die Erteilung von Überflugrechten einen Prozess stoppen, der längst stattfindet? Die Nato bleibt von strategischen Überlegungen in Washington sowieso ausgeschlossen.

Der Charakter der Allianz hat sich schon 1991 geändert. Bereits damals schrieb ein neues Nato-Konzept fest, dass „die Sicherheitsinteressen des Bündnisses“ durch Gefahren wie beispielsweise „die Unterbrechung der Versorgung mit lebenswichtigen Ressourcen“ – lies: Öl – beeinträchtigt werden können. Der Strategiewechsel von „kollektiver Verteidigung“ zu „kollektiver Sicherheit“ im Jahre 1999 und die neue amerikanische Sicherheitsstrategie vom Oktober 2002, die die Doktrin der vorbeugenden Selbstverteidigung enthielt, waren weitere Schritte auf dem Weg zu einem globalen, erweiterten Sicherheitsbegriff.

Der Krieg gegen den Irak ist nun nicht mehr als der Beweis dafür, dass all diese Deklarationen ernst gemeint waren. Die Interessen von Europa und die der USA driften auseinander. Europa setzt stärker auf politische Integration als auf militärische Interventionsfähigkeit. „Die Nato war immer beides, ein militärisches und politisches Bündnis. Es wird künftig politischer und europäischer auf Kosten seiner militärischen Substanz“, schreibt Klaus-Dieter Schwarz von der „Stiftung Wissenschaft und Politik“.

Den USA gefällt diese Entwicklung nicht – und daran wird die bloße Genehmigung von Überflugrechten nichts ändern. Allerdings lässt sich der vorhersehbare Ablösungsprozess gewiss ohne offenen Bruch sanfter gestalten. Es ist eine Frage der politischen Prioritäten, ob man dafür einen möglichen Verfassungsbruch in Kauf nimmt.