Warnstreik mit Zitronenfalter

Durch längere Arbeitszeit kann man Arbeitsplätze schaffen, meinen die Arbeitgeber. Zitronenfalter falten doch auch keine Zitronen, sagt die IG Metall

AUS FRANKFURT AM MAIN HEIDE PLATEN

Das italienische Kampflied „Bandiera rossa“, Songs von Janis Joplin und Arbeiterlieder hallen über die endlos lange Carl-Benz-Straße im Frankfurter Industriegebiet am Fechenheimer Mainbogen. Eine halbe Stunde vor Beginn des Warnstreiks stehen Bernd Rübsamen, Erster Bevollmächtigter der IG Metall, und seine Stellvertreterin Katinka Poensgen mit ihrem Lautsprecherwagen noch einsam und allein vor dem Tor der Firma Siemens AG Schaltanlagenwerk Frankfurt und machen Musik. Mit viel Resonanz rechnen sie nicht.

Der Betrieb hat rund 800 Mitarbeiter, davon über 200 in Leiharbeit. Im Winter sind die Hallen leer, denn die Geschäfte gehen schlecht. „Flexibel“, sagt Rübsamen, „sind die hier jedenfalls schon jetzt bis zum Gehtnichtmehr. Die haben drei Schichten, Zeitkonten, Leih-, Kurz-, Mehrarbeit.“ Als Erster kommt ein ehemaliger Kollege vorbei. Im Ruhestand hat er sich den Mischling Strubbel aus dem Tierheim schräg gegenüber geholt: „Das ist seine erste Demonstration.“

Und dann kommen sie doch aus den Containerhallen, fast 200 Kollegen mit Transparenten und Fahnen, Pfeifen, Ratschen und Tröten. Die Firma habe sich auch im Siemens-Konzern, so Poensgen, die Kampfkraft der ehemaligen Traditionsfirma Vogt&Häfner bewahrt.

Betriebsrätin Monika Paschen schätzt den Organisationsgrad „im gewerblichen Bereich auf über 90 Prozent, etwa 50 bei den Angestellten“. Eine Gehaltserhöhung von 4 Prozent, findet sie, sei „angesichts der gestiegenen Preise das Mindeste“, die 40-Stunden-Woche „völlig undiskutabel“. Katinka Poensgen nennt die Forderungen der Arbeitgeber „eine Unverschämtheit“, Rübsamen wettert: „Wir lassen uns nicht verarschen.“

Die Belegschaft jubelt und pfeift, der Bevollmächtigte argumentiert volkswirtschaftlich. Die 4 Prozent Lohnerhöhung, die die IG Metall in dieser Tarifrunde fordert, seien zum einen moderat, zum anderen das adäquate Mittel zur Konjunkturbelebung durch Erhöhung der Kaufkraft. Fünf Stunden unbezahlte Mehrarbeit dagegen, die die Arbeitgeber anstreben, bedeuten noch weniger Arbeitsplätze. Wer anderes behaupte, könne auch sagen, „dass Zitronenfalter Zitronen falten können und dass die Erde eine Scheibe ist“. Und das mag nun wirklich keiner glauben.

Manche Faust möchte aus der Tasche, wenn Rübsamen errechnet, dass die von den Arbeitgebern gebotenen zweimal 1,2 Prozent zusammen mit der Forderung nach der 40-Stunden-Woche ein Minus von 12,5 Prozent bedeuten. Und immer wieder wiederholt er, dass die IG Metall sich auch nach der Streikschlappe 2003 in Ostdeutschland nicht kleinreden lassen werde. Die Belegschaft signalisiert Streikbereitschaft, einige intonieren schon mal leise: „Jetzt geht’s lohoos!“, ehe sie nach 45 Minuten wieder an die Arbeit gehen und die beiden Lkws durch das blockierte Tor fahren dürfen.

Das Sprüchlein von den Zitronenfaltern hatte Rübsamen morgens schon einmal Applaus eingebracht. Da war er am anderen Ende der Stadt, im Nordwesten, im Industriegebiet Rödelheim. Durch die Drehtür im gläsernen Turm der Continental Teves gingen dort die meisten Angestellten wie jeden Morgen mit Anzug und Köfferchen zur Arbeit. „Nein“, sagte die junge Frau an der Rezeption und kichert, „der Warnstreik, das ist eine andere Baustelle!“

Die Streikfront des Bremsenherstellers traf sich am Werkstor II um die Ecke. Rund 200 der 3.000 Mitarbeiter der Tochterfirma des Konzerns waren gekommen. Zur Verstärkung trafen dann auch noch 50 Kollegen der ABB ein. Die Stimmung war zwar gedämpfter als in Fechenheim, die Gesichter waren ernster, aber die Empörung an der Basis war spürbar. Die Muttergesellschaft, so Rübsamen, sei ein Global Player und habe in den letzten Jahren satte Gewinne gemacht: „Es ist genug Geld da, um diese Tariferhöhung locker zu bezahlen.“ Deshalb, sagt er, sind die Metaller vor Ort besonders sauer: „Man merkt richtig die Kränkung.“

Die Firmenleitung, sagen einige, habe im Vorfeld „regelrecht Druck“ ausgeübt und gedroht, die Produktion in andere Länder zu verlegen. Die Firmenphilosophie ist im Aufenthaltsraum nachzulesen. Da hängt sie gerahmt, fordert hohe Qualität für die Antiblockiersysteme und verspricht den Arbeitnehmern dafür: „Wir fördern Flexibilität, Loyalität und die Freude am Erfolg.“