Der Architekt als Stratege

Schriften zu Zeitschriften: Die neue Ausgabe von „An Architektur“ fragt, wie Krieg und die Produktion von Raum zusammenhängen – etwa im Fall der US-amerikanischen Militärbasis Guantánamo Bay

Schnell wird vermeintlich zivile Architektur militärisch nutzbar

von CORDULA VIELHAUER
und JÖRG BOETTGER

Zwei Häusergruppen stehen in einer kargen Wüstenlandschaft. Sie wirken unbewohnt und ohne Bezug zur umgebenden Landschaft. Militärfahrzeuge parken im Vordergrund, Menschen sind nicht zu sehen. Der Betrachter dieser geisterhaften Szenerie hat ein Heft der neuen Ausgabe der Zeitschrift An Architektur vor sich. Es untersucht eines der skurrilen Phänomene des zweiten Weltkrieges, das German-Japanese Village. Dabei handelt es sich um einen detaillierten Nachbau deutscher und japanischer Wohngebäude, die 1943 auf einem Armeegelände in Utah errichtet wurden. Sie dienten zur Erprobung der bei alliierten Luftangriffen auf Deutschland und Japan verwendeten Brandbomben. An der Planung des German Village waren die Architekten Erich Mendelsohn und Konrad Wachsmann als Berater beteiligt. Beide mussten 1933 das nationalsozialistische Deutschland wegen ihrer jüdischen Abstammung verlassen.

Dieser blinde Fleck in der Geschichtsschreibung der deutschen architektonischen Moderne in den USA bildet ein Thema zu „Krieg und die Produktion von Raum“, der nunmehr zweiten Ausgabe von An Architektur. Die halbjährlich erscheinende Zeitschrift wird von einer Gruppe Berliner ArchitektInnen und KünstlerInnen herausgegeben, die sich unter dem Namen Freies Fach seit Mitte der 90er-Jahre „reflexiv und aktivistisch mit politischen und ökonomischen Hintergründen städtischer Räume auseinander setzen“. Die verschiedenen Themen werden jeweils in Einzelheften behandelt und in einem Bündel zusammengefasst. Zu „Krieg und die Produktion von Raum“ wurden sechs Hefte (Nr. 4–9) herausgegeben, die sich durch sehr unterschiedliche Perspektiven der Frage nach Produktion und Gebrauch gebauter Umwelt unter dem Einfluss kriegerischer Konflikte annähern.

Der Instrumentalisierung von Architektur als Mittel zur Kontrolle über Raum, wie sie etwa in einem Interview mit dem israelischen Architekten Eyal Weizman zur Sprache kommt, widmen sich die Hefte Nr. 6 und Nr. 8. Weizman und sein Kollege Rafi Segal arbeiten mittels geografischer Karten und Analysen die politischen Hintergründe des israelischen Siedlungsbaus im Westjordanland heraus. Ablesbar wird ein durch Infrastruktur- und Siedlungsmaßnahmen definierter Prozess zunehmender räumlicher Fragmentierung, dessen (planerisch gezielt erzeugte) Komplexität es unmöglich machen soll, klare Grenzen für eine friedliche Zweistaatenlösung zu ziehen. Neben Fragen nach Strategie und Methode der Besetzung werden hier auch solche nach der Verantwortung der Architekten als Beteiligten an einem von militärischer Logik bestimmten Planungsprozess gestellt.

Um die Kontrolle von Raum mittels ziviler Architektur geht es auch im äthiopischen Danscha, vordergründig als Siedlung für demobilisierte Guerilla-KämpferInnen erstellt. Die Anlage und die Gebäudetypologie der Siedlung offenbaren jedoch eine Kasernenanlage an strategisch günstiger Stelle: der Grenze zum Sudan und zu Eritrea. Die SiedlerInnen des inzwischen wegen seiner katastrophalen klimatischen Bedingungen gescheiterten Danscha-Projekts wurden denn auch 1998 im Krieg zwischen Eritrea und Äthiopien remobilisiert. Finanziert wurde das Programm für die ehemaligen Tigrinischen Befreiungskämpfer, die nach fast dreißig Jahren Bürgerkrieg (1975–91) beheimatet werden sollten, zu großen Teilen mit Mitteln des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Auf Äthiopien, das aufgrund des weit verbreiteten christlichen Glaubens als Verbündeter empfunden wird und zudem geopolitisch günstig zum Nahen Osten gelegen ist, konzentrieren sich die Gelder von Weltbank, OECD und Europäischer Union, wobei selten nach den politischen Verhältnisse gefragt wird, die man so finanziert.

Das Thema rechtsfreie Räume behandelt Heft Nr. 4, das die Situation in Guantánamo Bay auf Kuba untersucht. Auf der dortigen US-Militärbasis werden im Zusammenhang mit dem 11. September 2001 als Terroristen Verdächtigte festgehalten. Neben der historischen Bedeutung Guantánamo Bays als strategischen Stützpunkts der USA in der Karibik und als Schauplatz einer symbolischen Konfrontation mit Kuba während des Kalten Krieges behandeln die Autoren – unter anderem Judith Butler – vor allem seine spezifische Rolle im Rechtssystem als ein Territorium, das der Rechtsprechung der USA unterliegt, in dem aber keine verfassungsmäßigen Rechte gelten. Der Sonderstatus, dem die Häftlinge auf Guantánamo Bay (in der Rhetorik des „War on Terrorism“ als „ungesetzliche Kombattanten“ bezeichnet) unterliegen, wird inzwischen auch auf „illegal combattants“ außerhalb Guantánamos angewandt. Damit wird die zunächst auf einen Ort begrenzte Aufhebung der rechtlichen Ordnung zu einem neuen, territorial nicht gebundenen System.

An Architektur, Nr. 4–9, „Krieg und die Produktion von Raum“, Vice Versa Verlag Berlin, 10 €