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Musik, die Rettung: Auf einem Panel im Rahmen der Transmediale diskutierten Berliner Kulturschaffende, ob Kreativität in dieser Stadt wirklich mit Rentabilität zusammenpasst

Um die – zumindest auf den ersten Blick – erstaunlichste Zahl des Abends zu erfahren, musste man das „Magnet Berlin“-Panel am Freitagabend im Club Transmediale gar nicht besuchen – die gab es schon in der Vorankündigung nachzulesen: 60 Prozent der Umsätze der deutschen Musikwirtschaft werden in Berlin gemacht. Der umsatzstärkste Zweig dabei sind die Konzertveranstalter – und das, wo doch besonders hier niemand Geld hat. Und auch wenn das Ganze nicht mehr so spektakulär klingt, sobald man die Umzüge von Sony und Universal nach Berlin bedenkt, brachte diese Gesprächsrunde über die Sogwirkung der Musikstadt Berlin ein paar interessante Gedanken hervor.

Die vier Diskutanten fanden im großen Saal der Maria am Ufer auf einem provisorischem Podium zusammen, drum herum kauerten Bier trinkende Zuhörer – ein paar Interessierte und dann noch die, die ganz früh dran waren, weil sie später nicht draußen in der Schlange stehen wollten. Die Veranstaltung fühlte sich entsprechend beiläufig an und begann mit gehöriger Verspätung, was dazu führte, dass man die Themen im leichten Galopp durchprügelte, um den weiteren Ablauf des Clubabends nicht zu torpedieren.

Deshalb wurde nach einer ausführlichen Vorstellung des Themas nur in Ansätzen diskutiert, doch gerade die leicht gestressten Rahmenbedingungen versinnbildlichten den Tenor der Runde: „Schön, dass um uns herum spannende Dinge passieren, noch schöner, das wir sie mit antreiben – aber wo das hinführen kann, wissen wir auch nicht so recht.“ Neben den Berliner Kulturarbeitern Christoph Gurk von der Volksbühne und Gudrun Gut, die das Label Monika Enterprise und das Elektronikfestival Marke B betreibt, saßen Peter James, Geschäftsführer des Label-Zusammenschlusses „Verein Unabhängiger Tonträger“, und Architekt Philipp Oswalt auf dem Podium. Der sollte sich als Initiator des Forschungsprojekts „Schrumpfende Städte“ zum Thema äußern – weil in niedergehenden Städten wegen der billigen Lebenshaltungskosten die Bedingungen für kreative Produktivität oft günstig sind.

Einig waren sich die Teilnehmer der Runde, allen voran Moderator und Journalist Martin Conrads, dass man es in Berlin im Angesicht der Krise mit einem Paradox zu tun hat: Man will die Situation gleichzeitig erhalten (wegen der Kreativität) und verändern (damit es allen besser geht). Und bei dieser Veränderung zum Positiven soll eben ausgerechnet die von der Kreativität abhängige Musikwirtschaft die Rolle eines ökonomischen Zugpferdes übernehmen. Während James die politischen Initiativen des Senats lobte und damit wohl vor allem die für Subkulturelles offene – in der Runde wegen Krankheit abwesende – Tanja Mühlhans, Referentin in der Senatsverwaltung für Wirtschaft, Arbeit und Frauen, meinte, schimpfte Philipp Oswalt über die immer noch vorherrschende „Bunkermentalität der Westberliner Polit-Gang“.

Doch da lauerte schon wieder das Paradox. Selbst wenn sich alle darüber einig waren, dass man die Zeit nicht zurückdrehen will und die „idyllischen Undergroundnischen“ sowieso absterben, war man sich unsicher, wie demonstrativ die Kulturkarte wirklich gespielt werden darf. Manchester, von Oswalt als Beispiel einer seinerzeit ökonomisch desolaten, aber im Kreativsektor erfolgreichen Stadt ins Spiel gebracht, taugt als Rollenmodell nur bedingt. Ein Aufschwung, wie er dort stattgefunden hat, zieht den Kreativen bekanntermaßen den Boden unter den Füßen weg.

Was sonst noch diskutierte wurde? Das Übliche. Ob finanzieller Aufschwung gedanklichen Abschwung mit sich bringt oder nicht: Überhaupt so weit zu kommen, dass man einigermaßen von seinem Hobby leben kann, ist oft schon schwierig genug, das weiß Gudrun Gut aus eigener Erfahrung. Dass der derzeit in den Feuilletons eifrig reflektierte Niedergang der Plattenmajors begrüßenswert ist, darüber war sich die Runde übrigens auch einig, doch fröhliche Pionierstimmung im alternativen Sektor sah trotzdem niemand ausbrechen.

Zum Ende gab es dann doch noch eine Meinungsverschiedenheit: Während James stolz ist, dass „man“ die Popkomm nach Berlin geholt hat, hält dies Gut für einen Schritt in die falsche Richtung. Die Messe sei genauso aufgeblasen wie totgeritten, fand sie. Doch vergaß sie dabei den Berliner Musikkonsumenten – und hier wären wir wieder am Anfang –, der die Musikwirtschaft durch sein Ausgehverhalten erst zu dem macht, was sie ist. Der wird sich über die Popkomm freuen – und über die Konzerte drum herum. Und wie auf Kommando begannen auch prompt die Boxen in der Maria zu wummern – gerade mal 10 Sekunden nach dem Ende der Gesprächsrunde. STEPHANIE GRIMM