: „Von den Amerikanern kommt bisher gar nichts“
Christoph Bertram, Chef der Stiftung Wissenschaft und Politik, lobt Joschka Fischers Nahost-Initiative. Damit könnten die Europäer einen eigenen Akzent setzen
taz: Herr Bertram, es gab bei den Teilnehmern der Sicherheitskonferenz zunächst kaum ein Echo auf Joschka Fischers groß annoncierte Nato-EU-Initiative für den Nahen Osten. Ist der Vorschlag schon durchgefallen, kaum dass er auf dem Tisch liegt?
Christoph Bertram: Viele Teilnehmer waren vermutlich überrascht, und so braucht es noch ein Weilchen, bis es ausgefeilte Reaktionen gibt. Aber ich finde es eine wichtige und vor allem eine geschickte Initiative. Die USA versuchen ja ohnehin mit den Europäern ins Gespräch zu kommen über die Probleme der Region, und das wird auf den Gipfeln dieses Jahres – von G8 bis Nato – eine große Rolle spielen. Jetzt hat der Außenminister diese Ideen nicht nur aufgegriffen, er hat seine eigene Vorstellung formuliert, wie man an die Sache herangehen kann.
Ein bisschen klingt es aber nach einem Schelmenstück: Fischer klaut den Amerikanern den Titel ihrer geplanten „Initiative for a Wider Middle East“ und füllt sie mit rot-grünen Inhalten. Erklärt das das Schweigen des US-Verteidigungsministers?
Na, es sind ja nicht nur rot-grüne Inhalte, sondern mit Fischers Leitbild eines demokratischen Nahen Ostens können sich sicher viele Europäer identifizieren. Aber im Unterschied zu manchen Vorstößen, wie sie in letzter Zeit aus Washington zu hören waren, hat Fischers Initiative natürlich den Vorzug, dass sie nicht als großer amerikanischer Plan erscheint, alle Welt auf die USA auszurichten. So was kann ja den Erfolgschancen einer Initiative eher schaden.
Haben Sie eigentlich verstanden, was Joschka Fischer will – schließlich reicht das Spektrum seiner Vorschläge von einer Freihandelszone rund ums Mittelmeer bis zur Gleichberechtigung für Mann und Frau in der islamischen Welt?
Die eine große Konferenz, die alle von Ihnen genannten Fragen löst, steht gewiss noch in den Sternen. Aber Fischers Anstoß stellt sicher, dass die Europäer bei den Gipfeltreffen der nächsten Monate nicht mit leeren Händen dastehen und alles unterschreiben müssen, was die Amerikaner in die Kommuniqués packen wollen.
Wodurch unterscheidet sich Fischers Vorschlag denn von den amerikanischen Konzepten?
Dadurch, dass es ihn gibt. Von den Amerikanern kommt bisher noch gar nichts. Da heißt es nur, wir müssen darüber reden – und: der weitere Nahe Osten ist ein gefährliches Pflaster.
Fischers Vorstellungen seien aber auch reichlich vage, haben vor allem amerikanische Konferenzteilnehmer bemängelt.
Diese Kritik finde ich ungerecht. Fischer gibt dem Prozess, der jetzt nötig ist, Konturen. Er besteht insbesondere auf zwei Aspekten, die ich wichtig finde: Erstens kann es nicht darum gehen, Demokratie einfach irgendwie und irgendwo zu fördern, sondern Teil dieser Debatte muss der Zentralkonflikt zwischen Israel und den Palästinensern sein, da zögern die USA noch. Zum anderen betont Fischer, dass seine Initiative mit und in der Nato passieren muss.
Gerade daran kann man auch Zweifel haben: Fischers Initiative hat das erklärte Ziel, die islamischen Welt zu modernisieren. Warum soll dafür ausgerechnet eine Militärorganisation das richtige Instrument sein?
Wenn wir eine Nato haben, die nicht mehr strategische Herausforderungen der Zukunft debattiert, dann können wir sie eigentlich auch zumachen.
Die Nato gilt nicht gerade als Debattierclub.
Vielleicht haben wir ja in den letzten Jahren eher zu wenig debattiert in der Nato. Es wäre fatal, die Nato nur als Selbstbedienungsladen für militärische Operationen zu betrachten. Sie muss wieder der Ort werden, an dem sich beide Seiten des Atlantiks gemeinsam Gedanken machen und miteinander reden. Die Nato muss zu ihrer politischen Rolle zurückfinden, sonst wird sie nicht überleben.
Wie läuft es denn bisher?
Denken Sie daran, dass es zum Beispiel über den Irak nie eine gründliche Diskussion im Nato-Rat gegeben hat. Das gilt für viele andere strategische Fragen ebenfalls. Das kann nicht der Sinn der Nato sein, das muss anders werden. Wenn wir sie lediglich als militärisches Dienstleistungsinstrument betrachten, wird die Nato von der Europäischen Union überholt werden als Koordinationsrahmen europäischer Sicherheitspolitik. INTERVIEW: PATRIK SCHWARZ