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Archiv-Artikel

Basswalze in Radlerpelle

Schlimmer als Saddam: Frau Dr. Gisela Glumser, Zahnärztin des Grauens

„Gemeine Naturen zahlen mit dem, was sie tun, edle mit dem, was sie sind“

Morgens um zehn war die Welt noch in Ordnung. Hoch „Gerhard“ driftete mild and mellow über dem Maschsee. Ich schnürte meine Joggingschuhe und hatte Frühlingsgefühle. Ungefähr 300 Meter lang. Dann sah ich das Unheil aus der Kurve kommen. Es war eine Art duales System. Vorne ein blonder Backfisch, der hyperventilierend auf die Pedalen seines Mountain Bike eintrat, hinten schlingerte mächtig und unheilschwanger das Muttertier – am Fahrrad festgeleint, in kreischbunte Radlerpelle gepresst und auf Inlineskates. Es ergab sich jetzt folgende physikalische Problemstellung. Der Backfisch wollte geradeaus, das Muttertier nicht: E = mc[2]. Das ist die Theorie. Praktisch bulldozerten drei Zentner Fleisch durch die Büsche des Mittelstreifens, der Asphaltpiste und Joggerpfad trennt. Zwei Sekunden später lag ich dem Erstickungstod nah unter der Walküre. Als ich mein Gesicht aus dem Erdreich zog, war einiges kaputt. Meine Knie, meine Brille und ein Backenzahn unten links.

So lernte ich Gisela Glumser kennen und hassen. Unter diesem Namen stellte sich die Dicke vor, während sie ihre Pfunde ächzend aus den Büschen wälzte. Dabei daumte sie über die Schulter. „Das ist meine Tochter Gerda. Sach Tach, Gerda“. Gerda sagte Tach. Ich spuckte Blut. Das Muttertier guckte interessiert und reichte mir eine speckige Karte, die sie aus den Tiefen ihrer Leggings zog. Ich las: „Dr. Gisela Glumser, Zahnärztin.“ – „Na, denn komm’Se man mal vorbei“, rief die Dicke noch, ehe sie Gerda wieder aufsatteln ließ und davonkariolte wie eine überladene Brigg bei steifem Südsüdwest.

Konnte mir nicht einfallen. Zu gut erinnere ich mich an jenen kroatischen Notfalldentisten, dessen anästhesistische Vorkehrungen sich auf das Ausdünsten einer monumentalen Knoblauchfahne beschränkt hatten. Seitdem kultiviere ich ein gewisses Misstrauen gegen die Zahnmedizin. Also wurde die entzündete Backe drei Tage lang mit Sedativa und Wodka bekämpft, dann hielt ich es nicht mehr aus. Ich ließ mir bei der Glumser einen Termin geben. Selbstverständlich nicht, ohne vorher Erkundigungen einzuziehen.

So genannten guten Freunde war die Paxis nicht nur bekannt, sie priesen das Flintenweib auch als Virtuosin der Kieferchirurgie, vor allem verwies man auf ihre sensiblen Hände. Ich hatte ihre Pranken gesehen und witterte Schlimmes, aber schlimmer noch pochte der Backenzahn. Ich hätte einfach weitersaufen sollen. Denn spätestens als die Glumser mir eine kondomierte Fingerwurst in die Mundhöhle schob, wusste ich, dass Schiller Recht hatte: „Gemeine Naturen zahlen mit dem, was sie tun, edle mit dem, was sie sind.“ Ich für meinen Teil war paralysiert. Die Glumser eine gemeine Sau. Minutenlang walkte sie das räudige Fleisch im Umkreis der dentalen Ruine, polkte hier an einer Plombe, riss da an einem Schneidezahn, bis ich dachte, mein bisher tadellos funktionierendes Gebiss sei eine einzige offene Wunde.

Dann führte man mich zum Röntgen ab. „Die Aufnahmen sind spitze“, rief Glumser. Aus ihrem dicken Hals bröckelte Gelächter. Ich spürte Brechreiz. Inzwischen hatte eine hagere MTA, die aussah wie der späte Mengele, das Besteck und eine viel zu kleine Betäubungsspritze zurecht gelegt. Dr. Glumser musterte die glitzernden Turbinen- und Rosenbohrer, all die Reißzangen, Krummnadeln und Knochenmeißel mit kindlicher Vorfreude. Mir widmete sie einen eher melancholischen Blick. Kopfschüttelnd besah sie das Röntgenbild, murmelte lateinische Befunde und hieß die Hagere alles aufnotieren. „Spülen“, befahl Mengele. Ich rotzte einen Ballen ketchuprote Spucke in das Becken und krampfte die Hände unter dem Papierlatz zusammen, den Mengele mir verpasst hatte. „Entspannen, schön entspannen“, gurrte die Glumser, um mir überfallartig zwei Finger zwischen die Kiemen zu klemmen. Mit der freien Hand rammt sie die Schmerzfreiheit verheißende Spritze in den Wurzelbereich. Waidwund schrie ich auf. Mengele warf den Turbinenbohrer an, Glumser drei Zentner Lebendgewicht auf meinen Brust. Es gab kein Entrinnen.

Der Zahnteufel fuhr mit dem Bohrer in die Backe, fräste und piesackte und stieß das heulende Gerät immer tiefer in die blutige Masse aus Zahnstein, Speichel und faulem rohen Fleisch. Dann reichte ihr Mengele die Reißzange. Ich hörte die Engel singen. Aber es war nur der Generalbass der Glumser, der sich an den Wänden brach und durch mein längst präkomatöses Unterbewusstsein rauschte: „Entspan-nen, entspan-nen, ja, immer schön entspan-nen, ja so isses gut, so isses gut. Ja, ja, nu kommt er, er kommt, er kommt, er koooooommt …“

Als ich erwachte, zerschunden und gedemütigt von zwei grausamen Frauenzimmern, fand ich neben meinen Kopf ein Büchlein. Es verzeichnete auf 30 klein bedruckten Seiten Termine bis ins Jahr 2011, die ich in der Praxis abzuleisten hatte. „Bis morgen! Sonst zahlt die Kasse nix“, tönte es von der Terasse. Dort stand Gisela Glumser in Skatermontur, Tochter und Mountainbike unter die muskulösen Arme geklemmt, und lachte. Sie lachte und lachte und ließ ihr perlweißes Gebiss in der Mittagssonne leuchten. Dann verschwand sie Richtung Maschsee.

MICHAEL QUASTHOFF