: Köln braucht eine Ausweitung der Kulturzone
Heute stimmt der Rat über Kölns Bewerbung um den Titel „Kulturhauptstadt Europas 2010“ ab. Darin muss wieder mal der Dom für alles Gute herhalten. Was Spannung verspricht, wird versteckt. Dabei ginge es auch mutiger: Ein Plädoyer für offenen Zugang zur Kunst und einen erweiterten Kulturbegriff
VON SEBASTIAN SEDLMAYR
Die größte Kampagne der Stadt seit Jahren heißt: „Kulturhauptstadt Europas 2010 – wir leben das“. Leben wir das? Zumindest tut sich was: Anke Engelke, Alice Schwarzer und neun weitere Frauen verbessern seit gestern Kölns Außenwirkung als „Kulturbotschafterinnen“, Werbewände werden schöner, wenn die Fotos der Kampagne draufkleben, ausgiebige Diskussionsrunden machen schlauer. Die Bewerbung um den Titel hat sich insofern schon jetzt gelohnt. Zudem öffnet sich ein neues Feld für Visionen. Und um es vorweg zu nehmen: Selbstverständlich soll Köln Europas Kulturhauptstadt werden.
Zum weniger leicht dahingesagten Teil: Wie soll Köln das anstellen? Es fehlt an Geld, vor allem aber an Mut. Im derzeit 57 Seiten langen Bewerbungsschreiben, das heute im Rat zur Abstimmung steht, ist der Dom das Menetekel Kölns. Der Dom in Köln? Wer hätte das gedacht. Der Karneval in Köln? Echt? Römische Vergangenheit? Do bes verrückt! Köln – Stadt inmitten Europas? Darauf wären wir nicht gekommen.
Versteckte Schmankerl
Ernsthaft: Ein Köln, das jeder kennt, braucht keinen Kulturhauptstadt-Titel. Zwischen 2000 Jahren Tradition und 100 Jahren Moderne sind selbst die alten Europäer schon längst eingeschlafen. Solch ein Motto klingt so altbacken wie der Sponsorenname „Stadtsparkasse“. Stadtgeschichte, Architektur, Theater, Literatur, Musik, Bildende Kunst, Medien, Brauchtum (Religion) – über die Themen lässt sich schlecht streiten. Was stört, ist die Gewichtung.
Punkt 1.1 ist der Dom, in den die gesamte europäische Geschichte projiziert wird: Selbst als „Symbol des Friedens“ muss das wehrlose Schlachtschiff eines mörderischen Erbes herhalten! Warum nicht gleich als Symbol der Aufklärung, Säkularisierung und des Siegeszuges der Vernunft? Die Kölner Literaturszene hingegen findet ihre erste Erwähnung auf Seite 31. Sie sei „zwar jüngeren Ursprungs“, heißt es da fast entschuldigend, sei aber „modern und stets richtungsweisend gewesen“. Ja, liebe Güte, richtungsweisend ist sie allerdings. Selbst in die kleinsten Veedel-Kneipen dringt das Wort seit einiger Zeit mit ungestümer Macht – ganz ohne amtliche Hilfe. Warum verstecken die Autoren gerade solche Schmankerl hinter dem Dom?
Köln sei auch „modern“, heißt es. „Modern“ ist ein Begriff der 1920er Jahre. Selbst „postmodern“ ist diese Welt nicht mehr. Wie die Welt heute ist, können wir erst in der Rückschau sinnvoll einordnen und bezeichnen. Dafür gibt es in der Bewerbung Ansätze. Wie die Welt sein soll – darüber können und müssen wir uns heute unterhalten, wenn wir Kulturhauptstadt werden wollen.
Der Text, der heute im Rat zur Abstimmung vorgelegt wird, ist in Ordnung. Er ist solide. Und genau das ist das Problem. Den Anspruch, die europäische Kultur in eine bessere Zukunft zu weisen, kann die Stadt mit dieser Bewerbung noch nicht erheben. Vielleicht ist der Anspruch ja auch etwas hoch, mag man einwenden. Doch das wäre zu klein gedacht. In Bremens – im übrigen sehr ansprechender – Bewerbung heißt es: „Städte müssen über ihre Verhältnisse leben – konzeptionell“. Davon ist im oft zu selbstgefälligen Köln noch nichts zu spüren.
Für den Status einer Kulturhauptstadt brauchen wir einen erweiterten Kulturbegriff. Kultur erschöpft sich nicht im Kunstwerk. Sie findet darin zwar ihre Konzentration und ihren Höhepunkt. Doch sie muss darüber hinaus als der Kontext verstanden werden, in dem Kunst erst entstehen kann.
Dieser Kontext wird Betrachtenden und Schaffenden zugänglich und verständlich durch Kommunikation, durch die Verständigung auf eine gemeinsame Wahrnehmung. Uns sollte daran gelegen sein, eine möglichst umfassende, europäische, vielleicht sogar eine weltumspannende Verständigung über Kunst herzustellen. Dann würden wir uns einem Zustand globaler Kultur nähern.
Konkret heißt das: Für den Status einer Kulturhauptstadt brauchen wir stets und für alle (!) geöffnete Bibliotheken. Wir brauchen garantierten öffentlichen Zugang auch zur Kunst, bezahlbare Eintrittskarten in Theater- und Konzertsäle. Und damit nicht genug. Die Teilhabe der größtmöglichen Zahl von Bürgern am kulturellen, am gesellschaftlichen Leben, muss organisiert und festgeschrieben werden. Wie wäre es, wenn Köln als größte Stadt Nordrhein-Westfalens bis 2010 eine europaweit vorbildliche Gemeindeordnung mit durchgängig erweiterter Bürgerbeteiligung erarbeitet und durchgesetzt hätte?
Nachwuchs bilden
Der Grundstein für eine Ausweitung der Kulturzone muss in Schule und Ausbildung liegen. In einem Kölner Gymnasium fragten neulich Schüler der 11. Klasse ihre Lehrerin, ob die Philharmonie die KölnArena sei. Eine Absolventin eines Kölner Gymnasiums fragte ernsthaft nach, wer denn dieser Heinrich Böll sei. Einzelbeispiele, natürlich. Allerdings Einzelbeispiele, die aufrütteln sollten. Nur zwei ganze Seiten widmet die aktuelle Bewerbung dem Nachwuchs. Da wird ein „Patenschaftsprojekt“ von Karnevalsmusikern in Schulen beschrieben. Schreck lass nach! Wie nähme sich stattdessen – oder meinetwegen auch ergänzend – eine Offene Kunstschule Köln aus, in der Kinder wie Erwachsene lernen können, Kunst zu erschaffen und zu verstehen?
Es sollte deutlich geworden sein: Für die Ausbildung kulturellen Bewusstseins sind die äußeren Umstände entscheidend. Zu den greifbaren Umständen gehört neben den erwähnten auch die Stadtplanung. Für die urbane Zukunft Kölns gibt es ein wundervolles Vorhaben im Bewerbungstext: einen Rheinboulevard. Wenn man 2010 am Ufer flanierte, ungestört vom Autolärm, dann hätte sich der Aufwand schon gelohnt.