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Archiv-Artikel

Kolonialismus-Verdacht

Schauspielhaus startet mit „Der Krieg und die Liebe“ eine Theater- und Filmreihe über Afghanistan und blendet dabei Aspekte wie europäische Flüchtlingspolitik und mediale Gewalt aus

von NIKOLA DURIC

Heute Abend startet das Schauspielhaus eine Reihe über Afghanistan. Die Veranstaltungsreihe „Der Krieg und die Liebe“ soll die Überforderung des Menschen durch den Krieg zeigen. Damit tritt das Schauspielhaus den Beweis an, dass das Theater kein schwer manövrierbares Schiff ist, das nur mit großer Zeitverzögerung auf einen neuen Wind reagiert, sondern auch in der Lage ist, schnell auf aktuelle, politische Themen einzugehen.

In den kommenden fünf Tagen nimmt sich das Schauspielhaus des Krisengebiets Afghanistan an – ein Thema, dass derzeit allerdings angesichts des Golfkriegs in den Hintergrund der Nachrichtensendungen gedrängt wurde. Als Metapher für verschiedene Krisen des Nahen Ostens lässt sich das Thema trotzdem benutzen: Im Zentrum der Veranstaltungsreihe findet sich der in Paris lebende, afghanische Autor Atiq Rahimi. Der Regisseur Laurent Chétouane nimmt sich seines zweiten Buches Erde und Asche an. In einem szenischen Projekt erzählt der Schauspieler Hans Diehl die Geschichte eines alten Mannes, der gemeinsam mit seiner Enkelin auf einen Bus wartet, der ihn zu seinem Sohn fahren soll. Der alte Mann fürchtet den Augenblick, in dem er vom zerstörten Dorf und den toten Verwandten erzählen muss.

Rahimis erstes Buch, Der Krieg und die Liebe, dagegen wird von dem jungen afghanischen Regisseur Shah Salimi auf die Bühne gebracht. Der Schweizer Roger Vontobel vermischt für das Stück [fi‘lo:tas] Lessings Philotas mit der Geschichte des amerikanischen Mujahedin John Walker Lindh. Sebastian Schlösser inszeniert einen Monolog aus Tony Kushners Homebody/Kabul, und Sebastian Hartmann bringt Andrej Tarkowskijs Film Opfer auf die Bühne. Außerdem wird bereits vor seinem Bundesstart der Gewinnerfilm der Berlinale, Michael Winterbottoms In This World, gezeigt.

Bei genauerer Betrachtung des Programms über Afghanistan zeichnet sich eine fast einseitige Linie ab, die von zwei atmosphärischen Stimmungen dominiert wird. Da findet sich einerseits das Erschrecken über den Krieg an sich und andererseits die Rolle der Opfer, die zentrales Thema wird.

Den Verdacht des gut gemeinten Kolonialismus haben die Veranstalter bislang allerdings noch nicht zerstreuen können; und das Gegenteil von „gut“ ist „gut gemeint“. Intendant Tom Stromberg und Chefdramaturg Michael Eberth berichten zum Beispiel im Vorfeld davon, dass sie den ersten Flieger mit dem Außenminister nach Kabul verpasst haben und sich später mit der Diplomatin Renate Elsäßer im neu gegründeten Goethe-Institut trafen, um über Kultur und Theater in Afghanistan zu sprechen.

Dieses Anliegen ist natürlich nobel und irgendjemand muss es ja tun. Wo bleiben aber bei diesem Ansatz die Aspekte des Themengebiets Afghanistan, die direkte Auswirkungen auf Deutschland haben? Was ist mit der neuen Flüchtlingspolitik Europas, die alles versucht, um Kriegsfliehende möglichst in ihrem eigenen Land oder den angrenzenden Gebieten festzuhalten? (Regisseur Salimi berichtete von den fast unüberwindbaren Schwierigkeiten, nach Deutschland zu kommen).

Was ist mit dem Blick der Täter – und das sind eben nicht nur die Taliban oder die Russen, sondern auch die Hau-Ruck-Amerikaner, die das Land mal schnell „befreiten“ und es nun sich selbst überlassen, oder den Vereinten Nationen? Wie entsteht die Faszination für den Krieg? Warum wird in den Produkten und Praktiken der Massenkultur – in Film, Musik, Mode – dem Individuum stets die Rolle des „Einzelkämpfers“ als Modell angeboten? Warum wird die Massenkultur vom wichtigsten Mittel des Krieges – der Gewalt – beherrscht?

All diese Fragen sind in der Konzeption der Reihe zunächst nicht vorgesehen. Ob künstlerische Projekte zu dem Thema Krieg überhaupt ohne diese Fragen machbar sind, werden die nächsten Wochen zeigen.

Auferstehung aus Ruinen: Diskussion mit Renate Elsäßer: Do, 10.4., 19 Uhr, Malersaal. Der Krieg und die Liebe: Do, 10.4., 21 Uhr, Malersaal. Afghanistan. Land der Klagen und Schreie: Fr, 11.4., 19 Uhr, Malersaal. [fi‘lo:tas]: Sa, 12.4., 20 Uhr, Malersaal. In This World: So, 13.4., 11 Uhr, Schauspielhaus. Opfer: So, 13.4., 20 Uhr, Schauspielhaus. Hombody/Kabul: Di, 15.4., 20 Uhr, Malersaal. Erde und Asche: Premiere 25.4., 21 Uhr, Schauspielhaus. – Info unter www.schauspielhaus.de