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Archiv-Artikel

Bloß nicht hinfallen

Kommissionspräsident Prodi macht einen Rückzieher und kommt den Nettozahlern etwas entgegen

AUS BRÜSSELDANIELA WEINGÄRTNER

Am Dienstag hat die EU-Kommission den Startschuss für einen Finanzstreit gegeben, der bis weit ins kommende Jahr hinein die Schlagzeilen aus Brüssel diktieren wird. Es geht um die so genannte „finanzielle Vorausschau“ für die Jahre 2007 bis 2013, wenn die Union voraussichtlich 27 Mitglieder haben wird.

Ob Kommissionspräsident Prodi sich getraut hat, wollten die Journalisten zunächst und vor allem wissen. Hat er der Bundesregierung die Stirn geboten und tatsächlich die Eigenmittelobergrenze von 1,24 Prozent des Bruttonationaleinkommens voll ausgeschöpft?

Bei derart spitzfindigen Fragen bleiben die Experten unter sich und die viel beschworene Bürgernähe auf der Strecke. Allen, denen das Lesen komplizierter Haushaltspläne Schwierigkeiten bereitet, sei zum Trost aber dreierlei gesagt: In den 40 eng beschriebenen Seiten, die nun von der Kommission vorgelegt wurden, muss man Zahlen mit der Lupe suchen. Die Summen sind vier politischen Hauptzielen zugeordnet, entsprechen also nicht den Budgetlinien im jährlich von Rat und Kommission beschlossenen Haushaltsplan. Was die Frage der Obergrenze angeht, spielt die Bezugsgröße – das erwartete Wirtschaftswachstum der EU-Staaten – eine Schlüsselrolle. Nicht einmal die Experten sind sich einig, ob Prodi den Nettozahlern wie Deutschland entgegengekommen ist oder nicht.

Wer sich noch an die Debatte vom Oktober 2002 erinnert, als Bundeskanzler Schröder und Frankreichs Präsident Chirac unter vier Augen mal eben den Agrarhaushalt bis 2013 aushandelten, dem wird der Expertenstreit bekannt vorkommen. Damals behaupteten einige Zeitungen und Fernsehsender, Chirac habe Schröder über den Tisch gezogen und seinen Bauern für weitere sieben Jahre die fetten EU-Töpfe gesichert. Die andere Hälfte der Journaille zog aus den Zahlen genau den gegenteiligen Schluss. Legt man die nun von der EU-Kommission eingeplanten Summen für Produktsubventionen und Direktzahlungen an die Landwirte zugrunde, scheint Schröder gewonnen zu haben. Die Kosten für den Subventionsirrsinn sinken von 43,7 Milliarden Euro 2006 auf 42,3 Milliarden 2013. Diese Angaben sind allerdings inflationsbereinigt. Berücksichtigt man die Preissteigerungen, fällt die Bilanz schon wieder ganz anders aus.

Auf ähnlich wackeligen Füßen steht die Antwort auf die derzeitige Frage Nummer eins: Wie viel Prozent des gemeinschaftlichen Bruttonationaleinkommens (BNE) wird ab 2007 von Brüssel aus umverteilt? Die Kommission rechnet vor, dass sie sich bei ihrer Planung genau im rechnerischen Mittel zwischen den derzeitigen Ausgaben (knapp ein Prozent des BNE) und der einstimmig von den Staatschefs festgelegten Obergrenze von 1,24 Prozent des BNE bewegt. 2008 schnellen die geplanten Ausgaben zwar auf 1,23 Prozent des BNE hoch, dafür sinken sie 2010 auf 1,08 Prozent; der rechnerische Mittelwert beträgt 1,14 Prozent.

Allerdings geht die Kommission davon aus, dass die Wirtschaft der Gemeinschaft im Planungszeitraum um durchschnittlich 2,3 Prozent wächst. Wenn der deutsche Finanzminister bei seinen Meldungen nach Brüssel ähnlich optimistische Prognosen wagt, zeigt ihm Währungshüter Solbes stets die rote Karte. Fällt das Wirtschaftswachstum geringer aus, bedeuten die von Brüssel eingeplanten Milliarden einen größeren Prozentanteil am Kuchen; das leuchtet auch dem finanztechnischen Laien ein.

Aber selbst wenn die magische Finanzgrenze in der Planung fast erreicht wird und sich der Rat auf den Kommissionsvorschlag einigt, fließen diese Summen deshalb noch lange nicht. Denn es handelt sich dabei nur um „Verpflichtungsermächtigungen“, um eingeplantes Geld für bestimmte Projekte. Die Zahlungen fallen stets niedriger aus.

Als grober politischer Kompass allerdings ist die Mitteilung der Kommission gut zu gebrauchen. An ihr lässt sich zum Beispiel ablesen, dass die Forschungsförderung bis zum Ende der Planungsperiode verdoppelt, die Mittel für den Ausbau der transeuropäischen Netze vervierfacht werden sollen. Auch die Ausgaben für Justiz, Inneres und den Aufbau der so genannten Bürgergesellschaft sollen deutlich steigen und damit die wachsende Bedeutung dieses Politikbereiches widerspiegeln. 2013 sind drei Milliarden Euro dafür eingeplant; das macht allerdings auch dann nur zwei Prozent des geplanten Gesamthaushalts von 158,5 Milliarden aus.

Mehr als zehn Milliarden Euro sollen darauf verwendet werden, die Rolle der Union auf der Weltbühne zu verbessern. Krisenmanagement, Nachbarschaftspolitik, Kampf gegen internationales Verbrechen müssen mit diesem Geld finanziert werden. Trotz dieser neuen politischen Schwerpunkte soll bei der Landwirtschaft noch viele Jahre lang alles so weitergehen wie bisher. Bis 2013 werden die Mittel nur geringfügig zurückgeschraubt.

Auch die ostdeutschen Länder brauchen sich keine Sorgen zu machen. Da sie wegen der Osterweiterung nicht mehr die Höchstförderung aus Brüssel bekommen, ist eine Übergangsregelung für sie eingeplant. 2013 sollen sie immerhin noch 50 Prozent der Mittel bekommen, die ihnen heute zufließen. Der sächsische Europaminister Stanislaw Tillich zeigte sich sehr erleichtert. So werde eine „harmonische Integration der Beitrittsländer“ gewährleistet.