Wachschutz ist fast ehrenamtliche Arbeit

Für einen Hungerlohn arbeiten viele der 12.000 Wach- und Sicherheitsleute in Berlin. Stundenlöhne von 4,50 Euro brutto in der Stunde sind keine Seltenheit. Auch die öffentiche Hand fördert durch ihre Vergabepraxis das Lohndumping

Sicherheit ist ein Wort, das Politiker gerne in den Mund nehmen. Ob die dunkle Bahnhofsnische, der Bundestag oder Firmengelände – alles soll so sicher wie möglich sein.

Doch gerade die 12.000 Wachleute, die in Berlin für diese Sicherheit verantwortlich sind, haben eines nicht: finanzielle Sicherheit. Bei einem Bruttostundenlohn zwischen vier und sechs Euro bleibt der Verdienst selbst bei 200 Arbeitsstunden im Monat unter dem Sozialhilfesatz. „Das ist im Prinzip ehrenamtliche Arbeit, die Wachleute derzeit leisten“, kritisiert Karlheinz Gerhold von der Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di. Die Gewerkschaft hatte am Donnerstagabend zu einer Veranstaltung geladen. Rund 60 Wachleute waren in die Ver.di-Zentrale gekommen.

Grund für die katastrophale Lohnlage im Wachsektor: Seriöse Firmen geraten in Berlin immer mehr in Bedrängnis. Billiganbieter drängen auf den Markt, der Konkurrenzdruck ist enorm. Einen Flächentarifvertrag oder gar einen gesetzlich vorgeschriebenen Mindestlohn gibt es nicht. So gehen Bewachungsaufträge nicht an Firmen, die in ihre Mitarbeiter investieren, sondern an den billigsten Anbieter. Die Folge: Lohn- und Sozialdumping. Stundenlöhne in der Höhe von vier Euro bis fünf Euro sind keine Seltenheit mehr.

Auch die öffentliche Hand trägt ihren Teil dazu bei. Die Kassen sind leer, es wird gespart wo es nur geht. Jürgen Schmidt, seit zehn Jahren im Wach- und Sicherheitsgeschäft: „Unser Bundestagspräsident Thierse hat einmal gesagt, er könne sich nicht vorstellen, dass jemand für weniger als 5,50 Euro die Stunde arbeitet. Der sollte mal seinen Pförtner fragen.“

Tatsächlich arbeitet das Wachpersonal für weniger. Der Bundestag wird für 4,85 Euro pro Stunde bewacht, bei der Bundeswehr sieht es noch erschreckender aus: Gerade einmal 3,87 Euro bekommen hier die Wachleute. „Der Sozialabbau wird von Ausschreibung zu Ausschreibung fortgetrieben“, kritisiert Stephan Göpel, der bei Ver.di für die Sicherheitsleute zuständig ist.

Er fordert Mindeststandards für das Berliner Sicherheitsgewerbe: einen Flächentarifvertrag in Verbindung mit einem Tariftreuegesetz. Ein solches Gesetz würde vorschreiben, dass bei der Vergabe von öffentlichen Bewachungsaufträgen nur Anbieter berücksichtigt werden können, die ihre Mitarbeiter nach dem gültigen Flächentarif bezahlen.

Über einen solchen Tarifvertrag verhandelt Ver.di derzeit mit dem Arbeitgeberverband der Berliner Sicherheitsunternehmen. Die Forderungen der Gewerkschafter aber sind bescheiden. Rund sechs Euro Mindestlohn will Ver.di den Wachleuten sichern. Göpel: „Früher haben wir keine Forderungen unter sechs Euro gestellt, aber das wäre heute einfach nicht mehr durchsetzbar.“

Es geht also zunächst nicht darum, den 12.000 Beschäftigten des Berliner Sicherheitsgewerbes ein gutes Einkommen zu verschaffen, sondern weiteres Dumping zu stoppen.

Auch die Politik wird von Ver.di in die Pflicht genommen. Die öffentliche Hand soll sich ihre Sicherheit in Zukunft etwas mehr kosten lassen. „Denn wie sollen ein paar Cents den Wachmann am Flughafen, in einem Atomkraftwerk oder im Deutschen Bundestag dazu motivieren, im Ernstfall seine Gesundheit oder gar sein Leben einzusetzen.“ ANNE RUPRECHT