Nur Staub

Die Hure in Isabelle McEwens Workshop-Performance auf Kampnagel klagt die Zuschauer als Freier an

Drei Frauen traktieren die Saiten ihrer Bassgitarren. Der Schlagzeuger peinigt die Drums: Punk. Eine blutjunge Frau (Marina Senkel) zieht sich hektisch an, rennt zum Bühnenrand, zieht sich wieder aus. Immer wieder. Je nachdem, was der jeweilige Freier liebt: das kleine Schwarze, die Orientvariante, Leinenschick.

Er ist wir, das Publikum. Uns streckt sie in Isabelle McEwens Hure, präsentiert im Rahmen der Kampnagel-Reihe „feuer + flamme“ ihren Hintern entgegen, uns meint sie, wenn sie stöhnt, ächzt, lacht und klagt: „Mir den Tod zu wünschen, das ist alles, was ich will.“ Dabei ist sie beides: fasziniert davon, dass so viele Männer ihren Körper begehren und gepeinigt vom Schmerz, sich zu verkaufen, vom Ekel, den das ewige Sperma ihr bereitet.

Gefühle, die sie sich nicht gönnt. Sie auszudrücken übernimmt die Band: Der Punk ist für Kraft und Pein zuständig, die leisen Töne für Trauer und Resignation. Wie zu Flower-Power-Zeiten singt Senkel zwischendurch von „Staubkörnern, die wir ja alle sind“. Die starken Monologe aus der Romanvorlage von Nelly Arcan spricht Senkel zusammen mit zwei weiteren Mitspielerinnen synchron, was den Worten an Kraft nimmt, weil sie teils nicht zu verstehen sind. Dabei machen gerade sie aus der Spermabüchse einen leidenden Menschen: „Fast hätte ich vergessen, dass ich unfruchtbar bin, ausgebrannt. Und dass alles Sperma der Welt keinen Funken Leben mehr aus mir herauslocken kann.“

Das Zusammenspiel von Text, Spiel und Musik trifft den gesellschaftskritischen Nerv von Arcans Roman. „Es sind die Auswirkungen einer industrialisierten Sexualität, die mich stören“, sagt die Autorin. Regisseurin Isabelle McEwen plant, zusammen mit Arcan den Roman vollständig zu dramatisieren. Der Workshop-Abend auf Kampnagel gab Einblick in einen fruchtbaren Arbeitsprozess. Katrin Jäger