Niemals den falschen Mann nehmen

Den Dickschädeln gehört sein Herz: Christian Stückl ist ein Anarcho-Traditionalist im Stoiber-Land, der zwischen Shakespeare und „Geierwally“ nicht trennen mag. Ein Porträt des fröhlichen Regisseurs und bekennenden Oberammergauers, der Volk und Theater mit großem Erfolg neu buchstabiert

Stückl hat nie mit Moden getändelt und wurde dennoch wahrgenommen

von SABINE LEUCHT

Zuerst ist da sein Lachen. Breiter als das Gesicht und nur der größten Freude angemessen. 1987, als der damalige Mittzwanziger in seinem Heimatdorf Oberammergau erstmals zum Passionsspielleiter berufen wurde, gab es sogar einen blinden Gemeinderat, der dauernd gefragt haben soll: „Grinst er schon wieder?“ Christian Stückl erzählt es 16 Jahre danach – und lacht.

Heute sitzt er selbst im Rat des 5.000-Seelen-Kaffs im Oberland. „Wenn ich manchmal mittwochs rausfahr, denk ich: Auch das noch! Aber es tut gut, sich auch mal mit Schneekanonen zu be-schäftigen.“ Im Hauptberuf ist der 41-jährige seit 2002 Intendant des Münchner Volkstheaters. Knapp vor Saisonstart hat Stückl noch schnell den Salzburger „Jedermann“ reformiert, der seit 82 Jahren allsommerlich mit bekannten Schauspielern und einem seit Max Reinhardt kaum veränderten Outfit lockt. Was von Bertolt Brecht bis Botho Strauß keiner recht wagen wollte, „der Stückl“ hat’s geschafft. Er hat Hoffmannsthals Weihespiel geerdet, die Allegorien „Gott“ und „Tod“ individualisiert – und Publikum wie Kritik zum Jubeln gebracht.

Dafür fiel sein Einstand im Volkstheater eher unbedarft aus. Stückls frischfröhlicher „Titus Andronicus“ machte dennoch gleich klar, wofür das Stückl-Theater steht: Für das große Live-Erlebnis, überbordende Spielfreude und für die Weigerung, „Volk“ aufs Folkloristisch-Biedere zu reduzieren. Auf Stückls Brettern wird man nie und nimmer putziges Brettltheater finden, sondern die ganz großen Erzählungen „von der Liebe und den Leuten“. Und von heute.

Deshalb führt sein Volkstheater nicht nur die Stücke der Autoren Thoma/Fleißer/Nestroy, sondern neben Shakespeare auch Ibsen und Newcomer wie Kristo Sagor auf, deshalb hält es sich ein extrem junges Ensemble und Gastregisseure um die zwanzig. Risiko inklusive. So hätten Schillers „Räuber“ die erste Theaterarbeit des Filmemachers Marco Kreuzpaintner werden sollen. Doch dann musste der Hausherr selbst übernehmen – vorgeblich aus Zeitgründen.

Ja doch, räumt der quirlige Wirtssohn zwischen zwei Lucky Strikes ein, er habe bereits Fehler gemacht. Zum Beispiel war er nicht vorab informiert, dass sein einstiger Mentor Dieter Dorn am Bayerischen Staatsschauspiel zur gleichen Zeit wie er an einem „Titus“ gearbeitet hat. Nun, wenn das mal kein typischer Stückl-Fehler war? Einer, der davon kommt, wenn man immer der eigenen Nase folgt und Vorbilder nicht einmal braucht, um sich gegen sie abzugrenzen.

Einen Ober-Bayern, dessen breites Idiom seine Herkunft in keiner Weise verschweigt, denkt man sich im Norden gewiss stromlinienförmiger. Doch Stückl ist ein Anarcho-Traditionalist, wie sie – dem Vorurteil zum Trotz – in diesen Breiten ganz gern gedeihen. Mit Kids aus Oberammergau und dem Chiemsee-nahen Riedering hat er zu Weihnachten ein Krippenspiel improvisiert, von dem der Nicht-Muttersprachler nur versteht, dass es rotzfrech ist – und die Dorfjugend aus vollen Kehlen musikalisch. Auch wenn es in der Aufführung mal holpert oder knirscht – hier wirkt im tiefsten Dialekt das erfrischend-archaische Gegengift zum angepassten Stoiber-Land.

Selbst Mundarttheater, das dem Stückl weit weniger liegt, als es sein Mundwerk vermuten ließe, muss beileibe nicht komödienstadelhaft brav daherkommen. In seiner Inszenierung der „Geierwally“ etwa hat manch einer das lederhosenbewehrte Bauernidyll vermisst. „Nee“, sagt der Regisseur dazu nur fröhlich, „so was mach ich nicht.“

Wilhelmine von Hillerns durch den Heimatfilm bekannt gewordene Geschichte über die Wally, die keinen will außer den, den sie nicht kriegen kann, stößt laut Stückl vor allem bei Frauen auf Kritik: „Die soll sich doch anpassen“, sagten manche. 1995 dachten indische Schauspielerinnen in Mysore ganz ähnlich, wo Stückl auf Einladung des Nataka Rangayana Nationaltheaters den „Sommernachtstraum“ inszenierte. Als keine die Rolle der Hermia übernehmen wollte, die den ihr vom Vater bestimmten Mann zurückweist, „da wusste ich,“ sagte er damals der Süddeutschen Zeitung, „ich muss dieses Stück machen“.

Nicht erst seither gehört den Dickschädeln sein Herz. Den Unangepassten, die anders ticken, als die Strukturen es fordern. Koltès’ Mörder Roberto Zucco zum Beispiel – oder dem Oberammergauer Jesus des Anton Burckhard, der im Jahr 2000 einer langen Reihe biederer Andachtsfiguren folgte.

Während der Pest von 1634 haben die Oberammergauer ein Gelübde abgelegt: Alle zehn Jahre wollten sie mit langen Haaren und Bärten die Geschichte vom Leiden und Sterben des Herrn aufführen. Dafür solle sie der fortan von der Seuche verschonen. Seit den 70ern umgab das Passionsspiel nicht nur der Ruch hinterwäldlerischer Frömmelei, sondern auch der des Antisemitismus. Bei Stückls zu Hause in der Wirtschaft lieferten sich Reformgegner und -befürworter erbitterte Kämpfe; Vater und Großvater hatten große Rollen in den Spielen vergangener Jahre inne. 2000 dann hat der Sohn den Jesus neu entstehen lassen und wie einen Bruder von Hermia und der Geierwallyin in eine Inszenierung eingebettet, die mit unglaublich schönen Bildern und rabiat verschlanktem Pathos erstmals auch die Fachkritik für sich einnahm.

„Künstlerisch“ soll der Chefdramaturg der Münchner Kammerspiele damals dennoch gesagt haben, „künstlerisch bringt Oberammergau nichts ein.“ Stückl aber zuckt dazu nur ergeben mit den Achseln, fährt sich einmal mehr durch die dunklen Locken und findet: „Das hat was, ein Jahr lang mit 2.000 Leuten Theater zu machen.“ Und wer einmal zur Passionsspielzeit den Ort der Herrgottsschnitzerläden besucht hat, muss ihn einfach verstehen.

Holzbildhauer hat auch der junge Stückl einst gelernt. Manche mäkeln, man sehe es seinen Inszenierungen immer noch an. Andere haben ihn 1991 zum Nachwuchsregisseur des Jahres gewählt – mit der Uraufführung von Werner Schwabs „Volksvernichtung“ an den Münchner Kammerspielen. Es war die Zeit, in der auch Anselm Weber, Leander Haußmann und Matthias Hartmann zu Lieblingen der Feuilletons avancierten. Lautere als Stückl, scheinbar Erfolgreichere. Doch während etwa der einstige Goldjunge Haußmann als Bochumer Intendant künstlerisch den Geist aufgab, ist Stückl sich als vagabundierender Regisseur treu geblieben: Nie hat er mit Moden getändelt, nie die Figur des genialischen Umstürzlers spielen müssen. Und wurde dennoch wahrgenommen.

„Stimmt, ich hab mich nie ir-gendwo bewerben müssen“, sagt er im Volksgarten, der Theaterkneipe seines 600 Sitze fassenden Hauses, dem er mit dunklem Holz und viel Licht das 80er-Jahre-Turnhallenflair ausgetrieben hat. 1987 rief ihn Dieter Dorn als Assistent an die renommierten Kammerspiele, wo er in den Neunzigern vier Jahre lang Spielleiter war, 2002 holte in Jürgen Flimm für die Salzburger Festspiele; und auch als für das Volkstheater ein Nachfolger für Ruth Drexel gesucht wurde, musste Stückl nicht erst umständlich anklopfen.

Heute hat sein Erfolg den „Dompteur der Dorfmassen“ (SZ) dahin geführt, dass er sich selbst zu stark „von Umsatzzahlen getrieben“ sieht. Dafür aber hat sich Christian Stückl in der Briennerstraße schon jetzt ein Stück „Heimat“ geschaffen: Mit den Bühnenbildnern Christian Sedlmeyer und Marlene Poley arbeitet er seit der „Volksvernichtung“ zusammen, einige der Oberammergauer „Laien“ haben inzwischen einen festen Platz im Ensemble – und fast täglich steht der hoch gewachsene Strahlemann in „seinem“ Theater mit hinter der Kasse oder fragt Besucher nach ihren Eindrücken.

Gottlob hat Christian Stückl noch eine Wohnung „draußen beim Land“, wo alte Freunde wohnen, „die nichts mit Theater zu tun haben“. Wo die Probleme Schneekanonengröße haben und man den nie ganz verlorenen Sohn am Lachen erkennt. Selbst als Blinder.