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Archiv-Artikel

Weiß wie die Sonne

Der letzte Barde der Revolution: Bei einem Konzert im Schillertheater war an der Legende Georges Moustaki nicht zu rütteln. Er machte „Worldmusic“ lange vor der Prägung des Begriffs

Seine Lieder handeln von der Hoffnung auf eine brüderliche, freie, fröhliche Welt

von CHRISTIANE RÖSINGER

Wer kennt eigentlich noch Georges Moustaki? Die Jüngeren kennen ihn höchstens von den Platten ihrer Eltern, angehende Senioren noch aus seligen Studienzeiten, und die Mittleren erinnern sich vielleicht noch schwach an die „Student für Europa“-Heftchen, fotokopierte Songbücher, aus denen man zur Lagerfeuergitarre auf Jugendfreizeiten „Donna Donna“, „Blowing in the Wind“ und Moustaki sang. Yussef Mustacci wird 1934 in Alexandria als Sohn griechischer Einwanderer geboren, geht mit 17 nach Paris, spielt dort Gitarre in Cafés und Kabaretts, wird entdeckt von George Brassens, schreibt 1958 für Edith Piaf den Welthit „Milord“.

Im ausverkauften Schillertheater warten viele der Generation 55 plus, aber auch erstaunlich viele jüngere Fans auf die Chansonlegende. Ganz in weiß betreten die Musiker der vierköpfigen Band die Bühne, spielen ein Intro und dann kommt elastischen Schrittes, in noch strahlend weißerem Weiß, er: Ein würdevoller alter Mann, mit der Aura eines Sektenführers, des lieben Gottes im Kinderfilm oder eines esoterischer Zahnarztes. Sehr leise und zurückhaltend spielt die Band, hier steht der Text eindeutig im Vordergrund. Höchstens im Refrain schwillt die Lautstärke ein wenig an. Der Schlagzeuger spielt so zart, da werden die Becken mit den Handflächen getätschelt, die Toms mit den Knöcheln getrommelt. Mit kleinen Anekdoten sagt Moustaki die Lieder an, wettert gegen Monsieur Double-Juh Bush, gegen den Krieg. Mit fast 70 Jahren engagiert er sich immer noch politsch, trat letztes Jahr in Straßburg auf der Großdemo gegen die Front National auf, aber wenn er jetzt von der „révolution permanente“ singt, klingt es wie ein Zitat des Zitats. Viele seiner Chansons sind aus Begegnungen mit anderen Ländern, Autoren und Sängern entstanden. Das Mittelmeer aber ist seine große Liebe, den Kulturen des Mittelmeers fühlt er sich verbunden.

Moustaki sah sich schon in Alexandria als „Bürger der französischen Sprache“ . Als in Griechenland gegen die Militärdiktatur gekämpft wurde, besann er sich auch musikalisch auf seine Wurzeln, verband griechische Volksweisen mit französischer Chansontradition. Während der Nelkenrevolution in Portugal 1974 entdeckte er die portugiesische Musik. Die Freundschaft zum Schriftsteller Jorge Amado brachte ihm dessen Heimat nahe, und so fühlt er sich heute „ im Herzen als Brasilianer“. All diese Begegnungen brachten weitere Nuancen in sein musikalisches Repertoire, er machte „Worldmusic“, lange bevor der Begriff geprägt wurde. Seine Texte sind stark von der Aufbruchstimmung in Paris 68 geprägt. Sie handeln letztendlich alle von der Hoffnung auf eine neue brüderliche, freie, fröhliche Welt: „Marianne“ ,„Le temps de vivre“, „Ma liberté“, „Nous sommes deux“. Die alten Freiheitsknaller kommen auch beim Konzert am laufenden Band, und die 60jährigen im Parkett stöhnen ergriffen auf, wenn sie die Liedanfänge erkennen.

Moustaki spielt Akkordeon, Gitarre, Klavier, aber auch die Bouzouki, Mandoline und manch anderes kleine Gitärrchen wird da gezupft, melodika-ähnliche Blasinstrumente kommen zum Einsatz. Die Musiker stammen aus Portugal, Frankreich und Brasilien, auf Französisch, Griechisch und Portugiesisch singen sie Moustakis Lieder mit. Die Bossa-Nova-Stücke bringen Abwechslung und Tempo, bevor die Band für „Ma solitude“ die Bühne verlässt und Moustaki allein mit seiner Gitarre noch einmal die großen Hits spielt. „Avec ma gueule de métèque, de juif errant, de pâtre grec et les cheveux aux quatre vents“: Im Selbstporträt und größten Hit „Le Métèque“ von 69 sieht er sich als Musiker, Vagabund, griechischer Schäfer, der trinkt, lebt und sich an der Jugend von zwanzigjährigen Mädchen satt trinkt. Gendermäßig ist der gute alte Moustaki nicht mehr ganz auf der Höhe. Dann kommt die Band wieder, er tanzt noch ein bißchen Sirtaki, unter Jubel verabschiedet er sich.

Alles erhebt sich von den Sitzen, Verehrerinnen bringen weiße Tulpen. Moustaki dankt dem Berliner Publikum für seine Liebe, seine Wärme , und dann geht der Mann in Weiß, der letzte Barde der Revolution.