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Archiv-Artikel

„Ich will ein starkes Leben führen“

Katharina Oguntoye

„Man muss erst mal akzeptieren, dass sich jemand diskriminiert fühlt. Wenn man das nicht anerkennt, ist das eine erneute Diskriminierung. Als würde man sagen: Deine Wahrnehmung stimmt nicht.“

Nach fünf Jahren Stille bewegt sich wieder was in der schwarzen Community Berlins: Bis zum 28. Februar laufen die Black Community Weeks, ein Forum für Afro-Deutsche und hier lebende Afrikaner. Katharina Oguntoye, 45, ist seit den 80er-Jahren in der Community aktiv und Mitbegründerin der Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland (ISD). 1986 hat sie das Buch „Farbe bekennen“ mitherausgegeben, das den Begriff „Afro-Deutsche“ prägte. Zurzeit leitet Oguntoye das Projekt Jolabi, das psycho-soziale Betreuung für afro-deutsche Kinder und gemischte Familien anbietet.

Interview WIBKE BERGEMANN

taz: Frau Oguntoye, diese leidige Frage wird Ihnen bekannt vorkommen: Woher kommen Sie?

Katharina Oguntoye: Schlimmer finde ich die Frage: „Wann gehen Sie wieder zurück?“ Aber Ihre Frage hat mich natürlich begleitet. Mein Vater kommt aus Nigeria. Außerdem habe ich Wurzeln in zwei deutschen Staaten, weil ich in der DDR geboren bin. Schon als Teenager habe ich mir meine kulturelle Mischung als afro-europäisch erklärt.

Die Frage, woher Sie kommen, ist also erlaubt?

Naja. Bei manchen Leute entsteht da natürlich ein wunder Punkt. Denn die Frage stellt jedes Mal die Selbstverständlichkeit in Frage, dass man als Schwarze aus Deutschland kommt.

Wo verläuft die Grenze zwischen Unwissenheit und Diskriminierung?

Man kann auch unwissend diskriminieren. Das ist ein Muster, dem man in der Rassismusdiskussion immer wieder begegnet: Ich habe das nicht so gemeint. Die Leute meinen es nicht böse, aber das hat System. Das ist ein Ablenkungsmechnismus, um nicht zu sehen, was geschieht. Man muss erst mal akzeptieren, dass sich jemand diskriminiert fühlt. Wenn man das nicht anerkennt, ist das eine erneute Diskriminierung. Als würde man sagen: Deine Wahrnehmung stimmt nicht, es gibt diesen Rassimus nicht.

Was erleben Sie in der U-Bahn?

Man muss immer damit rechnen, dass jemand einem auf den Schlips tritt. In diesen Situationen versuche ich einzuschätzen, ist das jetzt gefährlich? Für die verbalen Übergriffe hat man sich einfach eine Strategie überlegt. Wenn mich jemand anstarrt, kann ich böse gucken oder lustig blinzeln. Einen Betrunkenen, der mich beschimpfte, habe ich gefragt: „Meinst du, das hilft dir mit deinen Problemen, wenn du mich anmachst?“ Ich versuche, nicht mit einer neuen Beleidigung zu erwidern, sondern das Verhalten der Leute zu hinterfragen. Das Üben lohnt sich, denn so eine Situation kommt garantiert wieder.

Wie ist das, wenn man als Schwarze durch die Hasenheide läuft? Nach wieviel Minuten wird man von der Polizei angehalten?

Ein Kollege von mir wird immer wieder von der Polizei angehalten. Ich sehe ein, dass sie hin und wieder Razzien machen muss. Aber ich verstehe nicht, warum man die Leute nach Hautfarbe kontrolliert. Das ist für mich eine glatte Diskriminierung. Natürlich muss man gegen Drogendealer vorgehen. Die Frage ist nur, wie. Wenn ich lediglich mit Polizeieinsätzen die Szene vertreibe, ist sie im nächsten Sommer wieder im Park.

Worüber ärgern Sie sich am meisten?

Ich konzentriere mich auf meine Arbeit. Ich frage mich nicht, wie sich Rassismus auf mich auswirkt, sondern wie ich ein starkes, produktives Leben führen kann.

Noch als Studentin haben Sie die Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland, die ISD, mitgegründet.

Ein Freund hat alle Afro-Deutschen, die wir erreichen konnten, zu sich nach Hause eingeladen. Das waren 30 Leute, ich war mit 25 Jahren die Älteste. Es war ein irres Gefühl. Für die meisten war es das erste Mal, mit so vielen schwarzen Leuten in einem Raum zu sitzen.

Es gab damals noch keine Community?

Richtig, unsere Arbeit war in den ersten zehn Jahren davon geprägt, unsere Identität zu bestimmen, weil wir alle aus der Vereinzelung kamen. Bei mir in der Familie gab es ja nur meinen Bruder, sonst waren alle weiß. Meine Schulkameraden, meine ganze Umgebung war weiß. Das macht es nicht leicht, eine Identität zu finden. Immerhin habe ich als Kind zwischen 7 und 9 Jahren auch in Afrika gelebt. Daher habe ich eigene Bilder zu dem, was ich mir unter Afrika vorstelle. Wenn man keine eigenen Bilder hat, dann ist man den klischeehaften Bildern dieser Gesellschaft ausgeliefert.

Wie sah diese Suche nach der eigenen Identität in der ISD aus?

Gleich zu Beginn diskutierten wir die Begriffe. Es gab damals ja nur „Mischling“, „Besatzungskind“ und „Neger“. In unserem Buch „Farbe bekennen“ haben wir den Ausdruck „Afro-Deutsche“ vorgeschlagen, womit wir uns aber ausdrücklich auf die Sozialisation und nicht auf einen Nationalbegriff des Bluts beziehen. Leute aus der Karibik und den USA konnten allerdings mit dem „Afro“ nicht viel anfangen. In der ISD haben wir uns dann auf die Begriffe „Schwarze Deutsche“ und „Afro-Deutsche“ geeinigt.

War die Identitätssuche wichtiger als das Thema Rassimus?

Uns ging es natürlich auch darum, Präsenz zu zeigen. Anfang der 80er-Jahre war Rassismus noch ein Tabuthema. Das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen. Es gab diese Übergriffe noch nicht, und für den alltäglichen, subtilen Rassismus gab es kein Bewusstsein. Meine Koautorin May Ayim wollte ihre Magisterarbeit in Pädagogik über Rassismus in Deutschland schreiben. Ihr Professor lehnte das Thema ab: Also, in Deutschland gebe es keinen Rassismus.

Haben Sie eher die Separation oder die Integration gesucht?

Für die ersten Jahre war es sehr wichtig, ein Forum zu haben, wo man unter sich sprechen konnte. Im ersten Prozess der Selbstfindung geht es nicht, dass man sich immer verteidigen muss. Wenn jemand erzählt, was er erlebt hat, sollte niemand sagen, „nun hab dich mal nicht so“. Denn das ist genau das Argument, das man immer im Alltag hört. Deswegen haben wir dafür gesorgt, dass es eine schwarze Gruppe war.

Einige aus der Community haben Andreas Hartwig, den Veranstalter der Black Community Weeks, dafür kritisiert, dass sich das Programm auch an weiße Menschen richtet.

Die ISD war ein Verein für schwarze Menschen, weil es notwendig war, sich über bestimmte Themen klar zu werden. Wie in der Frauenbewegung hat es aber auch in der Schwarzenbewegung eine Grenze dessen gegeben, was man in diesem Rahmen diskutieren kann. Irgendwann muss ich mich damit auseinandersetzen, was in der Interaktion mit meiner Umwelt passiert. Diese Öffnung nach außen ist der ISD nicht gelungen.

Bis 1999 fand in Berlin jährlich der Black History Month als Forum für die Community statt. Nun hat sich die ISD Berlin den Black History Month patentieren lassen und verhindert, dass Hartwig den Namen benutzt.

Mike Reichel von der ISD hat das Konzept des Black History Month aus den USA mitgebracht und hier in Berlin solche Veranstaltungen organisiert. Er hat die verschiedensten Leute dazu gebracht, sich zu beteiligen – Afrikaner, US-Afrikaner, Leute aus der Karibik, manchmal auch Engländer. Das sind riesige Kulturunterschiede, die wir damals einfach übersprungen haben. Reichel ist jetzt nicht mehr aktiv. In den letzten Jahren sind alle Versuche, den Black History Month wiederzubeleben, an Streitereien gescheitert.

Warum ist die Community so zerstritten?

Das sind interne Geschichten. Sie passieren, wenn Leute im eigenen Saft schmoren. In so einem kleinen Pool von Leuten will sich jeder mal aufspielen.

Entstehen die Streitigkeiten nicht auch deshalb, weil zu der Black Community Afro-Deutsche genauso wie Migranten aus Afrika und der Karibik zählen, weil sie eben so vielfältig ist?

Das war das Spannende an den Black History Months: Als uns die großen kulturellen Unterschiede bewusst wurden. Wir sind in das Projekt reingesprungen und dachten: ‚Super! Alle zusammen!‘ Sehr schnell tauchten dann Probleme auf, etwa mit der Sprache. Mitunter verstehen wir uns auch dann nicht, wenn alle Deutsch sprechen – weil kulturelle Konzepte hinter den Worten stehen, die man kennen muss. Wenn mein afro-brasilianischer Kollege sagt, ‚das geht nicht‘, bedeutet das nicht, dass etwas nicht möglich ist. Das ist in seiner Sprache nur eine Floskel, mit der er seine Erläuterungen zu einem Thema einleitet.

Reicht es, die gleiche Hautfarbe zu haben, um sich zusammenzutun?

Der Rassismus wirft uns alle in einen Topf. Der kleinste gemeinsame Nenner, der uns verbindet, ist die Unterdrückung.

Wünschen Sie sich eine politische Vertretung für schwarze Deutsche, etwa einen afro-deutschen Vertreter im Migrationsbeirat des Landes?

Ja, dringend. Egal, ob bei der Arbeit mit Kindern oder mit afrikanischen Migranten in der Community: Wir haben immer Probleme, Projekte zu finanzieren. Wenn wir einen Vertreter im Beirat oder einen Bundestagsabgeordneten hätten, dann könnte ich an den herantreten, damit er Lobbyarbeit für uns macht.

In dem Projekt Jolabi arbeiten Sie mit Kindern. Haben die es nicht eigentlich leichter als Erwachsene?

Wir versuchen den Kindern mitzugeben, du bist kein Sonderfall. Wenn sie andere afro-deutsche Kinder treffen, lernen sie, ihre Hautfarbe als etwas Normales zu sehen. Für mich ist das Prävention: Wie kann man eine Community aufbauen, die sich selber helfen kann? Denn die Leute haben große Schwierigkeiten. Jedes Jahr gehe ich auf eine Beerdigung: Mal ist es Selbstmord oder die Leute sterben an Krebs. Andere versumpfen irgendwo, werden arbeitsunfähig. Ich muss auf die nächsten Generationen hoffen, und versuchen, etwas für die zu tun.

Welche Hilfe brauchen die Eltern?

Wir helfen den Eltern, ihre Kinder zu unterstützen. Die Mütter wissen oft nicht, wie sie auf die Diskriminierungen in der Schule reagieren sollen. Es gibt wenig Angebote für diese gemischten Familien. Für eine Beratung muss man wissen, was Rassismus ist. Man kann in diesen Familien nicht nur auf der persönlichen Ebene ansetzen. Genauso wenig kann man sich auf die Kulturunterschiede beschränken.

Kennen Sie solche Probleme aus der eigenen Beziehung?

Es ist kein Zufall, dass ich eine nicht-deutsche Partnerin habe. Meine Freundin ist weiße Kanadierin. Sie hat in Montreal studiert, dort sind Menschen verschiedenster Herkunft selbstverständlich.

Arbeiten Sie nur mit afro-deutschen Kindern?

Wir geben auch Workshops in Schulen. Für mich war es ein wichtiger Schritt, zu sagen, ich will was mit Jugendlichen verschiedener Herkunft machen.

Können Sie sich eine farbenblinde Gesellschaft vorstellen?

Es gab immer wieder Orte und Zeiten, zu denen verschiedene Kulturen ganz friedlich zusammen lebten. Dann passiert irgendwas und plötzlich sind sich alle wieder Feind. Deswegen habe ich kein Vertrauen, auch wenn wir jetzt in einer demokratischen Gesellschaft leben. Ich habe immer Angst, dass das wieder umkippt.