: Nicht nachtreten. Vorbeugen!
Das Treffen von Chirac, Putin und Schröder in St. Petersburg kommt zur rechten Zeit: Die US-amerikanischen Gegner der Bush-Regierung brauchen Unterstützung von außen
Die Eroberung des Irak war eher eine Exekution als ein Krieg. Das Todesurteil dürfte schon im Juli 2002 ergangen sein. Was nachher kam, etwa im UN-Sicherheitsrat, bei den Inspektionen tangierte es nicht, verzögerte allenfalls die Exekution. Nur ein einziger Umstand hätte sie verhindern können: Bush hätte befürchten müssen, dass der Militärschlag seine Wiederwahl gefährdet. Alles, was aus Paris, Berlin, Moskau, Peking oder Ottawa an Widerstand kam, interessierte die Rumsfelds nur insofern, als es auf die inneramerikanische Diskussion einwirkte.
Exekution: Asymmetrische Kriege, bei denen der technisch Unterlegene keine Chance hat, sind eine Versuchung für den Überlegenen. Wenn es in den letzten Jahrhunderten gelegentlich auch Friedenszeiten gab, dann einfach deshalb, weil Krieg für alle Seiten immer riskant, die Zahl der eigenen Opfer unberechenbar, meist auch der Ausgang offen war. Dies alles gilt nicht mehr für den asymmetrischen Krieg. Wenn in einigen Monaten die Opfer auf beiden Seiten gezählt worden sind, so dürften auf einen gefallenen Amerikaner mindestens hundert umgekommene Iraker kommen. Der Papst hat Recht: Wo das über Jahrhunderte entscheidende Hindernis für den Waffengang wegfällt, droht der Krieg zum normalen Mittel der Politik zu werden. Es sei denn, es entstehen neue Hindernisse. Daher ist die Befürchtung, demnächst werde ein anderer Böser verurteilt und nach angemessener Vorbereitungszeit exekutiert, nicht hysterisch, sondern historisch begründet.
Exekution ist Bestrafung. Bush hat den Irakkrieg als Bestrafung des Bösen inszeniert, Krieg, nicht mehr als militärische Form eines Konflikts. Aber der asymmetrische Krieg hat auch Folgen für die Unterlegenen – und das sind nicht nur die Mitläufer des Saddam Hussein. So fühlen sich die meisten Araber und viele nichtarabische Muslime. Bei denen, die kaum zum Kämpfen kamen, weil sie gegen Bomben und Raketen nichts ausrichten konnten, bleibt ein Gefühl der Demütigung, der Erniedrigung, des Grolls und der Rachsucht. Und diese Emotionen entladen sich in der äußersten Form asymmetrischen Kampfes, im Terror. Viel unfairer als die des asymmetrischen Krieges sind unsere Methoden auch nicht, sagen die Terroristen. Sie dürften 2003 noch mehr Glauben finden als 2001.
Was der „Erfolg“ der Irakexekution ist, lässt sich in ein paar Jahren abschätzen. Was bisher sichtbar wird, stimmt nicht hoffnungsfroh. Sicher, viele, wahrscheinlich die Mehrheit der Iraker sind froh, Saddam Hussein los zu sein. Das hat schon vorher kaum jemand bezweifelt. Aber gewagt haben sie dafür nichts. Daher bilden sich auch jetzt keine runden Tische, an denen ein neuer politischer Wille entsteht. Die Tische werden von Plünderern zum Verkauf abtransportiert. Diese rechnen also damit, dass auch künftig niemand fragt, wo das Diebesgut herkomme.
Freiheit will gelernt sein. Man lernt sie nicht von heute auf morgen und auch nicht von intelligenten Bomben. Vielleicht sind die Neokonservativen Washingtons überrascht, dass jetzt mancher Iraker Freiheit mit totaler Deregulation, ja mit dem Recht des – wenigstens zeitweise – Stärkeren verwechselt. Ein asymmetrischer „Sieg“ ist eben eine Sache. Ein demokratischer Rechtsstaat eine ganz andere. Darüber, ob die Exekution im Irak den Terror beschädigt oder angestachelt und popularisiert hat, reden wir in zwei Jahren.
Die Merkels, Schönbohms und Pflügers, die im abgelaufenen Jahr alles getan haben, um die Bush-Administration zu ermutigen, tönen jetzt: Lasst uns den armen Menschen helfen, ganz gleich, wie in Bagdad regiert wird. Vorsicht! Jetzt geht es nicht nur darum, den Geschundenen Hilfe zu bringen, sondern auch darum, anderen Völkern ein ähnliches Schicksal zu ersparen: den Syrern, den Persern, den Nordkoreanern und noch einigen anderen. Wenn es auf dieser Welt gute und böse Staaten gibt und es Aufgabe der guten ist, die bösen aufs Haupt zu schlagen – und dies war die Ideologie der Irakexekution –, wenn dabei gilt: Wer nicht mit uns schlägt, ist möglicherweise auch böse, dann sind wir nicht am Ende der asymmetrischen Kriege.
Ob es zu weiteren kommt, wird in der Öffentlichkeit der USA entschieden. Die Kräfte, die es verhindern wollen, sind stärker, als sie scheinen. Wenn die patriotische Kriegsbegeisterung abgeflaut ist, werden etwa Kirchen aufmerksamer gehört werden. Aber sie brauchen den Hinweis darauf, dass die Leute um Bush sich weltpolitisch isolieren. Daher ist es richtig, wenn auch waghalsig, dass der Bundeskanzer jetzt vor weiteren Kriegen warnt. Es ist richtig, wenn Chirac, Putin und Schröder alles vermeiden wollen, was den Militärschlag gegen den Irak nachträglich legitimieren könnte. Sie treten nicht nach – sie beugen vor. Daher ist es auch höchst unwahrscheinlich, dass der UN-Sicherheitsrat die USA förmlich mit der Regierung des Irak beauftragt.
Es ist auch kein Nachtreten, sondern Vorbeugen, wenn jetzt noch einmal über die Begründung des Krieges geredet wird. Im UN-Sicherheitsrat ging es darum, dem irakischen Diktator Massenvernichtungsmittel zu nehmen. Er selbst hatte betont, er habe keine. Er hatte, grollend, die Inspektoren ins Land gelassen. Sie hatten nichts gefunden. Aber die USA – und darin folgte ihnen die Resolutionen 1441 – hatten einfach die Beweislast umgedreht: Saddam Hussein sollte beweisen, dass er nichts mehr hat. Wie geht das?
Zumindest vom Pentagon her gesehen bedeutete die Umkehr der Beweislast, dass die Exekution nicht mehr aufzuhalten war. Sollte sich jetzt herausstellen, dass Saddam wirklich keine Massenvernichtungswaffen mehr hatte, dann würde klar: Wir wurden Gegenstand und Opfer einer raffinierten Gehirnwäsche. Man darf sogar die Frage wagen: Hätten die US-Militärs den Irak angegriffen, wenn sie selbst geglaubt hätten, Saddam verfüge über einsatzfähige Massenvernichtungswaffen? War also das Fehlen des Kriegsgrunds die Voraussetzung des Krieges?
Jacques Chirac, der Konservative, hat Recht, wenn er prinzipiell gegen die Strategie der „preemptive strikes“ angeht. Wenn der Präsident der Supermacht berechtigt sein sollte, alle von ihm als „böse“ Klassifizierten durch vorbeugende Schläge auszuschalten und dann die anderen Staaten vor die Wahl zu stellen, ob sie für oder wider ihn seien, dann ist niemand mehr sicher. Dann steht uns allen so etwas bevor wie ein Nahostkrieg im Weltmaßstab: Auf der einen Seite eine technisch allen anderen haushoch überlegene Armee, auf der anderen die entstaatlichte Gewalt rachedurstiger Terroristen. Beide Seiten haben dann immer Anlass, Rache zu üben, Rache für die Rache für die Rache. Die Friedensordnung des 21. Jahrhunderts?
Nein, jetzt ist nicht Friede, Freude, Eierkuchen angesagt. Jetzt muss sich innerhalb der USA entscheiden, ob der Irakkrieg das Ende oder der Anfang einer Politik ohne Augenmaß war. Dabei können wir uns um unsere Verantwortung nicht drücken. Denn eines haben die vergangenen Monate gezeigt: Irrelevant ist diese Bundesrepublik nicht. ERHARD EPPLER