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Der Kanzler kehrt um

Wie bei den Grünen setzt sich auch bei der SPD die Basis durch: Parteichef Schröder sagt einen Sonderparteitag zu den Sozialreformen zu

aus Berlin ULRICH SCHULTE

Sonntag, 15.35 Uhr und 41 Sekunden. Die Deutsche Presseagentur schickt eine Eilmeldung. „Schröder schlägt Sonderparteitag zu Reformkurs vor.“ Damit hat der Kanzler in letzter Sekunde das rettende Ventil geöffnet. Angesichts seiner Reformpläne für Arbeitsmarkt und Sozialsysteme war der Druck in der SPD über das Wochenende gestiegen wie in einem Dampfkochtopf. Zuletzt hatte am Samstag der Landesparteitag der Schleswig-Holstein-SPD nahezu einstimmig einen Sonderparteitag gefordert.

Nur Stunden vor der Kanzlerentscheidung hatte selbst ein schrödertreuer Bundestagsabgeordnete wie Hans-Peter Bartels gegenüber der taz einen außerplanmäßigen Treff gefordert. Damit war der Wunsch nach einer Beratung mit der Basis endgültig in der Mitte der Partei angekommen. Einen Sieg kann jetzt der linke SPD-Flügel für sich verbuchen, denn entsprechende Forderungen waren hier schon vor Wochen erhoben worden. Vorstandsmitglied Andrea Nahles etwa hält den Sonderparteitag „für unvermeidlich“, und schloss noch gestern Mittag gegenüber der taz Spitzen in Richtung Kanzler ab: „Man muss den Mumm aufbringen, so tief greifende Reformen mit der eigenen Partei auszumachen.“

Zum Druck auf Gerhard Schröder dürfte auch die grüne Basis beigetragen haben. Weil sie in ihren Reihen einen Sonderparteitag durchsetzte, schwante gestern SPD-Fraktionsvize Michael Müller: „Wenn der Koalitionspartner einen Sonderparteitag macht, sind unsere Regionalkonferenzen schwer zu halten.“ Mit ihnen hatte die Parteiführung den Dampf der Genossen ablassen wollen. Doch der Basis war das zu wenig, es häufte sich das Aufbegehren. So ließen am Wochenende die schleswig-holsteinischen SPD-Delegierten ihren Vorsitzenden Franz Thönnes bei der Neuwahl durchfallen, obwohl er keinen Gegenkandidaten hatte. Thönnes, der zugleich Staatssekretär im Bundesgesundheitsministerium ist, galt als basisfern und führungsschwach, aber auch als Verfechter der Berliner Reformlinie. Sein flugs installierter Nachfolger, der ehemalige Finanzminister Claus Möller, beteuerte nach seiner Wahl am Sonntag, er unterstütze die Forderung nach einem Sonderparteitag. Das fast einstimmige Votum der Delegierten für einen Sonderparteitag war mehr als ein Aufmucken gegenüber der Parteispitze. Auch der Hamburger Landesverband von SPD-Generalsekretär Olaf Scholz hatte gegen Scholz’ Willen am Wochenende davor für einen Sonderparteitag gestimmt.

Nun, da der Parteitag kommt, muss Schröder sich auf harsche Kritik gefasst machen. Die SPD-Linke hat bereits einen Gegenentwurf zu seinen Reformplänen ausgearbeitet, in dem sie die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, den Flächentarifvertrag und den Kündigungsschutz verteidigen will. Bereits am Freitag hatten SPD-Abgeordnete um Ottmar Schreiner und den IG-Bau-Chef Klaus Wiesehügel ein Mitgliederbegehren gestartet.

Die Parteispitze reagierte ob solcher Rebellionsansätze zunächst vergrätzt: SPD-Fraktionschef Franz Müntefering warf laut Presseberichten neun Abgeordneten in einem Brief „Unfairnis“ vor und hat sie für heute zum Rapport bestellt. Die Forderung nach einem Sonderparteitag kann er ihnen da kaum noch zum Vorwurf machen.

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