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Archiv-Artikel

Schluss mit lustig?

DER SONDERWEG

Seit 1976 machen die Niederlande mit einer liberalen Handhabung von Cannabisprodukten Schlagzeilen: die „Duldungspolitik“ (gedoogbeleid). Diese beinhaltet zwar keine Legalisierung, doch der Besitz kleiner Mengen an Haschisch und Marihuana wird ebenso wenig strafrechtlich verfolgt wie der offizielle Verkauf in Coffeeshops. Zugrunde liegt ihr die Idee der Trennung von weichen und harten Drogen sowie ihrer Konsumenten. Ursprünglich für den einheimischen Markt konzipiert, entwickelte dieser Ansatz schnell eine Signalwirkung weit über die Nachbarländer hinaus. Je mehr das Kiffen aus der Nische der Freaks und Zivildienstleistenden in die Mitte der Gesellschaft drängte, zeigten sich jedoch die Unzulänglichkeiten des Modells: Die kommerzielle Hanfzucht und der Einkauf der Coffeeshops ist in der Tolerierung nämlich keineswegs enthalten. Kritiker sprechen daher von der „illegalen Hintertür“ der Coffeeshops. Da die niederländische Justiz inzwischen verstärkt gegen den Hanfanbau vorgeht, weichen Züchter immer häufiger nach Belgien oder Deutschland aus. Da zudem zahlreiche Grenzgemeinden über Verbindungen zwischen Coffeeshops und organisierter Kriminalität klagen, mehren sich auch in den Niederlanden die Stimmen für ein repressiveres Vorgehen. Die größte Regierungspartei, der christdemokratische CDA, forderte unlängst gar ein Ende der Duldungspolitik. Auch die Europäische Union übt seit Jahren Druck auf Den Haag aus, vom drogenpolitischen Sonderweg abzurücken. Dazu müsste zunächst die ministerielle Zuständigkeit verlagert werden, denn noch fällt diese Frage in den Niederlanden nicht ins Justiz-, sondern unter das Ressort für Volksgesundheit. Der Wandel hat indes längst begonnen: Die Zahl der Coffeeshops hat sich im letzten Jahrzehnt von knapp 1.400 auf rund 700 halbiert.

AUS BERGEN OP ZOOM UND MAASTRICHT TOBIAS MÜLLER

Mit Belagerungen kennt man sich aus in Bergen op Zoom. „Tausend Gefahren überwinde ich“, verkündet der Giebel des Stadthauses in lateinischer Sprache und erinnert an die Festungsvergangenheit der kleinen Stadt in der Provinz Brabant. Doch diesmal ist die Lage besonders ernst: Keine fremde Armee steht vor den Toren, sondern die Armada der Grasliebhaber aus dem nahen Belgien und Frankreich. 25.000 Drogentouristen, so heißt es bei der Stadtverwaltung, stürmen jede Woche die Coffeeshops in Bergen und dem benachbarten Roosendaal. Dies bringe den beiden Gemeinden nicht nur eine Menge Geld, sondern auch zahlreiche Probleme durch Kleinkriminalität, eigenwilliges Verkehrsverhalten und öffentliches Urinieren. Die Reaktion war einer Festungsstadt würdig: Als erste niederländische Gemeinden kündigten Bergen op Zoom und Roosendaal Ende Oktober an, so schnell wie möglich sämtliche Coffeeshops zu schließen.

„Zu Beginn des neuen Jahres werden wir die Höchstmenge, die Kunden kaufen können, von 5 auf 2 Gramm senken“, erläutert Han Polman, in Sichtweite der kämpferischen Giebelaufschrift. Schwer liegt der Nieselregen über dem Marktplatz, doch der Bürgermeister sprüht sichtbar vor Tatendrang. „Parallel dazu dürfen Coffeeshops nur noch 300 Gramm Vorrat haben statt wie bisher 500. Und als zweiten Schritt machen wir dann alle Coffeeshops dicht. Wir dulden es nicht länger.“

Dulden, das ist ein Schlüsselwort. Unter „Duldungspolitik“ versteht man in den Niederlanden die kontrollierte Abgabe weicher Drogen, für die das Land weltweit bekannt ist. Doch hier, im südwestlichen Zipfel der Provinz Brabant, soll damit Schluss sein. Polman erzählt von Begleiterscheinungen des Drogentourismus, die überhandgenommen hätten. Von drugsrunners, jungen Männern, die Autos mit ausländischen Kennzeichen abpassen und mit aggressivem Fahrverhalten bedrängen, von illegalen Verkaufsstellen, an denen den Besuchern dann Drogen verkauft würden – und nicht nur weiche. Die Zeit drängt. „Zwei Jahre wollen wir dafür nicht brauchen“, gibt Polman, der der linksliberalen Partei D66 angehört, den Fahrplan vor. Dass sich seit dem spektakulären Beschluss die Medien um ihn reißen, kommt ihm da ganz recht. „Wir betreiben ein Antimarketing. Wir wollen den Drogentouristen in Belgien klarmachen, dass sie hierhin nicht mehr zu kommen brauchen.“

Maxime und seine Freunde haben die Nachricht verstanden. Der Besuch im Coffeeshop Sahara hat Spuren auf ihren Gesichtern hinterlassen, doch wenn sie über das sprechen, was das neue Jahr ihnen bescheren wird, werden ihre Blicke trüb wie der Novemberhimmel. „Seit vier Jahren komme ich jede Woche hierhin“, erzählt der 21-Jährige, der die Vorzüge Bergen op Zooms zu schätzen weiß: Qualität und Preis der Ware seien in Ordnung, zudem gebe es weniger Polizeikontrollen als auf dem Rückweg aus Roosendaal. Immerhin haben sie bereits einen Ersatzplan in der Tasche. „Demnächst müssen wir dann nach Maastricht. Dort ist es teurer als hier. Und weiter fahren müssen wir von Brüssel auch noch.“

Für andere Beteiligte steht noch mehr auf dem Spiel als eine lieb gewonnene Gewohnheit. „Von einem Moment auf den anderen stehen wir ohne Broterwerb da“, klagt Jamal, der Betreiber des Coffeeshops Liberty II in Roosendaal. 15 Jahre betreibt er seinen Laden, und nun soll er ihn einfach schließen. Erst eine halbe Stunde vor Bekanntgabe der Entscheidung habe er davon erfahren. „Wir waren völlig überrascht. Die Zahlen, die die Gemeinde nennt, sind stark übertrieben. Ich habe angeboten, dass sie jemand an die Tür setzen, der meine belgischen Kunden zählt, aber das wollten sie nicht. Und dann die Belästigungen, von denen sie sprechen? Die Säufer pissen doch auch an die Mauern, deswegen macht aber niemand die Bars dicht.“ Gegen illegale Verkaufspunkte ist auch er. Aber die werden gerade zunehmen, wenn sie die Coffeeshops schließen. „Und dann kommen die Straßendealer und schwärmen in die Bars und Clubs aus. Wenn wir hier Probleme verursachen, dann lasst uns doch umziehen, irgendwo in ein Industriegebiet. So wie in Maastricht“, schlägt Jamal vor.

Maastricht, das ist der Gegenentwurf zu Roosendaal und Bergen op Zoom. Die Mutter aller Grenzstädte, in der offiziell jährlich 8.000 Kilo an Cannabisprodukten umgesetzt werden, liegt seit Langem im Fokus der THC-affinen Massen aus den umliegenden Ländern. Und auch nicht erst seit gestern klagen Bewohner und Politiker über die gleichen Phänomene wie die Brabanter Gemeinden – der Schluss ist jedoch ein völlig entgegengesetzter: Coffeeshopbetreiber und Rathaus tragen hier das Modell der „Coffeecorners“, der strategischen Auslagerung von jeweils zwei oder drei Verkaufsstellen an mehreren Punkten an den Rand des Stadtgebiets. Beide Seiten nehmen die Grundlagen der Duldungspolitik wörtlich: „Maastricht befürwortet weiterhin den gut regulierten Verkauf weicher Drogen“ heißt es im Rathaus, während Marc Josemans, Vorsitzender des örtlichen Verbands der Coffeeshopbetreiber, deutliche Worte über die illegalen drugsrunners spricht: „Sie gefährden die Trennung von harten und weichen Drogen. Der Coffeeshop ist der Frontsoldat dieses Prinzips.“ Josemans zieht an seinem Feierabendspliff. „Die Entscheidung von Roosendaal und Bergen op Zoom ist stumpfsinnig. Die grüne Lawine, die über Holland abgegangen ist, werden sie damit nicht zurückdrehen. Aber sie bringen Cannabis wieder in die Illegalität.“

Wenn Marc Josemans über seinen Bürgermeister spricht, klingt Maastricht wie ein Biotop der Harmonie. Der Christdemokrat Geerd Leers befürwortet eine strenge Kontrolle der Coffeeshopkunden, ist jedoch gleichzeitig bekannt als Verfechter einer konsequenten Legalisierung, die Hanfanbau mit einbezieht. „Er hat einen sehr realistischen, pragmatischen Ansatz. Leider hört er Ende des Jahres auf.“

Kurz vor Ende seiner Amtszeit verwirklicht Leers, der einst mit der Band Heideroosjes ein Lied zum Thema rappte, noch einen lang gehegten Plan: Auf seine Initiative findet heute im nordholländischen Almere der erste „Grasgipfel“ statt. Ursprünglich hatte Leers ein Treffen der Bürgermeister aller Grenzgemeinden anvisiert, die Entwicklungen in Bergen op Zoom und Roosendaal haben jedoch der Frage eine enorme Konjunktur beschert, sodass dort gleich alle Gemeinden mit Coffeeshops vertreten sind. Denn eine gemeinsame Linie muss her, da sind sich Gerd Leers und Kollege Han Polman einig. Auch in dessen Fraktion im Gemeinderat kursierten bis vor wenigen Monaten Überlegungen eines geschlossenen Systems von Zucht, Verkauf und Konsum von Cannabis – alles unter staatlicher Hoheit. Sollte den Niederlanden nach der teilweise Übernahme der größten Banken des Landes damit die Verstaatlichung eines weiteren Schlüsselsektors ins Haus stehen?