Der Knast als Rettung

Bommi Baumann, Haschrebell, Militanter, Bankräuber, hat mit „Rausch und Terror“ einen politischen Erlebnisbericht geschrieben: Einsichten über die radikale Linke und Heroin, Drogenkapitalismus und Afghanistan

VON WOLFGANG GAST

Das Programm ist einigermaßen wahnsinnig: erst das Hammermedikament Rohypnol, dann Heroin, und anschließend beides in reichlich Alkohol ertränken. Eine solche Mischung, schreibt Michael „Bommi“ Baumann, „kontrolliert kein Mensch“. Bei Opium wisse man wenigstens, „wenn ich jetzt zu viel nehme, knicke ich weg. Jetzt aber läufst du gegen ein Haus, schlägst dir den Kopf ein und kapierst das nicht mal.“

Bommi Baumann, Jahrgang 1949, weiß, wovon er schreibt. Der einstige umherschweifende Haschrebell und Guerillero der „Bewegung 2. Juni“ bekennt in seinem neuen Buch „Rausch und Terror“, drei Jahrzehnte lang schwer opiatabhängig gewesen zu sein. In oben angeführtem Zustand befindet sich Baumann nach seinen Angaben, als er im Februar 1981 in London verhaftet wird. „Hätten die mich nicht gekriegt, früher oder später hätte mich das Leichenschauhaus aufgenommen.“ Im Rückblick schreibt er: „Der Knast war meine Rettung. Du entgiftest. Du isst wieder.“ Zum Zeitpunkt seiner Festnahme ist Baumann schon fast zehn Jahre auf der Flucht. Wegen Banküberfällen und Sprengstoffanschlägen in Deutschland gesucht, taucht Baumann 1972 unter, verbringt die meiste Zeit in Syrien und Iran, in Afghanistan und Indien. Über Drogenhandel finanziert er sich. „Fischen, Wandern, Opium rauchen“: So hat Baumann das Kapitel aus dieser Zeit überschrieben, einer Zeit, als er noch glaubte, die Sucht kontrollieren zu können. Vom bewaffneten Kampf hat er sich zu der Zeit schon lange abgemeldet. Was er über die Stadtguerilla denkt, schreibt er schon 1975 in der Autobiografie „Wie alles anfing“.

Mit „Rausch und Terror“ knüpft Baumann an die Zeit nach der Gründung der Bewegung 2. Juni und der Rote Armee Fraktion an. Damals sei in den Gruppen gefordert worden, „dass wir das Kriegführen lernen müssen“. Ihm sei das zu hart gewesen; mit einem Freund habe er beschlossen: „Wir gehen erst mal nach Asien als Ausweichquartier. Und dort war es paradiesisch.“ Er ist einer der Ersten, der sich auf den Treck nach Nepal und Afghanistan aufmacht, trifft dort auf Hippies, auf aus dem Vietnamkrieg desertierte US-Soldaten und auf jede Menge Opiumhändler. Die Winter verbringt er in Asien, im Sommer ist er in Europa, meist Italien oder England. Bis zu seiner Verhaftung 1981.

Als „politischen Erlebnisbericht“ will Baumann das Buch verstanden wissen. Und es ist in der Tat ein Bericht: Baumann hat erzählt, und Christoph Meuler, Feuilleton-Chef der jungen welt, hat es in eine lesbare Form gebracht. „Rausch und Terror“ ist aber mehr als eine authentische Abrechnung mit der Droge und der ihr angeschlossenen Szene. Es ist auch ein Buch über die Architektur des Drogenkapitalismus und über die Zerstörung von Teilen der radikalen Linken durch Heroin. Auch Afghanistan ist Baumann treu geblieben, nur dass dort heute die Bundeswehr die Drogenbarone beschützt.

Das Paradies ist verschwunden, die Drogen sind geblieben. Als vollkommen neues Phänomen beschreibt Baumann, dass es heute in Afghanistan bei einer Bevölkerung von 30 Millionen rund eine Million Süchtige gibt. Wo früher Opium geraucht wurde, wird heute Heroin gespritzt. Im jetzt geführten „Krieg gegen den Terror“ wenden die Taliban das zu ihrem Vorteil, sie setzen diese Junkies quasi als Soldaten bei ihren militärischen Einsätzen ein. „Sie gehen in die Dörfer, die so arm sind, dass es dort nicht einmal eine Beschaffungskriminalität gibt, und geben den Leuten die auf Turkey sind, 10 Dollar, wenn sie eine Kalaschnikow in Richtung Nato-Truppen abfeuern. Die Taliban haben also immer billige Kräfte vor Ort, denen vollkommen egal ist, was sie machen sollen, solange sie nur an Drogen kommen.“

Was tun gegen Heroin, Drogenkapitalismus und Drogenkriege? Als radikale Lösung schlägt Baumann die vollständige Freigabe aller Drogen vor. Damit entziehe man den Terroristen ihre Gelder, sorge für einen gewisse Qualität der Drogen auf dem Markt, die Beschaffungskriminalität würde weitgehend entfallen.

1993 ist Baumann dem Tod durch Drogen knapp entkommen, seither ist er clean, hat noch Hepatitis C. Der bewaffnete Kampf, schreibt er heute, „ähnelt dem Konsum von harten Drogen: Du schmeißt dein Leben weg, weil es dir egal ist.“ Nicht die Revolutionäre, sondern die Drogen der späten 60er-Jahre haben danach den Westen verändert. Baumann verweist auf den LSD-Papst Timothy Leary, der 1967 in San Francisco verkündete: „Six words! Turn on, tune in, drope out!“ Für Baumann ein Satz mit einer Kürze und Wirkung, die es vor und nach ihm nicht mehr gegeben hat.

Bommi Baumann, Christof Meuler: „Rausch und Terror. Ein politischer Erlebnisbericht“. Rotbuch Verlag, Berlin 2008, 256 Seiten, 17,90 Euro