: Das Wolfsfräulein
Shakira demonstrierte in Berlin, wie reizvoll sich pathetische Rockposen, Bauchtanz, spanische Liebeslyrik und Latin-Folklore kombinieren lassen
von DANIEL BAX
Elvis Presley, Ziggy Stardust und Ozzy Osbourne drängen sich auf der Intensivstation. Das EKG-Gerät piepst langsamer, die Herzfrequenz des Patienten wird schwächer. Ein Arzt tritt heraus, um die Besorgten zu beruhigen. Doch die Rettung naht: „Rock ’n’ Roll will never die“, verkündet das Schlussbild des kurzen Clips.
Mit dem Clip leitete Shakira zu einer Coverversion des furchtbaren Aerosmith-Titels „Dude looks like a lady“. Spätestens hier fragte sich mancher, ob er sich nicht in die falsche Show verirrt hatte. Doch auch im weiteren Verlauf ihrer dreistündigen Show ließ Shakira kein Rockerbrautklischee aus und war sich selbst für abgedroschenste Rockposen nicht zu schade. Barfuß, mit Schiebermütze und karierten Hosen schien sie angetreten, das verwaiste Erbe von Steve Nicks und Bette Midler, von Helen Schneider und Joan Jett zu übernehmen, und schlüpfte dafür in die verschiedensten Rollen, welche die Rockgeschichte für Frauen so bereithält.
Soll noch einer sagen, Madonna sei vielseitig. Möglicherweise aber ticken die Uhren in Südamerika dem Zeitgeist im Norden wohl doch noch ein paar Takte hinterher. Denn ihre Vorbilder schöpfte Shakira dabei ausschließlich aus dem Fundus der Siebziger- und Achtzigerjahre. Auf MTV konnte man in den vergangenen Tagen öfters wieder einen „Unplugged“-Auftritt aus dem Jahr 2000 sehen, bei dem Shakira noch völlig anders aussah als heute. Leicht pummelig und mit rot gefärbten Haaren wirkte sie damals noch wie der Traum eines jeden schüchternen Studenten in Lateinamerika, und wegen ihrer Innerlichkeitslyrik wurde sie früher oft mit Alanis Morissette verglichen.
Mit dem Schritt zu einer internationalen Karriere aber hat sich die Kolumbianerin einem dramatischen Imagewandel unterzogen. Statt beim Spanischen zu bleiben, übertrug sie ihre blumige Liebeslyrik ins Englische (was dieser nicht gut tat) und wandelte sich mit nunmehr blond gefärbter Mähne in eine Männerfantasie für Porschefahrer.
Auch bei ihrem Konzert in Berlin inszenierte sich Shakira in diesem Sinne als Amazone auf Kriegspfad, als Andenluder. Ein Wolfsfräulein, das die gestutzten Krallen ausfährt. Ihre Show zitierte dabei die Ästhetik eines Fantasy-Comics: Anfangs erhob sich der überdimensionale Kopf einer Cobra über der Bühne, aus deren Schatten Shakira dem Nebel entstieg, einer schaumgeborenen Venus gleich. Lodernde Flammen und Rauchsäulen stiegen empor vor einem Bühnenbild, das wie mit Airbrush hingesprüht wirkte.
Multimedial, omnipotent: So präsentierte sich Shakira vor diesem Hintergrund. Sie setzte sich ans Schlagzeug, spielte Mundharmonika und ließ sich von einem Roadie am Bühnenrand die Gitarre umgurten, als wollte sie damit auf ein Pferd steigen und losreiten. Kanonendonner und ein weißer Regen aus Papierschnee säumten das Finale.
Shakiras Welterfolg zeigt die ästhetische Rache der Peripherie. Sie verbindet Latino-Kitsch mit den Mitteln von Hollywood und hebt damit den schlechten Geschmack Südamerikas auf Weltniveau.
Aber warum sollte das Recht auf pathetische Rockposen auch ausschließlich Jon Bon Jovi vorbehalten bleiben? Zumal Bon Jovi seine Show wohl niemals mit einem Video schmücken würde, wie es Shakira tut: Bush und Saddam sitzen beim Schachspiel und bewegen ihre Figuren übers Brett. Später sieht man, dass sie an Strippen hängen, die der Tod zieht. Dazwischen Bilder, die Verletzte und Kinder im Krankenhaus zeigten: plakativer Pazifismus, der auch in Südamerika wohl zum Mainstream gehört.
Im Publikum fanden sich viele Eltern mit Kindern, Teenie-Mädchen mit Hüfthosen und Reifengürtel im Shakira-Stil sowie ein paar Kolumbianer, die ihre Landesfahne schwenkten. Ihnen bot Shakira zum Finale ihre beiden größten Hits in neuer Variation: „Tango“, das mit Samba-Trommeln eröffnete, und „Wherever, Whenever“ in einer arabisierten Fassung. Mit einem Kandelaber auf dem Kopf demonstrierte sie dabei noch einmal ihr beeindruckendes Können in Sachen Bauchtanz.
Dem orientalischen Tanz hat Shakira, die Tochter eines Libanesen ist, mit ihrem Hüftschung ein ganz neues Publikum erschlossen und Bauchtanzschulen unerwarteten Zulauf beschert. Wenn sie dadurch auch nur einer Sekretärin zu neuem Wohlgefühl verholfen hat, dann ist die Welt dadurch schon ein wenig besser geworden.