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Archiv-Artikel

Eine jede wird selig nach ihrer Fasson

Wo das Politische noch privat ist: Eine Recherche in Boutiquen für islamische Mode in Berlin-Kreuzberg, Deutschlands heimlicher Kopftuch-Hauptstadt. Hier läuft das Geschäft mit dem umstrittenen Textil besonders gut, weil es im Rest der Republik kein vergleichbares – und so preiswertes – Angebot gibt

VON JAN-HENDRIK WULFF

In der „Miraç Boutique“ am Kottbusser Damm ist das Politische noch ganz privat: „Viele Frauen machen das einfach aus Mode und haben vom Islam gar keine Ahnung“, stellt eine Kundin an der Ladentheke des Kreuzberger Geschäfts fest. „Aber ein Kopftuch zu tragen bedeutet nicht, dass man hässlich ist“, stellt sie klar. Und fragt rhetorisch: „Hat nicht auch Marlene Dietrich mal ein Kopftuch getragen?“

Hinten im Regal türmen sich pastellfarbene Pappschachteln mit den Markentüchern von Aker, Pierre Cardin und Çisil. Bis zu 50 Euro muss man dafür berappen. Wer weniger anlegen will, ist auch mit Ninl, Ipeker und Beril gut bedient. Das Berliner Angebot unterscheidet sich nicht von dem in einer Stadt wie Istanbul. Doch die Frage, was davon denn gerade modern sei, löst im Laden Verwunderung aus: „Das ist ganz egal.“ Als Modeartikel kennt das Kopftuch keinen saisonalen Wechsel. Denn ob eine Frau lieber ein grobes, dunkles Baumwolltuch unterm Kinn verknotet oder hellen bunten Seidenstoff kunstvoll mit Nadeln um den Kopf drapiert, folgt keinem Modediktat, sondern nur dem persönlichen Geschmack.

Oder persönlichem Pragmatismus: „Baumwolle rutscht nicht so.“ Die „Miraç“-Kundin kommt ins Erzählen. Ihre Mutter hat sich die Kopftücher früher noch selbst genäht. Aber heute gebe es in Berlin ein derart großes Angebot, dass man die Dinger glücklicherweise überall kaufen könne. In der Provinz sieht es schlechter aus: „Meine Schwiegereltern wohnen in Braunschweig, da gibt es keinen einzigen Laden. Um ehrlich zu sein: Die laufen da alle so 08/15 rum.“

08/15 in der Provinz

Metropolenfunktion hat Berlin also auch in Sachen Kopftuch. Einmal im Jahr fahren die Braunschweiger in die Türkei und decken dort ihren Bedarf. „Oder kommen nach Berlin“, versucht die am Kinderwagen stehende Mutter mehrmals einzuwerfen, aber darauf will die Tochter nicht recht eingehen. Was wohl eher mit der Braunschweiger Verwandtschaft zu tun haben muss.

Auch am türkisch geprägten Maybachufer an der Grenze zwischen Kreuzberg und Neukölln – auf dem so genannten Türkenmarkt – sind an einer ganzen Reihe von Ständen Kopftücher ausgelegt. Hier kann man erfahren, dass vor allem zu Ostern das Geschäft gut läuft, wenn ganze Familien aus Westdeutschland anreisen. Dann kommt es vor, dass eine Frau aus Dortmund gleich zwanzig Tücher auf einmal mitnimmt. Und wenn das nur daran liegt, dass es in Berlin billiger ist. „In München kann man Tücher für zehn Euro verkaufen, die hier fünf kosten“, sagt die Verkäuferin. Als vor 30 Jahren ihre Großmutter ins Kopftuchgeschäft eingestiegen ist, konnte sie angeblich noch ein Mehrfaches des heutigen Preises verlangen. Doch die wachsende Konkurrenz hat die Preise verdorben. Ein paar Stände weiter verkauft die Tante. Von der einst auch die aus der Türkei nachgereiste Mutter angelernt wurde.

Im türkischen Textilbusiness sind fast nur Frauen tätig. Ein Teil der Ware entsteht zu Hause an der Nähmaschine, die Markenprodukte am Marktstand kommen dagegen über einen Versand in Istanbul: von „Softel“, die eine große Fabrik in Bursa haben. Die junge Frau findet, dass das Kopftuch in ihrer Generation wieder mit größerem Selbstbewusstsein getragen wird: „Früher haben die Leute einfach nur gesagt: arbeiten, arbeiten, Geld. Heute achtet man wieder mehr auf religiöse Erziehung. Man bekommt einfach mehr erklärt.“ Patriarchale Strukturen aber stehen in ihrem Fall nicht dahinter: „Meinem Vater ist das egal. Der kommt aus einer Arbeiterfamilie. Aber wenn meine Mutter nicht wäre, hätte ich jetzt kein Kopftuch.“ Denn noch als Kind war sie selbst eigentlich dagegen. Erst auf Betreiben ihrer Mutter hat sie in der 6. Klasse mit dem Kopftuchtragen angefangen; zunächst nur an jedem zweiten Tag. Trotzdem empfindet sie das Kopftuch nicht als Zwang, sondern als Einübung in innere Selbstverpflichtung. Und das hat religiöse Gründe: Als gläubige Muslimin muss sie ohnehin zumindest dann ein Kopftuch tragen, wenn sie eine Moschee besucht oder den Koran lesen will. Das allein ist schon anspruchsvoll genug: „Ich kann den Koran schon auf Arabisch lesen, aber noch verstehe ich die Sprache nicht“, sagt sie.

Dort, im Koran, steht in Sure 33, 59 nachzulesen: „Oh, Prophet, sage zu deinen Gattinnen und deinen Töchtern und den Frauen der Gläubigen, dass sie sich mit ihrem Überwurf verhüllen sollen.“ Doch was daraus zu folgern ist, das ist immer eine Frage der Auslegung. Bei „Teșettür Giyim“ am Kottbusser Damm kauft eine junge Frau gerade ein neues Kopftuch, dabei trägt sie ihre hennarote Haarpracht offen. „Das Kopftuch ist doch nur ein Modeaccessoire“, erklärt sie den scheinbaren Widerspruch. Aber klar, wenn sie betet, trägt sie auch eins.

In ihrer Familie wird es mit dem Kopftuch nicht so genau genommen: „Meine Mutter arbeitet bei Osram. Da ist es nicht angemessen, mit Kopftuch herumzulaufen.“ Doch gänzlich verpönt ist der Überwurf auch hier nicht: „Wenn zu Hause Gäste kommen, trägt meine Mutter schon eins. Ist ja auch hygienischer, wenn sie Essen kocht.“

Die Verkäuferin hinterm Ladentisch ist da etwas anderer Meinung: „Viele Frauen tragen mal Kopftücher, und dann schminken sie sich wieder und tragen enge Bodies. Das ist doch ein Widerspruch.“ Sie findet, dass das Kopftuch als Ausdruck einer festen Lebenseinstellung getragen werden sollte.

Dabei geht es um den freizügigen Blickwechsel mit Männern, der schnell weiteres Unglück nach sich ziehen kann. Niemand könne allerdings zu seiner inneren Haltung gezwungen werden, findet die Verkäuferin von „Teșettür Giyim“: „Aber als Moslems glauben wir an das Jenseits.“ Da gerät auch die unbedeckte Kundin mit den roten Haaren wieder ins Schwanken: „Gut, bei mir ist das eben auch so ein Widerspruch, das ist Sünde und Faulheit.“

Mit Widersprüchen hat auch die Teșettür-Giyim“-Verkäuferin schon ihre Erfahrungen gemacht. Sie hat in der laizistischen Türkei Germanistik studiert, und zwar mit Kopftuch – bis in ihrem 3. Semester ein Verbot erlassen wurde. „Das war schrecklich. Was sollte ich entscheiden?“ Um ihr Diplom zu bekommen, verzichtete sie durchaus pragmatisch auf das Kopftuch: „Ich musste an meine Zukunft denken. Ich wollte nicht heiraten, Kinder kriegen und zu Hause sitzen. Deshalb habe ich in Deutschland weiterstudiert. Hier fühle ich mich wohl, wenn ich zur Uni gehe.“

American Dream

In der deutschtürkischen Parallelgesellschaft, wo ein komplementäres Verständnis von Männern und Frauen noch weitgehend zum Familienalltag gehört, ermöglicht der demonstrative Verzicht auf freizügige Einblicke eben auch Bewegungsfreiheit. Doch in der aufgeklärten deutschen Leitkultur provoziert das Verhüllte schon an sich: Nach einer Umfrage des Instituts für Demoskopie hält mehr als die Hälfte aller Bundesbürger das Kopftuch muslimischer Frauen für unvereinbar mit der deutschen Kultur. Und erkennt in dem schillernden Textil vor allem ein politisches Symbol.

In der deutschen Debatte mit ihrer eindimensionalen Deutung des Kopftuchs sieht die Verkäuferin nicht gerade einen Beitrag zu ihrer persönlichen Emanzipation, sondern fühlt sich missverstanden: „Wenn hier ein Verbot kommt, dann gehe ich nach Amerika. Jeder soll so leben können, wie er möchte.“ Sie selbst will Lehrerin werden und belegt Deutsch als Fremdsprache an der TU. Was zunächst ganz andere Probleme mit sich bringt: „Ich habe hier in Berlin einfach kein Umfeld, um Deutsch zu sprechen.“

Am Ausgang von „Teșettür Giyim“ wacht ein stolzer Märchensultan en miniature, eine kleine Schaufensterpuppe in prächtigem, reich betresstem Uniformputz mit goldenem Krummsäbel im Gürtel. Und wozu dient der? Die Stimmung unter den Frauen im Laden hellt sich wieder deutlich auf: „Das ist für Jungen, zum Beschneidungsfest.“ Aber das ist schon wieder ein anderes Thema.