Wieder ein Stück aufgeholt

Der SCC Berlin nutzt die Gunst der Stunde, fertigt Bayer Wuppertal dreimal ab und wird deutscher Volleyball-Meister. Dass dies ein Titel zweiter Klasse ist, wird in der Hauptstadt bestritten

aus Berlin FRANK KETTERER

Marco Liefke ist ein vorsichtiger Mensch, er selbst sieht sich gar als „realistischenr Skeptiker“, was heißen soll: einer, der nur zu seinen wuchtigen Schmetterschlägen abhebt vom Boden, ansonsten aber stets um Erdhaftung bemüht ist. „Adrenalinjunkies haben wir schließlich genügend“, sagt der 206 Zentimeter hohe Hüne des SCC Berlin. Dass er selbst sich keineswegs zur Fraktion der Hans-Dampf-Volleyballer zugehörig fühlt, könnte auch schon ein kleines Geheimnis seines großen Erfolgs als Schmettermann ausmachen. Liefke zieht es vor, sein Werk ruhig und besonnen anzugehen – und bremst schon mal ab, während die anderen mächtig aufs Gas drücken, zumindest neben dem Spielfeld. Dann kommt es vor, dass der 28-Jährige über das Play-off-Finale um die deutsche Volleyball-Meisterschaft gegen die Kollegen vom SV Bayer Wuppertal Sätze sagt wie: „Wir gewinnen das nicht mit 9:0. Da bin ich mir ganz sicher.“ Vergangenen Mittwoch war das der Fall, nach dem die Best-of-Five-Serie eröffnenden 3:0-Sieg für die Berliner in der heimischen Sömmeringhalle.

Ein Wochenende und zwei Spiele später hatte der besonnene Herr Liefke tatsächlich Recht behalten, an den eindeutigen Tatsachen etwas ändern konnte das freilich nichts: Auch die beiden Partien in Wuppertal gewannen die Hauptstädter, mit 3:0 die erste, mit 3:2 letztere und letzte. Ganze zwei von insgesamt elf Sätzen gönnten die Berliner ihrem finalen Gegner also in den drei Partien, da darf getrost von souveräner Meisterschaft die Rede sein. Man könnte auch sagen: Wuppertal war chancenlos. Dass in der Szene der Baggerer und Pritscher nun dennoch von einem Titel aus Zufall und somit quasi zweiter Klasse gesprochen wird, hat damit zu tun, dass der VfB Friedrichshafen, Abonnementsmeister der vergangenen Jahre, es in dieser Spielzeit erst gar nicht bis ins Endspiel geschafft hat, sondern bereits im Halbfinale hängen blieb – an Wuppertal. Nichts als ein Ausrutscher, ein Leichtsinnsfehler sei das gewesen, schallt es nun durch die Liga – und die Burschen vom Bodensee seien unvermindert das beste deutsche Team – auch wenn der Meister seit Sonntag aus Berlin stammt.

Kaweh Niroomand, Berlins emsiger Manager, grinst ein bisschen, wenn er davon hört. Dann gibt er zu, dass man das durchaus weiterhin so sehen könne – wenn man die Tatsachen mit aller Macht ignorieren wolle. Für alle anderen sagt er: „Es gibt nur einen deutschen Meister – und der heißt jetzt SCC Berlin.“ Mit Titel zweiter Klasse habe das schon gar nichts zu tun, ganz im Gegenteil. Niroomand: „Friedrichshafen hat nicht mehr die Stärke der vergangenen Jahre. Wir haben wieder ein Stückchen aufgeholt.“ Und durchaus interessant ist, dass sich die beiden Teams dabei auch bezüglich ihrer Mannschaftsstruktur angeglichen haben: Während die Friedrichshafener seit rund zwei Jahren nicht mehr nahezu ausschließlich auf hochdotierte Schmetterkräfte aus dem Ausland setzen, sondern neuerdings auch junge deutsche Spieler zu integrieren versuchen, haben die Berliner eine ganz ähnliche Entwicklung vollzogen – nur aus anderer Richtung kommend: Der SCC, bisher eine Art Modellversuch der Nachwuchsförderung des Deutschen Volleyball Verbandes (DVV) und schon dadurch Sammelbecken deutscher Schmettertalente, hat sich dem Ausland geöffnet – um des Erfolgs willen. Und aus der Erkenntnis heraus, dass „eine Mannschaft aus reinen Nachwuchsleuten nie um einen nationalen Titel wird kämpfen können“. Entsprechend holten sie sich den Bosnier Milorad Kovac sowie den Finnen Nisse Huttunen ins Team. „Wir mussten uns von dem rein deutschen Modell verabschieden, um ein höheres Niveau zu gewährleisten“, sagt Niroomand. Am Sonntag reichte das neue Niveau prompt zum ersten Titelgewinn seit zehn Jahren.

Ob die Berliner damit endgültig zum Konkurrenten vom Bodensee aufgeschlossen haben, dürfen sie künftig somit auch in der Champions League beweisen, wo Friedrichshafen erstmals seit fünf Jahren nur die Zuschauerrolle bleibt. Doch mag das Mitschmettern in der Meisterklasse für Marco Liefke und seine Kollegen auch „die helle Freude“ sein, dem Verein brockt sie durchaus ein paar Probleme ein. Anders als beispielsweise im Fußball ist die Champions League der Volleyballer keineswegs die Lizenz zum Gelddrucken, ganz im Gegenteil: Wer nicht mindestens das Halbfinale erreicht, legt drauf; vor allem die vom Internationalen Verband eingeforderte Fernsehübertragungszeit, Grundvoraussetzung fürs Mitwirken in der Königsklasse, kann schnell teuer werden. Friedrichshafen beispielsweise gab letzte Saison seine Heimspiele an das Deutsche Sportfernsehen (DSF) ab – und blätterte für die Übertragungen pro Partie 25.000 Euro auf den Tisch. Summen dieser Größenordnung sind laut Niroomand für die Berliner die reine Utopie. „Es geht auch eine Nummer kleiner“, glaubt der SCC-Manager. Zumindest wirtschaftlich geben sich die Berliner noch als Sieger zweiter Klasse.