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Archiv-Artikel

Weder Mafia noch Metternich

Deutsche Dichter, Politiker und Juristen fühlen sich bedroht – von einer Rechtschreibkommission. Dabei verweigern sie sich allen vernünftigen Argumenten

Die Empfehlungen der Dudenredaktion und der heutigen Reformkommission sind meist sinnvoll

Monika Maron und Reiner Kunze fühlen sich an DDR und Diktatur erinnert, Hans-Magnus Enzensberger an „Mafia“ und „Metternich“, Matthias Politycki an „Umerziehungsmaßnahmen“. Welcher Feind nur verfolgt die armen Dichter? Die Rechtschreibreform – wieder einmal.

Wenn es um die Muttersprache geht, scheint der Absturz ins Irrationale unvermeidlich. Bereits vor Jahren verhedderte sich der Jungpoet Durs Grünbein in den etwas zu großen Schuhen Gottfried Benns beim Lobgesang auf die Muttersprache im Metapherngestrüpp: „Man vergreift sich nicht an der Mutter. Man spielt nicht mit dem Körper, der einen gezeugt hat.“

Da fragt man unwillkürlich: Haben Sie es auch etwas kleiner, Herr Grünbein? Momentan ist damit nicht zu rechnen. Jetzt holzt jeder mit dem Zweihänder und schlägt wild drauflos. Worauf eigentlich? Vor alle Dingen auf die zwölf Mitglieder umfassende „Zwischenstaatliche Kommission für deutsche Rechtschreibung“. Lauter Experten, deren Aufgabe es ist, die Sprachpraxis zu beobachten und der Kultusministerkonferenz wissenschaftlich begründete Vorschläge zu machen, wie das Regelwerk der deutschen Sprache zu ergänzen und der Sprachpraxis anzupassen sei. Ein solches Vorgehen ähnelt zwar nicht gerade dem Agieren von Diktatoren, Mafiosi und Polizeistaatsagenten, aber wenn es um die Sprache und ihr Regelwerk geht, kennen deutsche Autoren kein Pardon.

Von wenig historischer Kenntnis zeugt Matthias Polityckis „neidvoller Blick“ nach Westen, wo die „Académie française“ als „wohlverstandene Elite“ (FAZ, 30. 1. 2004) in Sachen Sprache für Ruhe und Ordnung sorgt. Die 1635 von Ludwig XIII. und Kardinal Richelieu begründete Institution der „40 Unsterblichen“ erhielt 1636 den Auftrag, „mit größtmöglicher Sorgfalt und allem Fleiß darauf hinzuarbeiten, unserer Sprache sichere Regeln zu verschaffen, sie zu reinigen, geschmeidig und darüber hinaus fähig zu machen, den Künsten und Wissenschaften zu dienen“. Da die sich selbst ergänzende Greisenclique ihren Ehrgeiz auf das Reinigen der Sprache und Verhindern aller Neuerungen verlegte, dauerte es 58 Jahre, bis das „Dictionnaire de l’Académie française“ 1694 erscheinen konnte.

In den acht Auflagen bis 1935 wurde der alltägliche Sprachgebrauch des Volkes von der Akademie – zu der 1980 erstmals eine Frau (Marguerite Yourcenar) Zutritt bekam – absolut souverän-diktatorisch ignoriert. Die reaktionäre Sprachpolizei machte sich unsterblich lächerlich damit, dass ihr Wörterbuch bis 1935 weder die Wörter „Sozialist“ noch „Sexualität“, „Lesbierin“ oder gar „Lokomotive“ zuließ.

Zudem wurden tausende von Wörtern aus der Alltagssprache mit dem Zusatz „pop.“ („volkstümlich“), „vulg.“ („ordinär“) oder „argot“ („Jargon“) abgewertet. So etikettierte Wörter waren im gesellschaftlichen Umgang unter Gebildeten ebenso tabu wie im Schulbetrieb, in Ämtern und Universitäten. Begriffe aus der Technik, der Wirtschaft, der Werbung und des Sports galten als „barbarische Ausdrücke“, die dem „Geist des Französischen“ ebenso widersprächen wie Fremdwörter. So viel zur Praxis „wohlverstandener Eliten“ im Sinne Polityckis.

In der Debatte um die Rechtschreibreform dürfen allerdings – wie bei jedem Gesellschaftsspiel – alle mitmachen. Diese Woche meldete sich eine halbe Hundertschaft jenes Berufsstandes zu Wort, der so viel zur Verhunzung der deutschen Sprache beigetragen hat wie kein anderer: der Juristen. Nur für deren Prosa und Gesetzestexte benötigen auch gediegen Gebildete Übersetzungshilfen, weil Juristendeutsch mit Deutsch so viel gemein hat wie die Werkzeuge der Schmiede mit jenen der Chirurgen. Deshalb ist es nur lächerlich, wenn jetzt Juraprofessoren befürchten, die Arbeit der Reformkommission beeinträchtige „Aussagekraft und Ausdrucksvielfalt“ der Schriftsprache und „damit die Stellung des Deutschen im Ausland“. Als ob ein Ausländer auf die Idee käme, deutsches Jura-Kauderwelsch zu lesen, das schon die meisten Deutschsprachigen für unlesbar halten. Wie ein unfreiwilliger Witz nimmt sich der Kommentar der FAZ zur Petition der Juristen aus. Die Autorin meint: Juristen sind – „ähnlich“ wie Dichter und Schriftsteller – „auf sprachliche Feinheiten angewiesen“.

„Ähnlich?“ Göttlich!

Aus historischen Gründen gibt es im deutschsprachigen Raum keine Institution, die befugt wäre, zu sagen, wie zu schreiben sei. Die nationalstaatliche Aufspaltung (Bundesrepublik, Österreich, Schweiz) wie der deutsche Kulturföderalismus verhindern das. Und das ist kein Nachteil, sondern eine Chance – solange Wege gefunden werden, Formen der Sprachentwicklung und -erweiterung pragmatisch in das Regelwerk einzubauen. Was die demokratische Legitimation der zwölf Sprachbeobachter betrifft, so sind sie darin dem französischen Elitegremium ebenso haushoch überlegen wie in der linguistischen Kompetenz.

Enzensbergers verbalradikales Bekenntnis: „Wir schreiben sowieso, wie wir wollen“, dementiert sich selbst, wenn man an die Konsequenzen denkt. Natürlich sind Schulen wie die Gesellschaft insgesamt darauf angewiesen, dass die Sprache in ein normatives Minimalkorsett eingebunden bleibt. Das allein garantiert eine sprachliche Verständigung unter den Lebenden wie mit dem schriftlichen Erbe – mit der kulturellen Tradition. Ein solches Regelwerk bewegt sich permanent auf dem schmalen Grat zwischen Konservierung und Erneuerung. Hier haben die früheren Empfehlungen der Dudenredaktion und die der heutigen Reformkommission in der Regel einen sinnvollen Kurs gefunden.

Wenn es um die Muttersprache geht, scheint der Absturz ins Irrationale unvermeidlich

Und wenn sich die Kommission mit einer Neuerung ins Abseits manövriert, geht die Welt nicht unter. Die öffentliche Kritik und die Sprachpraxis entscheiden darüber, ob eine Empfehlung akzeptiert wird oder nicht. Wer will bestreiten, dass es Zeit war, mit der grammatisch unsinnigen, Kinder quälenden Marotte der ss- und ß-Regeln aufzuräumen? Die Schweizer jedenfalls haben der „Stellung des Deutschen im Ausland“ so wenig geschadet, als sie vor über 50 Jahren das ß abschafften, wie die Italiener ihrer Sprache, als sie vor fast 700 Jahren damit begannen, „filosofia“ statt „philosophia“ zu schreiben.

Konservative Sprachpuristen, ein querulantischer Lehrer aus Bayern und ein paar Hochschullinguisten befeuern die Pseudodebatte in regelmäßigen Abständen mit an den Haaren herbeigezogenen Beispielen, die die Reform je nachdem als überflüssig oder gefährlich hinstellen. Sollte es, was die Ultras stets suggerieren, um Sein oder Nichtsein des Deutschen gehen, ob wir „grünlich blau“ oder „grünlichblau“ bzw. „Recht haben“ oder „recht haben“ schreiben? Den „meisten“ (alt) wie den „Meisten“ (demnächst) ist das egal, auch wenn einer der Rührigsten unter den Reformkritikern diese Neuerung in ganz alter Theologenmanier als Rückfall in den „vorsintflutlichen Zustand“ (Theodor Ickler) beschwört.

RUDOLF WALTHER