american pie
: Dopingskandal mit viel heißer Luft

Wieder Ärger für Carl Lewis

Diesmal gab es keinen Zweifel: Carl Lewis war eindeutig positiv. Leicht verwirrt saß der neunmalige Olympiasieger am Montag nach einem Unfall im Süden von Los Angeles in seinem Maserati und konnte keinen einzigen Nüchternheitstest bestehen. Er wurde verhaftet, die spätere Alkoholprobe ergab 0,8 Promille. Nach kalifornischem Recht Trunkenheit am Steuer, die Verhandlung wurde für den 7. Juli terminiert.

Eindeutig positiv war der heute 41-jährige ehemalige Leichtathlet auch bei den Trials 1988, der US-Ausscheidung für die Olympischen Spiele in Seoul. Drei Sorten des verbotenen Aufputschmittels Ephedrin wurden in seinem Körper entdeckt, er wurde gesperrt und durfte dann doch starten. In einem frei verkäuflichen Kräuterpräparat sei der Stoff gewesen, hatte Lewis angegeben, „unabsichtliche Verwendung“ urteilte der Verband und sprach ihn frei. Nach erfolgter Qualifikation gewann Carl Lewis, der stets gern als eloquenter und lautstarker Antidoping-Prediger auftrat, im Seouler Skandalfinale über 100 m schließlich Gold, nachdem der Kanadier Ben Johnson, eigentlich als erster im Ziel, wegen Anabolika-Dopings disqualifiziert worden war. Die Silbermedaille erhielt der Engländer Linford Christie, der in Seoul ebenfalls mit Pseudoephedrin aufgefallen war, aber davonkam, als er erklärte, es sei ohne sein Wissen in einem Ginseng-Präparat gewesen.

Bei den besagten Trials von Indianapolis muss gar ein fliegender Händler mit getarnten Ephedrinbömbchen unterwegs gewesen sein, denn Lewis war beileibe nicht der einzige, bei dem man fündig wurde. Sprinter Joe DeLoach und Hürdenläufer Andre Phillips wurden ebenfalls ertappt, sie gehören, so wie die Tennisspielerin Mary-Joe Fernandez und der Fußballer Alexi Lalas, zu jenen rund hundert US-Athleten, die Wade Exum, der ehemalige Chef der Dopingbekämpfung im Nationalen Olympischen Komitee der USA (USOC), jüngst outete. 19 Olympiamedaillen haben die weißgewaschenen Sportler insgesamt gewonnen.

Offensichtlich war die summarische Freisprechung bei Dopingverstößen der weicheren Sorte, wie es jene mit Aufputschmitteln darstellen, feste Praxis, was auf Schönste das Bild bestätigt, welches der US-Sport seit langem abgibt. Mächtig draufhauen, wenn es um die Praktiken in Ländern wie der DDR, Sowjetunion oder China geht, im eigenen Land jedoch schlampen, verschleiern, verschleppen. „Das ist genau, was viele vermutet haben“, sagt Richard Pound, Chef der Welt-Antidopingagentur Wada, und hofft: „Je mehr die Welt darüber weiß, was das USOC getan hat, desto größer ist die Möglichkeit, dass das Problem behoben wird.“ Dem pflichtet sogar USOC-Sprecher Darryl Seibel bei, der darauf verweist, dass es gerade solche Vorgänge waren, welche zur Gründung der Nationalen Antidopingagentur im Jahr 2000 und der Abschaffung von Exums Posten führten.

„Ich finde es etwas ironisch, dass Dr. Exum genau das Programm geleitet hat, von dem er jetzt behauptet, dass es so vedorben war“, weist USOC-Vizepräsident Frank Marshall darauf hin, dass Wade Exum von 1991 bis 2000 Antidoping-Chef des USOC war. Gegen seine Verabschiedung klagte der Psychiater wegen rassistischer Diskriminierung und ungerechtfertigter Entlassung. Die 30.000 Seiten umfassende Dokumentation, die er jetzt der Sports Illustrated übergab, wollte er eigentlich im Prozess verwenden. Ein Richter in Colorado Springs wies die Klage jedoch wegen ungenügender Beweise ab.

Exums Enthüllungen waren schon lange mit Spannung erwartet worden. Bei Licht besehen erweisen sie sich jedoch als eher enttäuschend und sind weit entfernt von der „größten Drogen-im-Sport-Geschichte aller Zeiten“, welche die Londoner Times gewittert hatte. Exum scheint sehr selektiv auszupacken, denn sollte es wirklich keine verschleierten Anabolikafälle, keine widerrechtliche Ankündigung von Trainingskontrollen, keine verschwundenen oder manipulierten Proben gegeben haben, sondern nur diese hundert freigesprochenen Ephedrinisten, wären die USA relativ fein raus. Derartige dubiose Urteile gab es schließlich weltweit zuhauf, und selbst im kürzlich verabschiedeten Welt-Antidoping-Code existiert die Möglichkeit eines Freispruchs, wenn dem Athleten „kein Verschulden und keine Nachlässigkeit“ vorzuwerfen sind.

„Er hätte wissen müssen, dass er vorsichtig sein muss mit dem, was er einnimmt“, weist Richard Pound das Argument der Nachlässigkeit im Falle von Carl Lewis allerdings weit von sich. Eine Einschätzung, welche die Polizei von Los Angeles dieser Tage sicher gern bestätigt.

MATTI LIESKE