: Die postmaterielle Frau
Auf ihrem Album „American Life“ tönt Madonna, als sei sie der ständigen Rollenspiele überdrüssig. Doch die Songs ihres Produzenten Mirwais oszillieren wie gewohnt zwischen Wahrheit und Lüge
von TOBIAS RAPP
Es hätte so schön gepasst. Ein Antikriegsstück von Madonna, pünktlich zum Start des Irakfeldzugs. Was wäre dann wohl los gewesen. Endlich hätte sich die Antikriegsbewegung auf einen catchy Hit einigen können, nach all den unseligen Protestliedern von den Beastie Boys und Ani DiFranco, von John Cougar Mellencamp und Billy Bragg, von Lenny Kravitz und Zack LaRoca –Stücke, die im Internet eine traurige Existenz fristen, von Künstlern, denen man kein Wort glaubt, wenn sie behaupten, die Mainstream-Medien würden kritische Inhalte zensieren, deshalb könne man diese Stücke nicht im Radio hören. Die Wahrheit ist: Sie hören sich meistens einfach nur langweilig und uninspiriert an. Dagegen stelle man sich vor: Die Zentralgottheit des Pop verbündet sich mit einer weltweiten Protestbewegung.
Bücher hätten umgeschrieben, Doktorarbeiten umgearbeitet werden müssen. Ein Madonna-Stück, das den Krieg und das amerikanische Großmachtstreben geißelt, eine Madonna, die sich in einer neuerlichen Wandlung als Antikriegsikone neu erfindet – das alte Thema von der Repolitisierung des Pop hätte eine Renaissance erlebt, die all jene Debatten der Neunziger, deren Mitschriften heute in den Archiven verstauben, in den Status einer hoffnungsvollen Vorahnung katapultiert hätte.
Nicht dass es an der Bereitschaft für eine solche Platte fehlen würde, auch auf der anderen Seite der Barrikade. Gerade in den USA mit seinen Massenmedien im patriotischen Taumel gibt es nach dem Sieg über Saddam Hussein einen ganz realen Bedarf für unamerikanische Umtriebe. So konnte man vor einigen Tagen auf dem Nachrichtenkanal MSNBC einen Beitrag unter dem Titel „Stupid Stars“ sehen, der alle möglichen Stars zusammenwarf, die unter dem Verdacht unpatriotischen Verhaltens stehen: die unvermeidlichen Michael Moore und Sean Penn, aber eben auch Madonna. Deren neues Stück „American Life“ kritisiere den Irakkrieg. Aber, so hieß es weiter, wirklich schlimm sei das alles nicht, sie habe den Videoclip schließlich zurückgezogen. Der Beitrag endete mit der Feststellung, das Grandiose an Amerika sei, dass man das verfassungsmäßig garantierte Recht auf Redefreiheit gar nicht einschränken brauche. Die Künstler wüssten schließlich selbst am besten, dass man mit unpatriotischen Botschaften bei den Amerikanern nicht landen könne.
Es hätte also wirklich interessant werden können, wenn es sich bei „American Life“ wirklich um das gehandelt hätte, was die Kontroverse um den „American Life“-Videoclip versprach und was zumindest das Albumcover zu halten scheint, das Madonna im schwarz-weißen Che-Guevara-Siebdruck-Style vor einer zerfallenden amerikanischen Flagge zeigt, mit blutroten Streifen über ihrem Gesicht.
Allein, so ist es nicht. „American Life“ (der Videoclip) ist kein Antikriegsspot, „American Life“ (die Single) hat mit Amerika recht wenig zu tun, viel dagegen mit dem englischen Landleben, „American Life“ (das Album) ist zwar mit einem schön anzuschauenden Cover gesegnet, aber weit davon entfernt, politisch eine wie auch immer geartete Stellung zu beziehen. Im Gegenteil, es bietet lediglich introspektiven Geständnispop. Wollte man es in Madonnas Gesamtwerk einordnen, so könnte man es neben „Like A Prayer“ von 1989 und „Ray Of Light“ von 1998 stellen.
Warum die ganze Aufregung? Im Videoclip sprengt Madonna mit einem Trupp gefährlich aussehender Models in Militärklamotten eine Fashionshow und wirft einem Anzugträger, der auffallende Ähnlichkeit mit dem amerikanischen Präsidenten hat, eine Handgranate zu, die sich dann, als er sie auffängt und sich seine Zigarre anzündet, als Feuerzeug entpuppt. Schiebt man das ganze Brimborium einmal beiseite, geht es um Folgendes: „I drive my mini cooper / And I’m feeling super-duper (?) / I got a lawyer and a manager / An agent and a chef / Three nannies, an assistant / And a driver and a jet / A trainer and a butler / And a bodyguard or five / A gardener and a stylist / Do you think I’m satisfied?“.
Um das Leben in einem englischen Landhaus also, mit einem Mann, dessen Fähigkeiten als Regisseur in etwa den eigenen als Schauspielerin entsprechen, mit dem man aber nichtsdestotrotz glücklich ist. Um die Kinder geht es und die Sonne, die über deren Gesichter streicht (vor einigen Wochen kündigte Madonna an, Kinderbücher veröffentlichen zu wollen). Darum, dass materielle Werte nicht alles sind: „I’m just living out the American dream / And I just realized that nothing is what it seems.“
Mit der Entscheidung, ihren „American Life“-Videoclip zurückzuziehen, hat sich Madonna noch einmal auf ihre unvergleichliche Art madonnamäßig gegeben. Schließlich werden Kontroversen durch nichts so nachhaltig angefacht als dadurch, dass man etwas erst zur Kontroverse erklärt und dann einen Rückzieher macht. Wäre Popmusik Schach, eine solche Strategie zur Markteinführung einer Schallplatte würde als klassische Madonna-Eröffnung firmieren. Doch allmählich könnte man meinen, sie sei ihrer selbst überdrüssig geworden, und viele Stücke auf „American Life“ klingen, als würde Madonna die Welt der ständigen Selbstverwandlung und Neuerfindung des Ichs nicht länger ertragen. Eine Welt, die sie mit hervorgebracht hat und der sie seit nunmehr zehn Alben vorsitzt. Doch so sehr solche Gedanken zu dem Bild passen, das man sich von einer Frau macht, die in ihrem Landhaus sitzt, in der Kabbala blättert und ihren Kindern beim Spielen zuschaut – die Suche nach dem wahren Leben, das auf die Irrungen und Wirrungen der jeweils jüngsten Gegenwart folgt, ist ein Thema, das sich durch das ganze Werk Madonnas zieht. Hieß es nicht schon in „Like A Virgin“: „I made it through the wilderness / Somehow I made it through / Didn’t know how lost I was / Until I found you?“
Das Großartige dieser Platte ist das, was man in seinem Hang zum Hineinlegen und Herauslesen von Bedeutungen gerne übersieht, die Musik nämlich. Genau wie Madonnas letztes Album „Music“ ist „American Life“ wieder von dem Pariser Houseproduzenten Mirwais Ahmadzai eingespielt worden. Und im Vergleich zu „Music“ (das sich bei aller Großartigkeit doch anhörte, als habe Mirwais einer Anordnung von Madonna Folge geleistet, alles solle genau so klingen wie auf seinem Soloalbum; einen Großteil der Beats hatte er schlicht übernommen) klingt „American Life“, als hätte er nun tatsächlich freie Hand gehabt.
Die minimalistischen Beats, das Gefühl für ein ganz eigenes rhythmisches Stop & Go, die knarzige Synthesizersounds, die sich anhören wie die knisternden Enden offen liegender Stromleitungen oder wie niedrigtourige Bohrmaschinen, die Folkgitarre, die man zwar am Klang erkennt, die aber gleichzeitig so zerhackt ist, dass Wärme nur noch als ferne Erinnerung mitschwingt – Mirwais hat für Madonna Songs produziert, die sich eigentlich an der Grenze zur Radiotauglichkeit bewegen, aber gleichzeitig massenkompatibler Pop sind. „American Life“ ist eine Platte, die einen in dem Glauben bestärkt, dass die gewagte, experimentierfreudige Popmusik gegenwärtig im Zentrum des popmusikalischen Universums entsteht und nicht an seinen Rändern. Gerade der Einsatz der Gitarre korrespondiert wunderbar mit dem, was Madonna der Welt mitzuteilen hat. Wie sollte man die Einsichten Madonnas wie die, sie sei „stupid“ gewesen, „cause I used to live in a fuzzy dream / and I wanted to be like all the pretty people?“ („Stupid“) in ihrer vollen Größe auch anders vertonen als dadurch, dass man die Stimme durch einen Vocoder jagt und das Ganze durch Rudimente einer Folkgitarre begleiten lässt? Kann man Musik eleganter zwischen Wahrheit und Lüge oszillieren lassen? So muss es sich wohl anhören, wenn „nothing is what it seems“.
Im Sounddesign von Mirwais finden sich dann auch weit eher Spuren von etwas, das man einen europäischen Weg nennen könnte, als auf der Ebene der Texte. Vielleicht ist es übertrieben, diese Musik als einen Gegenentwurf zu dem ähnlich gewagt-verspielten Sound hochzustilisieren, den amerikanische Produzenten wie die Neptunes oder Timberland im vielfachen Dutzend aus ihren Studios in die Charts schicken. Doch Mirwais ist einer der wenigen europäischen Produzenten, der sich mit ihnen messen kann.
Trotzdem ist es entschieden der europäische Dancefloor, an dem Madonna ihre Musik orientiert. Und wer weiß, wen sich Madonna als nächsten Produzenten sucht? Nach dem Briten William Orbit, der „Ray Of Light“ produzierte, und dem Franzosen Mirwais wäre es durchaus möglich, dass sie auf ihrem Weg durch die Studios des alten Europa als nächstes in Köln Station macht, um ihr nächstes Album mit einem der dort ansässigen Produzenten aufzunehmen.
Madonna: „American Life“ (WEA)