: „Nein heißt Nein!“
Die Ausstellung „Schlag:Artig“ geht das Thema „häusliche Gewalt“ spielerisch an. Gewalt zu verstehen ist eine Seite des Konzepts, sich davor zu wappnen die andere
In der engen Treppenflucht hängen Sprechblasen von der Decke. „Das geht doch keinen was an“, „Kein Wunder, wie die rumläuft“, „Die hat ja selber schuld“ sind in Kinderschreibschrift festgehaltene Sätze auf weißer Pappe. Dazu sind Kinderstimmen vom Band zu hören, die mit dem Wort „schlagartig“ spielen und es verschieden betonen:wie Trommelschläge, wie Gehämmer, wie Bäume, die rauschen.
Die Treppe in der Neuköllner Traumfabrik führt zu dem gleichnamigen Ausstellungsprojekt. Künstlerinnen der Universität der Künste (UdK) haben zusammen mit der Bundesarbeitsgemeinschaft Feministischer Projekte gegen sexuelle Gewalt an Mädchen und Frauen e. V. (BAG/Forsa) mit dem Tabu gebrochen, das dem Thema häusliche Gewalt anhängt. Anlass der interaktiven und kreativen Auseinandersetzung: das neue Gewaltschutzgesetz. Nicht mehr das Opfer, sondern aggressive Verwandte oder Partner müssen die Wohnung verlassen. Informativ und spielerisch zugleich soll dieser neue zivilrechtliche Schutz in der Ausstellung veranschaulicht werden, „Wichtig ist, jeden normalen Menschen damit zu erreichen“, sagt die Künstlerin Rebekka Uhlig. Sie ist Dozentin an derUdK und Mitorganisatorin des Projekts. „Als Künstlerin habe ich auch soziale Verantwortung und kann ein derartiges Thema nicht ignorieren“, bekennt sie, während sie durch die Ausstellung führt.
Auf einem Tisch stehen kleine bemalte und beklebte Kästchen. Ergebnis des Workshops „Meine Schatzkiste“, den die Künstlerinnen mit asiatischen Frauen gemacht haben. Es spiegelt ihr Leben zwischen zwei Kulturen. Sie alle sind verheiratet mit deutschen Männern und sind in einer Zufluchtswohnung untergekommen, weil ihre Männer gewalttätig waren. Ihre Kästchen sind mit Erinnerungen an die Heimat gefüllt. Wasserbüffel aus Knete etwa: Tiere, die stark sind und friedlich. „Hinterm Horizont geht’s weiter“, will die tiefe Stimme von Udo Lindenberg über Lautsprecher Mut machen.
In thematisch konzipierten Workshops haben die Künstlerinnen der UdK-Gruppe „Kunst im Kontext“ mit Mädchen und Frauen interaktiv zu der ganzen Bandbreite von häuslicher Gewalt gearbeitet. „Kunst stellt es jeder Betroffenen frei, wie tief sie die schmerzhafte Erfahrung zum Ausdruck bringt“, sagt Rebekka Uhlig.
„Ich bin froh, dass ich ein Mädchen bin, weil Jungs bescheuert sind.“ Das Mädchen mit der Zahnlücke auf dem Bildschirm grinst. Gewalterfahrung verstehen und darstellen ist ein Aspekt der Ausstellung. „Schlag: Artig“ jedoch geht noch einen Schritt weiter: In Workshops für Kickboxen und Singen soll über die Problematisierung von häuslicher Gewalt hinaus eine Möglichkeit für den Umgang mit Gewalt und für Prävention geschaffen werden. „Die Teilnehmerinnen sollen der Gewalterfahrung Kreativität entgegensetzen und so ihre Identität stärken“, erklärt Uhlig.
Schmerz, Wut, Ausweglosigkeit: Die Ausstellung verdichtet solche Erfahrungen in Bilder, Klänge und Stimmen. Ausdrucksvollste Synthese dabei ist die Papierwand des „Girls for Girls Club“. Die erste Mädchen-Selbsthilfe-Initiative von 16- bis 19-Jährigen hat unter dem Motto „Nein heißt Nein“ ihre Gedanken wie Spuren hinterlassen. Der Satz „Zeit heilt alle Wunden“, springt dabei ins Auge. Kaum lesbar und krakelig steht darunter: „ALLE?“ LUCIA JAY