: Industrie: Neues AKW lohnt nicht
Stromkonzerne werfen Finnlands Plan, ab Herbst Reaktor zu bauen, über den Haufen
HELSINKI taz ■ In sechs Jahren sollte er eigentlich ans Netz gehen. Finnlands fünfter Atomreaktor – und europaweit bisher der einzige geplante AKW-Neubau dieses Jahrtausends. Vor einem Jahr hatte ihn eine knappe Mehrheit im finnischen Parlament abgesegnet. Die Grünen hatten unter Protest die damalige Regierungskoalition des sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Paavo Lipponen verlassen. Im kommenden Herbst sollten nun die Bauaufträge vergeben werden, die Angebote mehrerer Konsortien werden gerade geprüft. Doch nun hat die Stromwirtschaft gerechnet und ist dabei offenbar zum Ergebnis gekommen, dass der Bau nicht einmal bei den derzeit rekordverdächtigen Strompreisen in Nordeuropa wirtschaftlich lohnt.
Lars G. Josefsson, Chef des schwedisch-deutschen Strommultis Vattenfall, gab dem Projekt bei einem Besuch in Finnland in der letzten Woche keine Chance: Auf absehbare Zeit gebe es keinen Bedarf, „überhaupt in ein großes Kraftwerk in diesem Teil Europas zu investieren“. In einen teuren Atomreaktor schon gar nicht. Möglicherweise sehe es in 20 oder 30 Jahren anders aus. Aber es ergebe keinen Sinn, „ein Problem ein Jahrzehnt zu früh lösen zu wollen“. Einen AKW-Neubau scheint Josefsson aus wirtschaftlichen Gründen auch auf längere Sicht ausschließen zu wollen: Glaube man, so wie er, an den Markt, werde es weder bedeutsame Kapazitätsengpässe noch Strompreissteigerungen in einer Größenordnung geben, die einen solchen Bau profitabel machte.
Auch beim finnischen Stromkonzern Fortum, seinerseits Miteigentümer von Teollisuuden Voima, dem Unternehmen, welches formal den Bau eines fünften Atomreaktors beantragt hatte, hat man offenbar kalte Füsse bekommen. „Strom aus Kernkraft zu erzeugen muss ja ein lohnendes Geschäft sein“, so Fortum-Chef Mikael Lilius, doch es sei derzeit „keine Kalkulation aufzustellen, die aufgeht.“ Bei Fortum habe man ausgerechnet, dass sich die Strompreise dauerhaft auf dem rekordhohen Niveau bewegen müssten, das zeitweise im zu Ende gegangen Winter herrschte. Ein endgültiges Urteil könne man zwar erst fällen, wenn die Offerten der Baukonsortien geprüft seien und man die voraussichtlichen Investitionskosten besser abschätzen könne. Aber man sei natürlich nur bereit, in ein solches Projekt zu investieren, wenn sich das Ganze als lohnend erweise.
Rund 2,5 Milliarden Euro sollte der Reaktorneubau kosten, mit dessen Produktion sich der Anteil von Atomstrom in Finnland von 29 auf 36 Prozent erhöht hätte. Im Moment spricht aber viel dafür, dass Finnlands Atomkraftalleingang – „die große Ausnahme in Westeuropa“, wie David Kyd von der International Atomic Energy Agency (IAEA) ihn nannte – wenn schon nicht gleich zu den Akten gelegt, dann doch erst einmal auf die lange Bank geschoben wird.
REINHARD WOLFF