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Archiv-Artikel

Ewig rauschen die Computer

Das renommierte Karlsruher „Zentrum für Kunst und Medientechnologie“ hat das gesamte Werk des umtriebigen Bremer Computer-Künstlers Michael Weisser in sein Archiv genommen: Computer-Sounds, Computer-Prosa, Computer-Bilder und digital verfremdete analoge Kunstwerke

VON KLAUS WOLSCHNER

Eine Kunstkritikerin hat ihn einmal einen „Getriebenen“ genannt. Michael Weisser, Computer-Künstler aus Bremen, hat in den letzten 30 Jahren rund 2.000 „Erscheinungsformen“ produziert, „die physikalisch vorhanden sind“: Computer-Musik, Computer-Grafiken, Computerfoto-Montagen, Bildsequenzen, aber auch ganz handfest Romane, Plastiken, Objekte. „Das war ein großer LKW voll“, sagt er – das renommierte Karlsruher „Zentrum für Kunst und Medientechnologie“ (ZKM) hat alles abgeholt. Weissers Lebenswerk soll in Karlsruhe archiviert werden. Denn wie kaum ein anderer hat er, der sich selbst einen „Universalisten“ nennt, in den vergangenen 30 Jahren die Moden der Computer-Kunst mitgemacht und geprägt.

„Die Sammlung stellt ein einzigartiges Konvolut zur Entwicklung der multimedialen und digitalen Kunst dar“, so hat der Leiter des ZKM, Peter Weibel, die Entscheidung erläutert, Weisser als Prototypen für Computer-Kunst in sein Archiv zu nehmen. Insbesondere die „Querverbindungen“ zwischen den Medien und künstlerischen Gattungen sowie der digitalen und der analogen Kunst haben ihn überzeugt.

„Alles weg“, sagt Weisser und zeigt auf seine fast leer geräumte Atelier-Etage. Wobei man sich fragt, wieso eigentlich ein LKW kommen muss, um eine Sammlung Computer-Kunst abzuholen. Besteht nicht die Realität dieser Kunst aus digitalen Datensätzen, Bild-Daten und Ton-Daten, die nur in der „Performance“ zu sinnlicher und körperlicher Realität werden? „Ich bin der Tradition des Analogen verhaftet“, ist Weissers verblüffende Antwort auf diese Frage.

Sicher, es gab auch manch flüchtig-spektakuläre Performance in seiner künstlerischen Biografie, etwa die Aufführung von sphärischer Musik in den großen Planetarien von Bochum und Stuttgart. Oder die Musikproduktion „Heaven to hell“, ein „Requiem für analoge Seelen“, das die riesige Kuppel des Mausoleums im niedersächsischen Bückeburg, der Begräbnisstätte des Fürstenhauses Schaumburg-Lippe, mit Computerklängen füllte.

Aber die größere Zahl der „Erscheinungsformen“ von Weissers Kunst ist materialisiert, auf Leinwand gebannt. So hat er zum Beispiel das Rauschen materialisiert: Er hat ein kleines Piktogramm hundertfach auf einer Bildschirmseite zu einem Muster kopiert, das Muster mehrfach aufgezoomt und von jedem Zoom-Stadium einen Ausdruck gemacht. Die einzelnen Blätter hat er zerknüllt – „ich arbeite gern mit den Händen“, sagt er – und als dreidimensionale Knüll-Objekt auf einen Buchdeckel geklebt. „Bit-a-Map“ heißt das Objekt.

Weisser spielt gern mit dem Zoom – auch mit Worten. „Leben ist Sterben“ hat er bei Wittgenstein gelesen. „Leben isst sterben“ steht auf dem Deckblatt eines Buchstaben-Spiels. Ein Klick auf „Zoom“ macht daraus „isst Sterben“. Klick Zoom – „erben“. Und dann zoomte er das „Rauschen“ des Punktes. Solche intelligenten Spielereien dokumentiert Weisser „analog“ zwischen zwei Buchdeckeln, im Internet gibt es aber auch unter www.mikeweisser.de jede Menge Wortwitz zu klicken.

Michael Weisser ist 1948 in Cuxhaven geboren und „zwanzig Meter von der Nordsee entfernt“ aufgewachsen, wie er sagt. Wind, Deiche und die Bilder der fliehenden Wolken haben seine Jugend geprägt. Damit erklärt er seine Liebe zum Rauschen, optisch wie akustisch. „Im Rauschen liegt der Sinn“, philosophiert er. Und seine Liebe zum Handfesten: „Ich wühle gern im Schlamm.“ Stundenlang kann er dem Naturspektakel der auflaufenden und ablaufenden Welle nachspüren, die alles zerstört, was sie gerade an Formen produziert hat, die immer gleich und doch jedes Mal anders erscheint.

Weisser wollte eigentlich Chemiker werden, hat dann gewechselt und in Köln sakrale Malerei studiert, bevor er die experimentelle Malerei und freie Grafik entdeckte. „Wenn ich etwas kann, langweilt es mich“, sagt er. Promoviert hat er über die Ästhetik der Alltagswelt. 1982 erschien sein Roman „Syn-Code-7“ bei Suhrkamp, eine phantastische Geschichte über biotechnologische Visionen. Im selben Jahr präsentierte er auf der „Ars Electronica“ in Linz das Multi-Media-Projekt „Galaxy Cygnus-A“, bei dem das Weltraum-Rauschen in Frequenzen transponiert wurde, die für das menschliche Ohr wahrnehmbar sind. Das waren damals die Anfänge der Computer-Kunst. Für den Katalog der „Ars Electronica“ zeichnete er verantwortlich.

Seitdem faszinierten ihn nicht nur die Computergrafiken, sondern vor allem auch die akustischen Möglichkeiten des Computers. Mit Peter Mergner gründete er das Label „SynCode“, auf dem Osnabrücker Festival „KlangArt“ war er ständig mit seinen Projekten vertreten. Als sich schließlich die Computer-Klänge als „Presets“ auf jedem Synthesizer programmieren ließen, suchte Weisser den Weg zurück in die bildende Kunst.

In Bremen bekannt wurden seine Ausstellungen an besonderen Orten: Im Weserwehr stellte er aus und im „Gymnasium an der Hermann Böse-Straße“, das auf seine Initiative hin den Namen korrigierte – eine kleine Änderung mit großer Bedeutung: „Hermann Böse-Gymnasium“ heißt es heute, trägt also den Namen des alten idealistischen Kommunisten und Volkskommissars.

Mit seiner Technik, Details zu fotografieren und zu einer Collage zusammenzusetzen, bespielte der Künstler auch das Bremer Gerichtshaus. „Weiße tote Museums-Räume liebe ich nicht“, sagt er. Und träumt von einem Projekt in dem gigantischen Bunker Valentin, den die Nazis von Zwangsarbeitern für den U-Boot-Bau errichten ließen. Seit 2006 macht Weisser auch mit „Casting“-Projekten in Bremen von sich reden: Er will nicht nur Details historischer Räume ins Bewusstsein zoomen, sondern auch „Gesichter der Stadt“.

Weisser wäre nicht Weisser, wenn er nicht für sein eigenes Archiv die Datenbank selbst erstellen würde – mit einer Software, die die Bezüge deutlich macht. „Hyper-Inventar“ nennt ZKM-Leiter Peter Weibel das. Dieses „Hyper“-Inventar soll nicht ein gewöhnliches Inventar sein, sondern auch „die Story hinter dem Werk“ zeigen, Vernetzungen zu anderen Objekten, zu Ideen, Erlebnissen, Menschen und Orten.

Ist das nicht ein trauriger Moment, wenn der LKW mit dem Lebenswerk den Motor anlässt und wegfährt? „Abschiedsschmerz mischte sich mit dem Gefühl“, sagt Weisser, „eine spannende Reise in eine neue Welt voller Abenteuer anzutreten.“ Er ist ein getriebener Optimist. Gerade hat er seinen 60. Geburtstag hinter sich gelassen.