Flirrendes für die Polarforscher

Die Architektur-Geheimtipp-Stadt Bremerhaven hat ein neues Flaggschiff: Otto Steidles AWI-Neubau, Hafenwasser gekühlt und mit irritierenden Mustern überzogen. Schade nur, dass die Fenster außerhalb der Augenhöhe liegen

Der Bau demonstriert, was Steidles Architektur ausmacht: Sie ist auf eine fast enervierende Art gegenwärtig und frech

von Eberhard Syring

Schon seit längerem gilt Bremerhaven als Geheimtipp für Freunde der zeitgenössischen Architektur. Von Ernst May bis Scharoun, von Ungers bis Böhm haben wichtige nationale Größen der Baukunst hier ihre Spuren hinterlassen. In diese Reihe lässt sich auch der Neubau eines Labor- und Bürogebäudes des Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung (AWI) einfügen, der im Mai von Bundespräsident Rau eröffnet werden soll.

Das Bauwerk an der Doppelschleuse zu Fischerei- und Handelshafen stammt von dem Münchner Büro Steidle und Partner. Otto Steidle, gerade sechzig geworden, hat seit über drei Jahrzehnten mit innovativen Bauten die Architekturdiskussion belebt. In der Großausstellung „Neue Deutsche Architektur“, die seit 2002 verschiedene Stationen im In- und Ausland anläuft, wird er als einer der Ziehväter herausgestellt. Das Münchner Architekturmuseum widmete ihm gerade eine umfassende Werkschau.

Der Bremerhavener Bau demonstriert gut, was Steidles Architektur ausmacht: Sie ist auf eine mitunter fast enervierende Art gegenwärtig, frech, experimentell. Und sie ist von Grundgedanken geleitet, die sich seit 35 Jahren nicht wesentlich geändert haben.

Was auf den ersten Blick auffällt ist das merkwürdige Muster, das die unregelmäßige äußere Kontur umfasst. Die flimmernde Fläche aus grau, schwarz und weiß glasierten Backsteinen wird von einem zweiten Muster, dem der ein mal ein Meter großen Fenster, überlagert. Die auffällige Fassade ist ein Produkt der langjährigen Zusammenarbeit Steidles mit dem Berliner Maler Erich Wiesner. In Hamburg gibt es am Axel-Springer-Platz und im Michaelis Quartier Vorläuferbauten in dieser Machart, die ursprünglich von Blinky Palermos Bild „straight“ angeregt worden ist.

Die flirrende Fassade trifft sicher nicht jedermanns Geschmack. Auch, dass sie sich nicht auf allen Flächen des komplizierten Baukörpers fortsetzt, mag irritieren. Die Binnenstruktur, die sich aus kreuzenden Riegeln aufbaut, die fünf Höfe entstehen lassen und aus der drei turmartige Erhöhungen herauswachsen, hat eine andere Außenhaut. Hier dominieren Flächen in gelb, grün und weiß – ebenfalls aus glasierten Steinen. Der abrupte Farb- und Musterwechsel an den Ecken trägt nicht unbedingt zur Klarheit des Baukörpers bei.

Aber diese optische Auflösung scheint kalkuliert. Das relativ große Volumen fügt sich dadurch besser in die lebendige und farbenfrohe Hafenszenerie ein – was wieder zu Steidles Konzept passt, denn wollte man sein Gesamtwerk auf einen Begriff bringen, wäre vermutlich zuerst seine antimonumentale Haltung zu nennen. Es zeigt eine klare Präferenz für die innere Struktur gegenüber der großen architektonischen Geste. In diesem Punkt ist und bleibt Steidle vom niederländischen Strukturalismus eines Hertzberger und van Eyck beeinflusst.

Auch in Bremerhaven liegt der eigentliche architektonische Schwerpunkt in der Gestaltung der „öffentlichen“ Innenräume, der Flure, Treppenhäuser, Brücken, Höfe und Terrassen, zu hochwertigen kommunikativen Orten. Die innere Erschließung, die ebenfalls von Wiesner mit leichten de Stijl-Anklängen farblich akzentuiert wird, orientiert sich an einem urbanen Muster mit Straßen und Plätzen. Erwähnung verdient auch das ausgeklügelte Energiekonzept des Hauses, das sich unter anderem die Wärmespeichermassen der Betondecken und das Hafenwasser als Kühlung zu Nutze macht.

Der attraktivste Ort im Gebäude ist zweifellos die Kantine in dem höchsten der drei turmartigen Aufbauten. Hier eröffnet sich ein herrlicher Rundblick über den südlichen Teil Bremerhavens und die Landschaft am Strom – wenn’s mal nicht wieder zu sehr zieht, auch von der vorgelagerten Terrasse. Einziger gravierender Nachteil, der im übrigen für sämtliche Räume gilt: Die kleinen Fenster sind in zwei übereinanderliegenden Reihen angeordnet, deren horizontaler Zwischenraum dummerweise in Augenhöhe liegt. Um die interessanten Ausblicke, die das Gebäude nach fast allen Seiten bietet, genießen zu können, muss man sich also erst mal hinsetzten – oder auf einen Stuhl stellen.