: Beim Stichtag gibt es kein Pardon
Eine Bosnierin soll nach Sarajevo abgeschoben werden. Wie ihr Mann, mit dem sie seit 1994 in Berlin lebt, ist sie laut einem Gutachten stark kriegstraumatisiert. Die Ausländerbehörde interessiert das wenig: Alana K. ging „zu spät“ in Behandlung
VON HEIKE KLEFFNER
Mit einem geharnischten Protestbrief hat sich der ehemalige Bundesminister Christian Schwarz-Schilling an den Berliner Innensenator Ehrhart Körting (SPD) gewandt. Anlass des Schreibens: die fortgesetzte Weigerung der Ausländerbehörde, traumatisierten Kriegsflüchtlingen aus dem ehemaligen Jugoslawien einen gefestigten Aufenthalt in Deutschland zu ermöglichen, wie eine Weisungen der Innenverwaltung es vorsieht. Er hoffe, so Schwarz-Schilling an die Adresse des Senators, „dass auch in Berlin endlich akzeptable und humanitäre Lösungen gefunden werden und sich die entsprechenden Senatsstellen ihrer historischen Verantwortung bewusst sind“.
Der Fall, der nicht nur den „Internationalen Streitschlichter für Bosnien und Herzegowina“ Schwarz-Schilling empört: Am Montag will die Ausländerbehörde die 54-jährige Bosnierin Alana K.* abschieben, deren Ehemann Moussa K. wegen einer kriegsbedingten schweren psychischen Störung stationär in der psychiatrischen Abteilung eines Berliner Krankenhauses behandelt wird. Eine humanitäre Lösung wurde im Fall des Ehepaars K. bislang von der Innenverwaltung abgelehnt.
Sowohl bei Alana K. als auch bei ihrem Ehemann haben Psychotherapeutinnen, so genannte Listengutachterinnen, deren Diagnosen auch von der Ausländerbehörde anerkannt werden sollten, schwere posttraumatische Belastungsstörungen diagnostiziert. Für die Ausländerbehörde und das Berliner Verwaltungsgericht haben die Gutachten allerdings aus formalen Gründen keine Relevanz: Alana K. hat sich im April 2001 in psychotherapeutische Behandlung begeben – und damit weit nach dem „Stichtag“ 1. Januar 2000. Moussa K., der aufgrund schwerer psychischer Störungen jahrelang eine Behandlung abgelehnt hatte, erhielt ebenfalls erst nach diesem Datum fachärztliche Hilfe. Die Argumentation der Ausländerbehörde, das seit 1994 in Berlin lebende Ehepaar habe sich erst in Behandlung begeben, als der weitere Aufenthalt in Deutschland gefährdet war, weisen Unterstützer der Familie empört zurück. Es sei ein heute noch anzutreffendes Phänomen, dass Opfer des Nationalsozialismus erst 30 oder 50 Jahre nach ihren Erlebnissen erstmals darüber sprächen, erinnert Christian Schwarz-Schilling an die Erfahrungen mit traumatisierten Überlebenden des Holocaust. Die kurze Zeitspanne, die traumatisierten Bürgerkriegsflüchtlingen aus dem ehemaligen Jugoslawien von den Behörden für einen Behandlungsbeginn zugestanden werde, lege „nur offen, wie wenig historisches oder medizinisches Verständnis heute bei unseren Entscheidungsträgern herrscht“.
Der in seiner Heimatstadt Brod bis zum Beginn des Bürgerkriegs als Chemieingenieur tätige Moussa K. war 1992 in einem kroatischen Gefängnis, aber auch als „lebender Schutzschild“ und in der anschließenden Lagerhaft Misshandlungen ausgesetzt und wurde Augenzeuge mehrerer Tötungen. Alana K. gelang 1993 nach monatelangem Aufenthalt in Kellern und Lagern mit ihren beiden minderjährigen Töchtern die Flucht nach Berlin, wohin ihnen Moussa K. im selben Jahr folgen konnte.
In der Fachsprache werden Moussa K.s Ängste, Panikattacken und die Tatsache, dass er seinen Alltag nicht mehr ohne die Hilfe der Ehefrau und größere Medikamentenmengen bewältigen kann, als „dissoziativer Zustand nach Traumatisierung durch Kriegserlebnisse“ bezeichnet. In der letztinstanzlichen Ablehnung eines Aufenthaltstitels für das Ehepaar wischte das Berliner Oberverwaltungsgericht im November die Warnungen der Ärzte vor den Folgen einer Abschiebung jedoch beiseite: In der ärztlichen Stellungnahme finde sich „lediglich die Feststellung, dass eine Verschlechterung des Krankheitsbildes bei einer Abschiebung zu befürchten wäre“. „Aus dieser allgemein gehaltenen Formulierung“, fanden die Richter, „geht weder hervor, dass es sich um eine wesentliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes handeln würde, noch dass eine derartige Verschlechterung mit beachtlicher, also überwiegender Wahrscheinlichkeit eintreten wird.“
Damit hatte die Ausländerbehörde freie Hand, das Ehepaar am 6. November 2003 erstmals in Abschiebehaft zu nehmen – wenige Tage nachdem Moussa K. aus einer stationären Therapie entlassen worden war. Erst zwanzig Tage später wurde er nach der Intervention von Fachärzten wegen Haftunfähigkeit aus der Abschiebehaft freigelassen. Nachdem sich sein Zustand zu Jahresbeginn erneut verschlechterte und er wieder ins Krankenhaus aufgenommen wurde, nahm die Ausländerbehörde seine Ehefrau „als Faustpfand“ für eine Abschiebung Mitte Februar erneut in Abschiebehaft, sagt Thomas Hohlfeld vom Verein südost Europa Kultur. Alana K. wurde bei einem Routinetermin zur Verlängerung der Duldung in der Ausländerbehörde festgenommen. Am Montag soll sie nun nach Sarajevo „ausreisen“, wie es im Behördendeutsch heißt. Ihren Ehemann müsste sie in einem Berliner Krankenhaus zurücklassen – obwohl der Petitionsausschuss des Abgeordnetenhauses noch Ende Januar die Zusicherung der Innenverwaltung erhalten hatte, die Ausländerbehörde sei „bemüht, dem Paar eine gemeinsame Ausreise nach Bosnien-Herzegowina zu ermöglichen.“
Für Thomas Hohlfeld und seine Kollegin Bosiljka Schedlich lässt der Fall des Ehepaars K. nur einen Schluss zu: „Der Umgang mit diesen vom Krieg schwer gezeichneten Menschen ist rechtsstaatswidrig und unwürdig.“
* Name geändert