zwischen den rillen
: Am Rande des Pop: Yo La Tengo und The Sea & Cake

Blüten im Schatten

Zehn Jahre ist es her, dass Yo La Tengo auf ihrem Album „Painful“ einen großen Tag besangen, der vielleicht bald kommen würde; nur versprach „Big Day Coming“ musikalisch keinen stürmischen Aufbruch, sondern schleppte sich elegisch und schwermütig über sieben Minuten dahin. Yo La Tengo wussten damals nur zu gut, dass es für sie so eine Sache mit den großen Tagen ist. Es war die Zeit, in der Grunge in den Popinstitutionen angelangt war, Nirvana die großen Hallen füllten und die Majorlabels sich durch die Verpflichtung selbst der obskursten Indiebands hohe Gewinnspannen versprachen. Yo La Tengo aber, schon seit 1984 dabei, blieben bei diesem Trubel außen vor – nicht zuletzt, weil sie lieber die feineren Saiten anschlugen und ihre Vorbilder nicht Led Zeppelin hießen, sondern Velvet Underground.

Im Folgenden sollte sich daran nichts ändern. Das Ehepaar Ira Kaplan und Georgia Hubley sowie ihr Bassist James McNew arbeiteten unbeeindruckt von neuen Trends wie Postrock, New Metal oder New Rock ’n’ Roll an ihrer Mischung aus reduzierten Folkweisen und ausgedehnten Feedbackorgien, der sie zur Verfeinerung auch einige Neuerungen hinzufügten (Breakbeats, Jazzfiguren, Krautelemente). Auf die Idee aber, in Yo La Tengos Musik einmal den allerletzten Schrei von Rock zu hören, kam bis heute niemand.

Insofern steht auch das neue und zehnte reguläre Yo-La-Tengo-Album „Summer Sun“ mal wieder im Schatten von viel, viel wichtigerer Pop- und Rockmusik, etwa von Madonna, White Stripes oder den Stones. Wer bei denen zu spät kommt im Feuilleton und auf dem Boulevard, der kommt mit nicht unter zehn Peitschenhieben davon, klar! Yo La Tengo können damit gut leben, im Verborgenen werkelt es sich besser, und die größeren Schätze finden sich hier sowieso. Andererseits ist es natürlich schade, dass sie nicht körbeweise Fanpost bekommen, verdient hätten sie es.

„Summer Sun“ versammelt viele schöne Songs, die ruhig dahintreiben, eindringlich vor sich hinschmelzen und nicht selten herrlich verträumt sind. Diese Musik hat von Velvet Underground genauso viel wie von den Beach Boys oder Steely Dan, ja, sie ist retro ohne Ende, klingt aber nach fast einer Stunde Spielzeit originär nach nur einer Band: Yo La Tengo. Und wenn sich bei all der Sonne und den Strandpartys und der Freude am Leben – today is the day!, jeder Tag ein big day! –, wenn sich also trotz alledem immer wieder traurige Momente in die Songs schleichen, dann verkörpern diese Momente nur die Trauer um die unwiederbringlich verlorene Zeit, nie um den ewig ausbleibenden Ruhm.

So wie Yo La Tengo gibt es inzwischen gerade im Indiebereich viele Bands und Musiker, die seit halben Ewigkeiten schon unterwegs sind; die selten wirklich große Tage hatten, sprich berühmt geworden sind: Leute wie Lou Barlow (Sebadoh), Howe Gelb (Giant Sand) oder Bill Callahan (Smog); die sich aber durch nichts und auch nicht die Strokes in ihrem Schaffen beirren lassen. Als „alte Bekannte“ werden sie gern genauso freundlich wie von oben herab qualifiziert – so, als würden sie immer den alten Stiefel spielen und nicht mehr tun als an graue Vorzeiten erinnern. So, als wären Ruhe, Gelassenheit und Ausdauer keine Qualitäten. Aber mehr denn je bedeutet Indie im Jahr 2003 genau das: kein Style, aber eine konsequente Lebenseinstellung, keine Personality-Show, aber ein musikalischer Entwurf. Den Mainstream oder Popstartum braucht es dafür gar nicht.

Auch die aus Chicago stammenden The Sea & Cake gehören zu dieser Sorte von Bands, selbst wenn sie nach dem Niedergang des Grunge mit Postrock immerhin einen neuen Rockstil mitbegründeten. Geradezu stoisch arbeiten die Herren Prekop, Prewitt, Claridge und McEntire an ihrer Version von Rock, die von Beginn an weniger Post als lupenreiner Pop war: Wie selbstverständlich benutzten sie elektronisches Equipment, schweiften in Krautrock-, Jazz- und Blue-Eyed-Soul-Gefilde, hielten aber meist am klassischen Songaufbau fest. Bisweilen hatte man das Gefühl, ihrer Songs nie wirklich habhaft werden zu können, so fluffig waren die, so sehr hatten die den Charakter einer Pusteblume.

Auf ihrem neuen, inzwischen sechsten Album „One Bedroom“ ist nun zu der vielen verblasenen Form viel Festigkeit gekommen. Das Einloggen und Drinbleiben klappt besser, Songs wie der grandiose Opener „Four Corner“, das tolle „Shoulder Length“ oder das zweigeteilte „Interiors“ wirken zupackend wie nie. Nichts muss, alles kann, erzählt diese Musik, „we don’t need to run, I don’t know why“, singt Prekop und weiß, dass er mit seiner Art von Popmusik selbst aus schlechten Tagen gute machen kann. GERRIT BARTELS

Yo La Tengo: „Summer Sun“ (Matador/Beggars Banquet); The Sea & Cake: „One Bedroom“ (Thrill Jockey/Efa)