: Die großen Fische für die USA
Für Iraker, die schwerer Kriegsverbrechen verdächtig sind, wird das Pentagon Militärtribunale einrichten. Kleine Fische dürfen die Iraker selbst aburteilen
aus Washington MICHAEL STRECK
Vier hochrangige Mitglieder der gestürzten irakischen Führung wurden am Mittwoch von US-Soldaten festgenommen. Dabei handelt es sich um den Chef des irakischen Militärgeheimdienstes, Suhair Talib Abdel Sattar, Luftwaffenchef Musahim Saab Hassan und Handelsminister Mohammed Mehdi al-Saleh. Alle drei standen auf der Top-55-Fahndungsliste der meistgesuchten Iraker. Ebenfalls gefasst wurde nach Angaben des US-Zentralkommandos der Chef der Nordamerika-Abteilung des irakischen Geheimdienstes, Salim Said Chalaf al-Dschumaili. Mit den neuen Festnahmen befinden sich mittlerweile elf Mitglieder der entmachteten irakischen Führung in US-Gewahrsam.
Nach dem Willen der US-Regierung sollen sie für begangene Verbrechen zur Verantwortung gezogen werden. Damit beginnt die wohl wichtigste und heikelste Phase des US-Projekts „Regimewechsel“. Präsident George W. Bush hatte vor Kriegsbeginn immer wieder angekündigt, dem irakischen Volk solle Gerechtigkeit widerfahren und die Chance gegeben werden, seine blutige Vergangenheit aufzuarbeiten. Die entscheidende Frage ist nun, wer die Anklage führen wird und vor welchem Gericht. Dabei wird zwischen aktuellen Kriegsverbrechen gegen die Invasionsarmee und Verbrechen unter der Terrorherrschaft Saddam Husseins zu unterscheiden sein.
Die USA behalten sich bislang das Recht vor, jenen den Prozess selbst zu machen, die für schwerwiegende Verbrechen und solche gegen ihre eigenen Truppen verantwortlich sind. Das schließt aus Washingtoner Sicht den Golfkrieg 1991 ein. „Wir werden uns wahrscheinlich die großen Fische holen“, sagt Detlev Vagts, Professor für Internationales Recht an der Harvard University. Dieses Verfahren sei vergleichbar mit den Prozessen gegen die Haupt-Kriegsverbrecher nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland und Japan. Dazu werde das Pentagon Militärtribunale einrichten. Prozesse könnten im Irak jederzeit beginnen, „bereits nächste Woche“, meint Vagts. Figuren außerhalb von Husseins engem Führungsstab, die vergleichsweise geringe Straftaten begangen haben, könnten später vor irakische Gerichte gestellt werden.
Iraker, die von einem US-Militärgericht verurteilt werden, können jedoch vor zivilen US-Gerichten und selbst vor dem Obersten Gerichtshof der USA Widerspruch einlegen, jedoch nicht vor internationalen Rechtsinstitutionen.
Nach Ansicht europäischer Rechtsexperten befinden sich die USA bei der Verfolgung von Kriegsverbrechen in einer moralisch schwachen Position. Sie werfen der US-Regierung vor, mit dem Angriffskrieg auf den Irak selbst Völkerrecht gebrochen zu haben. Die Iraker hätten lediglich ihr Recht auf Selbstverteidigung wahrgenommen. „Die USA werden diesen Vorwurf ignorieren“, sagt Vagts. Zudem würden Kriegsverbrechen unabhängig davon definiert, ob der Krieg selbst als legitim betrachtet werde.
Um das Image einer kolonialen Siegerjustiz gar nicht erst entstehen zu lassen, halten auch US-Rechtsexperten ein internationales Kriegsverbrechertribunal wie für Ruanda oder das ehemalige Jugoslawien für die beste Idee. Leila Sadat von der Washington University in St. Louis, die den Irakkrieg als völkerrechtswidrig erachtet, hält es für ein schweres Versäumnis der US-Regierung, sich nicht bereits vor dem Krieg für die Einrichtung eines solchen Tribunals engagiert zu haben. So setzte sie sich stets dem Verdacht aus, eine interessengeleitete, nicht unabhängige Strafverfolgung zu betreiben. Militärgerichte seien Ausführungsorgane des Pentagon und nicht transparent. Sie empfiehlt daher gemischte zivile Gerichte aus einheimischen Richtern und UNO-Juristen. „Das Problem: Die USA wollen die Kontrolle nicht aus der Hand geben.“
Da die Kriegslegitimation auf wackligen Füßen stehe, sollten sich die USA nach Ansicht Sadats weniger auf Kriegsverbrecherprozesse konzentrieren als auf die Aufarbeitung der Gräueltaten unter Husseins Herrschaft und den Aussöhnungsprozess, zumal der Umgang mit diesen Verbrechen viel komplexer und schwieriger sei. Die Bush-Regierung hat stets betont, diese Fälle oblägen ausschließlich der Verantwortung des irakischen Volkes. Diese Haltung wird von Menschenrechtsgruppen und Juristen als blauäugig kritisiert. Es mangelt an unbelasteten Rechtsanwälten und Richtern. Das irakische Justizwesen muss von Grund auf neu errichtet werden – ein Prozess, der Jahre in Anspruch nimmt, wie das Beispiel des kleinen, bevölkerungsarmen Osttimor zeigt. Experten empfehlen daher wiederum Spezialgerichte, die von internationalen Teams gemeinsam mit Irakern besetzt und von der UNO konstituiert werden. Modell hierfür könnten die Tribunale in Sierra Leone und Kambodscha sein.
Die USA werden sich wohl internationaler Zusammenarbeit nicht verschließen können, da auch andere Länder wie Iran oder Kuwait Mitglieder des alten irakischen Regierungs- und Militärapparates vor Gericht stellen wollen. Dennoch könnte Washington ein Interesse haben, sich nicht zu sehr in die Karten schauen zu lassen. Die Tatsache, dass die USA einst Husseins Regime unterstützt haben, auch mit Material, das zum Bau von Chemiewaffen geeignet ist, könnte für die US-Regierung peinlich werden, weil sie sich plötzlich selbst auf der Anklagebank wiederfänden.