: „Die Warnung kam, als wir schon da waren“
Die Spitze des Abgeordnetenhauses stieß in Peking auf Dankbarkeit, weil sie ihren Besuch trotz SARS nicht absagte. Parlamentsvize Michels beobachtete während der fünf Tage in China eine immer verlassener wirkende Stadt
Angst will Martina Michael nicht gehabt haben. „Aber uns war schon durchaus bewusst, dass wir es da mit einem Problem allerersten Ranges zu tun hatten“, sagte die Vizepräsidentin des Abgeordnetenhauses der taz nach ihrer Rückkehr aus Peking. In der chinesischen Hauptstadt spitzt sich die Bedrohung durch die Lungenkrankheit SARS immer weiter zu. PDS-Politikerin Michels pflegte dort mit Parlamentschef Walter Momper (SPD), Vize Christoph Stölzl (CDU) und Präsidiumsmitglied Axel Hahn (FDP) fünf Tage lang die Städtepartnerschaft mit Berlin. Grünen-Präsidiumsmitglied Claudia Hämmerling konnte wegen einer länger zuvor gebuchten anderen Reise nicht teilnehmen.
Sehr dankbar seien die Chinesen gewesen, dass die Berliner Delegation ihren Besuch nicht absagte oder abbrach, sagte Michels. Als die Parlamentsspitze am Montag nach Peking startete, habe es weder eine Reisewarnung vom Auswärtigen Amt noch von der Weltgesundsheitsorganisation gegeben. „Die Warnung kam erst am Mittwoch, als wir schon da waren.“
Aus Furcht vor dem Ansteckungsrisiko strichen die Pekinger Gastgeber zwar einzelne Termine wie den Besuch eines Seidenmarkts. Außerdem war die Delegation nicht per U-Bahn, sondern in einem Kleinbus unterwegs. Händeschütteln fiel laut Michels trotzdem nicht komplett aus. Bei Terminen mit vergrößertem Risiko trugen die Berliner Mundschutz.
Während ihres Besuchs hatte die Delegation die Entwicklung der SARS-Furcht direkt vor Augen. „Als wir ankamen, gehörte der Mundschutz zwar zum Stadtbild, aber es war vielleicht jeder Dritte, der einen trug. Als wir am Samstag zurückflogen, war es so, dass kaum einer ohne herumlief“, sagte Michels. Peking gleiche zunehmend einer verlassenen Stadt zu Spitzenzeiten derFerien. „Die reden dort von einer nationalen Katastrophe.“
Für Michels war es nicht der erste, aber der eindrucksvollste Besuch in einer Partnerstadt. „Dort hat man zum ersten Mal richtig empfunden, was es heißt, Partnerstadt zu sein, nämlich ein Partner, auf den man sich auch in solchen Zeiten verlassen kann.“
Überrascht und sogar ein Stück weit verärgert war Michels angesichts der chinesischen Fürsorge bei der Ankunft in Frankfurt am Main nach neuneinhalb Stunden Flug. Neben der Passkontrolle habe es keine sichtbaren Vorsichts- oder Informationsmaßnahmen gegeben, auch kein Infofaltblatt im Flugzeug.
STEFAN ALBERTI