: Jungfrauen von zweifelhafter Herkunft
Das Zwischenergebnis der Provenienz-Forschung in der Bremer Böttcherstraße ist ebenso ehrlich wie ernüchternd: Bei über der Hälfte aller Werke der Sammlung Roselius muss die Herkunft bis zur genaueren Klärung als „bedenklich“ eingestuft werden
In einer Mischung aus Verzückung und Abwehr hebt die Jungfrau die Hand: Gerade wird sie von den himmlischen Sendboten über ihre geheimnisvolle Schwangerschaft informiert. So hat sich ein Nottinghamer Meister vor 600 Jahren die „Verkündigung“ vorgestellt, so war sie bis vor kurzem im Roselius-Haus in der Bremer Böttcherstraße zu bestaunen. Nun aber ist das Alabaster-Relief mitsamt der „Krönung Mariä“ aus der Dauerausstellung entfernt: Die kostbaren Kunstwerke kamen auf fragwürdige Weise in den Besitz des Hauses.
Sie stammen aus der Sammlung des jüdischen Industriellen Ottmar Strauss, der sie 1935 in Köln versteigern lassen musste. 2006 hatten die Bremer Museen erklärt, ihre Bestände gemäß dem „Washingtoner Abkommen“ zur Wahrung der Rechte jüdischer Erben zu überprüfen, in der Böttcherstraße ist jetzt die „Vorab-Recherche“ abgeschlossen: Über die Hälfte der knapp tausend inventarisierten Objekte hat eine „bedenkliche“ Provenienz. Damit sind vor allem Kunstgegenstände gemeint, die nach 1933 unter noch nicht näher bekannten Umständen erworben wurden – aber auch Werke, über deren Herkunft gar keine Daten vorliegen. Ludwig Roselius, Erfinder von Kaffee Hag und bekennender Nationalsozialist, legte seine Sammlung mit einem klaren ideologischen Ziel an: Die „Meisterwerke norddeutscher Kunst“ sollten die kulturelle Überlegenheit niederdeutschen Volkstums belegen. Nichtsdestoweniger setzte Roselius dabei nicht auf unsaubere Methoden, so der derzeitige Forschungsstand. In Gegensatz zu anderen Sammlern, die in enger Abstimmung mit dem für kulturelle Fragen zuständigen „Amt Rosenberg“ gezielt in besetzen Ländern plündern ließen, sei Roselius kein „Profiteur“ gewesen. Selbst bei den Erwerbungen seiner „Alte Deutsche Kunst GmbH“ in den 40er Jahren in Wien habe man bislang keine entsprechenden Hinweise gefunden, bestätigt die Archivarin der Böttcherstraße.
Das allein genügt allerdings nicht. Im Washingtoner Abkommen vom Jahr 1998 ist nicht nur geregelt, dass das ansonsten legale „Ersitzen von Eigentum“, eine Art Verjährungsfrist für nicht zurück gefordertes Fremdeigentum, bei Wertgegenständen aus ehemals jüdischem Besitz nicht möglich ist. Auch die Beweislast wurde umgedreht: Die Museen sind jetzt verpflichtet, die Provenienz ihrer Stücke lückenlos zu klären. Dafür stehen allerdings nur sehr begrenzte Personalmittel zur Verfügung: Lediglich die Städte Hamburg, Köln und neuerdings auch Hannover verfügen über spezialisierte „Provenienz“-ForscherInnen.
Auch die konkrete Restitution ist kompliziert: Zwar konnte mit Hilfe von Christie‘s und Sotheby‘s der aktuelle Wert der Strauss-Stücke – auch ein mittelalterliches Fenster gehört dazu – auf etwa 55.000 Euro taxiert werden. Damit ist jedoch nicht die Höhe der Entschädigung geklärt. Die Vielzahl der zu berücksichtigenden Faktoren ist ein getreues Abbild der Zeitgeschichte: Einerseits konnte Strauss die Werke 1935 nicht allzuweit unter dem damaligen Marktwert veräußern, andererseits musste er so die „Reichsfluchtsteuer“ finanzieren, die allen Emigranten auferlegt wurde. Und wie ist die pauschalisierte Teil-Entschädigung zu berücksichtigen, die Strauss nach 1945 erhielt? Andererseits die „Aufbewahrungsleistung“ des Museums? Dessen Direktor Rainer Stamm möchte die Stücke nach Möglichkeit im „gewachsenen Sammlungskontext“ behalten und sucht nun nach Finanzierungsoptionen für eine „faire Lösung“. HENNING BLEYL