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Archiv-Artikel

Im Bann der Brechreize

Drei Tage galt für die Akademie der Künste: Zutritt erst ab 18. Wissenschaftler, Filmkritiker und Regisseure diskutierten bei der Tagung „Bodies that Splatter. Schnittstellen von Gewalt in Horrorfilmen 1963–1991“ über Schaulust und Gewaltexzesse

von ROBERT PITTERLE

Eine Tagung, die nicht der Redebeiträge wegen sprichwörtlich zum Brechen ist, muss man sich so vorstellen: Im Auditorium zerren halb nackte Kannibalen eine junge Frau in das Zentrum ihres Dschungeldorfes. In Nahaufnahme sieht man, wie ein Haken langsam ihre entblößte Brust durchstößt. Der Filmwissenschaftler Marcus Stiglegger hatte kurz zuvor in einem Vortrag kühl erklärt, die Lust an solchen Bildern käme von der souveränen Position, die sie dem Betrachter vermitteln. Bei den Tagungsgästen hingegen löste eine Szene aus einem Kannibalenfilm des italienischen Schmuddelregisseurs Umberto Lenzi weniger Macht- denn Ekelgefühle aus. Einige hielten sich die Hände vor Augen, andere verließen fluchtartig den Saal.

Man hätte gewarnt sein müssen, schließlich steht im Zentrum des Splatterfilms stets die explizite Darstellung von Verwundungen, die ein monströses Personal von Mördern, Menschenfressern und lebenden Toten ihren zumeist weiblichen Opfern zufügt. In quälender Länge bekommt man gerade das zu sehen, was im klassischen Horrorfilm höchstens zwischen den Bildern geschieht und somit der eigenen Fantasie überlassen ist: das Eindringen eines Messer in den Brustkorb, das Abreißen eines Armes, das Ausstechen eines Auges.

Die Geschichte der Splatterästhetik begann mit einer Reihe von billig hergestellten Filmen junger amerikanischer Nachwuchsfilmer. George A. Romeros „Nacht der lebenden Toten“ (1968), Wes Cravens „Letztes Haus links“ (1972) und Tobe Hoopers „Blutgericht in Texas“ (1974) rückten mit ihren harten Gewaltdarstellungen dem Publikum schon deswegen auf den Leib, weil sie den Horror aus den üblichen viktorianischen Geisterhäusern in die Mitte der US-Gesellschaft überführten. So ähnelten Romeros hungrige Untote weniger ihrem entfernten Vetter Dracula als vielmehr dem Durchschnittsbürger von nebenan. In Italien stürzten sich derweil B- und C-Filmer wie Umberto Lenzi und Lucio Fulci auf die amerikanischen Vorbilder, um sie gründlich auszuschlachten. Das Gebot der Stunde war nicht nur bei ihnen, sich im Brechen von Tabus hemmungslos zu überbieten.

Spätestens Anfang der Neunzigerjahre – die Splatterästhetik hatte durch Blockbuster wie John Carpenters „Halloween“ (1978) schon längst den Mainstream gekapert – war ein Punkt erreicht, wo eine weitere Steigerung der Horrorgewalt nur noch ins Absurde münden konnte. Genau das erkannte der „Herr der Ringe“, Peter Jackson. Mit „Braindead“ legte er 1991 eine Splatterkomödie vor, deren exzessiver Verbrauch von Filmblut unmöglich zu überbieten war. Keinen Spaß verstanden hierbei die deutschen Jugendschützer: Der Klassiker ist hierzulande bis heute verboten, was den Ruf des Genres nicht unbedingt verbessert hat.

So erzählt Julia Köhne – gemeinsam mit Ralph Kuschke und Arno Meteling Organisatorin der Tagung –, dass der akademische Betrieb in Deutschland auf das Thema eher reserviert reagieren würde, ein dunkler Rest der Splatterästhetik scheine sich jeder wissenschaftlichen Analyse zu entziehen.

Die Redner der Tagung jedenfalls ließen sich von solcherlei Bedenken nicht behindern und suchten mit Hilfe zum Teil sehr komplizierter theoretischer Ansätze einen Weg ins finstere Herz des Splatters. Was den in dieser Hinsicht unbedarften Horrorfans, die sich auf die Veranstaltung verirrt hatten, wahrscheinlich ebenso viel Angst einjagte wie die Metzelbilder dem akademischen Publikum.

Arno Meteling erwähnte in seinem Vortrag den medialen Kontext der frühen Splatterfilme, in den die Kriegsbilder aus Vietnam ebenso eingingen wie die Bilder von Polizeigewalt und rassistischen Übergriffen in den USA. Die aus Zürich angereiste Filmwissenschaftlerin Elisabeth Bronfen wiederum hielt sich bei ihrer Interpretation von Wes Cravens „Scream 1–3“ (1996–99) an die Psychoanalyse. Die dreiteilige Serie, so Bronfen, könne man als „visuelle Umsetzung“ von Sigmund Freuds Konzept der Traumaverarbeitung verstehen. Die Queer-Theoretikerin Judith Halberstamm ging dann so weit, in eher albernen Splatterfilmen wie „Chucky und seine Braut“ (1998) ein komplexes Spiel von Begehren und Geschlechteridentitäten aufzuspüren, wenn nicht gar eine Kritik an der kulturell verordneten Heterosexualität.

Zum Abschluss der Tagung erwartete das Publikum eine wirkliche Tortur. Berufsprovokateur Christof Schlingensief verwandelte nach einer Vorführung von Ausschnitten aus seinem Horrorfilm „Das deutsche Kettensägenmassaker“ (1990) die Podiumsdiskussion in eine One-Man-Folter. Endlos monologisierte er über seine Zeit als katholischer Ministrant und über die Unschuld von Bomben. Verzweifelt verlangte man als Zuschauer nach der Gnade, die der heimische Videorekorder gewährt, wenn es allzu unerträglich wird: das Bedienen der Vorspultaste.