: Wie hältst du es mit Israel?
Die Antideutschen schwärmen für Israel. Palästinafans lägen auf der NPD-Linie. Antifas vermuten, dass manche Antideutsche auf dem Weg nach rechts sind. Beide ziehen am 1. Mai auf die Straße
von PHILIPP GESSLER
Vielleicht ist es zu billig, dies zu schreiben – aber es ist nun einmal der erste Eindruck: Karl Herz sieht verdammt deutsch aus: hochgewachsen, blond, blaue Augen. Intelligent wirkt der 21-Jährige. Zugleich ist etwas teddybärig Sanftes um ihn, und sicherlich muss niemand im Ausland Angst vor diesem Musterdeutschen haben. Aber würde man ihn dort selbst bei bester Übersetzung überhaupt verstehen? Er sagt Sätze wie: „In Deutschland Emanzipation zu denken setzt eine antideutsche Position voraus.“ Oder: „Die Genossen in Mexiko sollten auch antideutsch sein.“
Die Antideutschen machen wieder von sich reden, linke, meist junge Leute, von denen manche sich Kommunisten nennen. Unter dem Motto „Gegen Antisemitismus und Antizionismus! Solidarität mit Israel!“ rufen sie zur Teilnahme an der „revolutionären Demonstration“ am 1. Mai, die um 18 Uhr in Berlin-Mitte starten und nach Kreuzberg ziehen soll. Das Bündnis gegen Antisemitismus und Antizionismus (BgAA-Berlin), zu dem Herz gehört, rechnet damit, dass ihr „antideutsch-israelsolidarischer Block“ etwa ein Fünftel der rund 5.000 Menschen ausmacht, die zu dem Protestzug erwartet werden. Israelfahnen, sagt das BgAA-Mitglied Thomas Fischer, werden einige Demonstranten wohl mitführen. Nur zu der anderen „Revolutionären 1.-Mai-Demonstration“ um 15 Uhr in Kreuzberg sollte man nicht mit der blau-weißen Davidsternfahne gehen: Das wäre „Harakiri“, sagt Fischer.
Ironie ist das nicht. Ein Sprecher der Autonomen Kommunisten, die mit anderen die 15-Uhr-Demonstration organisieren, hat bereits angekündigt, dass Israelfahnen auf ihrer Demo nicht geduldet würden. Zwar distanziere man sich von Ankündigungen ihrer Mitorganisatoren, der Berliner Anti-Nato-Gruppe, den Israel-Block der 18-Uhr-Demonstration zu blockieren. „Wir können aber nicht gewährleisten, wie die Kreuzberger auf solche Provokationen reagieren werden“, sagte der Kommunisten-Sprecher. Die Israelfahne ist eine Provokation in manchen Kreisen.
Es sind linke Kreise wie die antideutschen auch – aber durch die Linke, einst einigermaßen vereint am 1. Mai im Kampf gegen Kapitalismus und Faschismus und Abschiebung und Schily oder Schönbohm oder Werthebach, geht seit ein paar Jahren eine Kluft. Sie trennt die Genossen immer mehr, und die Gretchenfrage ist dabei ganz einfach: Wie hältst du es mit Israel?
Die Antideutschen sind Israelfans bis zur Karikatur. „Natürlich müssen alle Staaten weg – Israel jedoch als letzter!“, heißt es in einem Aufruf zur 1.-Mai-Demonstration um 18 Uhr. „Der Einsatz für die Existenz Israels ist eine Voraussetzung für eine emanzipatorische Politik. Sie ist ein Essential linker Politik“, sagt Fischer, ein 25-jähriger Student der Politikwissenschaften, der mit seine, Basecap auch gut als amerikanischer College-Boy durchgehen würde.
„Unsere Solidarität mit Israel ist nicht abhängig davon, ob wir Scharons Politik gut finden oder nicht“, betont Fischer, dessen Siedlungspolitik sei falsch. Israel aber habe „eine besondere Existenzberechtigung als Refugium für alle Juden der Welt“. Spätestens seit Beginn der so genannten zweiten Intifada vor drei Jahren mit den fürchterlichen Selbstmordattentaten bangen die Antideutschen um die Existenz Israels. Diese Solidarität vereint das BgAA von Zeit zu Zeit mit der Jüdischen Gemeinde der Stadt. Einmal hätten zwei Rabbis ihr Transparent gehalten, erzählen Herz und Fischer mit gewissem Stolz.
Zugleich erkennen die Antideutschen in der traditionellen Palästinensersolidarität der Linken immer mehr Antisemitismus: „Unsere Solidarität mit Israel drückt sich vor allem in unserem Einsatz gegen Antisemitismus aus“, verbindet Fischer beides. Die Argumentation hat etwas von einem doppelten Zirkelschluss, der ungefähr so funktioniert: Die Palästinenser sind in der Regel Antisemiten, die den Staat Israel bedrohen – wer sie unterstützt, hilft Antisemiten. Israel ist der Fluchtpunkt aller Juden der Welt – wer Israel angreift, ist Antisemit. „Ich heirate nicht Israel“, meint Herz, aber: „Wenige Länder sind so heterogen – und so demokratisch.“
Herz war schon einmal in Israel, sein Genosse Fischer noch nicht. „Der jüdische Staat“, wie Fischer ihn nennt, ist die Perspektive, die alles bestimmt. Beispiel Irak: Zwar betonen die Antideutschen, „dass der US-Angriff von Zwecken und Mitteln her abzulehnen ist“. Zugleich aber heben sie hervor: Es sollte angesichts des Antisemitismus der nun untergegangenen irakischen Führung, „eine Selbstverständlichkeit sein, offensiv den Sturz des Baath-Regimes zu propagieren“.
Diese Position führte die Antideutschen in scharfem Widerspruch zur Friedensbewegung gegen den Irakkrieg: „Wer an Emanzipation festhält“, heißt es im Irakpapier des BgAA, „kann mit der Friedensbewegung keine Bündnisse eingehen. Sie ist Demomob für deutsche Interessen, der seinen Antikapitalismus immer dann entdeckt, wenn es gegen die USA geht, und mit der Gleichung Bagdad = Dresden ein weiteres Kapitel in der unendlichen deutschen Einopferungserzählung schreibt.“
Dazu muss man wissen: Die Antideutschen wie Fischer gehen davon aus, dass es auch nach 1945 einen „völkisch-antisemtischen Konsens“ gebe, „der der deutschen Gemeinschaft basaler Bestandteil ist“. „In Deutschland hat sich ein völkischer Nationenbegriff durchgesetzt“, meint er, „den gibt es auch in anderen Staaten – die sind aber, etwa wegen ihrer Größe, nicht so relevant.“ Nach Auschwitz sei ein positiver Bezug auf die deutsche Nation nicht mehr möglich: „Einen deutschen Patriotismus, der nicht die Tendenz zum Antisemitismus hat, gibt es nicht.“
Friedensbewegung und Teile der Linken seien hier blind, meinen die Antideutschen. Schlimmer noch: Wie bei den Peaceniks verberge sich im „Antiamerkanismus“ vieler Linker und ihrer Begeisterung für Volksbefreiungsbewegungen, etwa die Palästinas, „das Bedürfnis nach „ ‚Volk‘ “, wie die Antideutschen schreiben. „Der Hauptfeind ist Deutschland. Hier sind diejenigen auszumachen, die sich als Deutsche zum mörderischen Mob zusammenrotten – ob im Kegelverein, in der Burschenschaft, in Tierschutz- und Friedensgruppen, Bürgerinitiativen oder in ‚Vertriebenenverbänden‘.“
Überall Feinde, überall Antisemiten, überall Deutsche. In einem Redebeitrag zum 58. Jahrestag des Bombardements von Potsdam (Motto: „Keine Träne für Potsdam“) schloss eine Antideutsche am 14. April ihre Rede mit dem Ausruf: „Preußen war Scheiße! Deutschland auflösen! Für den Kommunismus!“ Deutschland auflösen – ist das ernst gemeint? „Im Nachhinein“, sagt Fischer, „hätten wir eine Aufteilung Deutschlands zugunsten seiner Nachbarn nach dem Krieg favorisiert.“
Justus Wertmüller findet manche dieser Positionen des BgAA sogar noch zu sanft – sie seien „kaum mehr von der Fischer-Linie“ zu unterscheiden, ätzt der Bahamas-Redakteur. Der Vierzigjährige sitzt in einem Redaktionsraum des vierteljährlich erscheinenden Zentralorgans der Antideutschen. Rechts von ihm hängt ein Poster, das der Sowjetarmee („CBACIBO“) für ihren Sieg gegen die Wehrmacht in Stalingrad dankt. Seine Israel-Begeisterung paart sich mit Verachtung für die islamische Welt: „Der Islam als politisches Projekt ist gezielt antizivilisatorisch.“ Israel müsse vor Palästina geschützt werden – notfalls mit einer Mauer, möglichst noch perfekter als die Berliner von einst.
Alle Parolen der Friedensbewegung seien identisch gewesen mit denen der NPD, sagt Wertmüller: „Hinter dem Ruf nach Frieden verbergen sich die Mörder.“ Die „Friedensfuzzis“ hätten ein Problem: „Die NPD spricht ihre Sprache.“ Pathetisch beglückwünschte die Redaktion der Bahamas „die Regierungen der Vereinigten Staaten von Amerika und Großbritanniens“ zu ihrem Sieg am Golf – Michael Kronewetter von der Antifaschisten Linken Berlin (ALB), einer der Organisatoren der 15-Uhr-Demo, sagt über die Antideutschen: „Ich denke, da bereiten manche schon den Abschied aus der Linken vor.“
Wertmüller lobt die Berichterstattung der Welt über Israel. Er fragt sich, ob nicht jede Redaktion wie bei allen Redakteuren des Springer-Verlags im Arbeitsvertrag den Einsatz für den Erhalt Israels verlangen sollte. Und nach einer Stunde bei Wertmüller („ich als Kommunist“) beginnt man sich zu fragen, ob die Begriffe „rechts“ und „links“ überhaupt noch eine Bedeutung haben. Wertmüller erzählt von Anfeindungen, denen Antideutsche von seiten anderer Linke ausgesetzt worden seien: „So beschimpft wird man nie in Kreuzberg, wie wenn man etwas für Israel sagt.“ Fast traumatisch waren da die Erfahrungen am 10. April vergangenen Jahres, als es am Rande einer Pro-Israel-Veranstaltung zu Rangeleien mit linken Palästina-Freunden kam.
Der linke Übervater Hermann Gremliza koffert Wertmüller in der neusten Ausgabe von konkret an: „Unter uns, Justus: Du bist doch nicht der Daniel Küblböck – warum führst du dich so auf?“ Deutschland sucht den Superlinken. Die Debatte in der Linken über Israel ist sehr deutsch. Es fehlt ihr an Humor. Dabei ist sie ernst nicht mehr zu nehmen.